Raymond Domenech:"Na, Unschuldsengel sind wir gerade nicht"

Lesezeit: 3 min

Nach vielen Verbalattacken darf Frankreichs Trainer Domenech das EM-Qualifikationsspiel in Italien nur von der Tribüne verfolgen.

Henning Klüver

Was Marco Materazzi an jenem Abend des 9.Juli 2006 in Berlin zu Zinedine Zidane gesagt hat, ist seit den Enthüllungen des Mailänder Verteidigers im August bestens bekannt. Dem ewigen Gezerre an seinem Trikot überdrüssig, hatte Zizou in der Verlängerung des WM-Endspiels gesagt: "Wenn es dir so gut gefällt, warum bittest du mich nicht nach dem Spiel darum?'' Materazzi gab zurück: "Ich zieh' deine Hure von Schwester vor!'' Worauf der Franzose den Kopf verlor und mit dem selben zustieß. Der Rest ist Fußballgeschichte.

Raymond Domenech (Foto: Foto:)

Aber was hat David Trezeguet, der für Juventus Turin stürmt, zu Gigi Buffon, der für Juventus hält, über Frankreichs Trainer Raymond Domenech gesagt, der ihn angeblich nicht mehr für die Blauen aufstellen will? "Das kann ich nicht sagen'', sagte Buffon und sagte damit durch die Blume, dass das eine ziemlich heftige Äußerung von Trezeguet gewesen sein muss. Und der einstige Profi Marco Tardelli, zuletzt als Trainer glücklos und als Juve-Berater nach dem großen Skandal des vergangenen Jahres zurückgetreten, sagte über Domenech: ,,Vom Intellekt her ist er nicht gerade auf der Höhe einer so angesehenen Mannschaft.''

Faule Tricks

Es wird viel, vermutlich zu viel geredet zwischen Franzosen und Italienern vor dem wichtigen Gruppenspiel zur EM-Ausscheidung an diesem Samstag in Mailand. Daran ist Domenech nicht schuldlos, muss er doch für sein Gerede sogar auf die Strafbank. Anfang August hatte er der Pariser Presse erklärt, die Italiener hätten vor Jahren im Viertelfinale der EM der U21-Junioren (die als Ausscheidung für Olympia 2000 in Sydney galt) gegen Frankreich den portugiesischen Schiedsrichter bestochen. Die Franzosen verloren - nach Platzverweis - in der Verlängerung. Als Domenech die von der Uefa geforderten Beweise für diese Äußerung nicht liefern konnte, ließ ihn Uefa-Präsident Michel Platin, ein Franzose, für ein Spiel sperren. Und so wird Domenech auf der Tribüne sitzen.

Doch Mittelfeldspieler Lassana Diarra legte jüngst nach: "Die Italiener sind bekannt für ihre faulen Tricks, verbotene Sachen und Provokationen.'' Der Profi des FC Arsenal erklärte im Interview gleich den gesamten italienischen Fußball für korrupt. Jeremy Toulalan von Olympique Lyon unterstützte ihn dabei: "Domenech hat uns gewarnt. Außerdem ist es nicht nur ein Sprichwort, dass die Italiener Provokateure sind.''

Angeschlagene Spieler

"Jetzt langt es aber!'' - titelte am Freitag die Mailänder Gazzetta dello Sport, man befinde sich doch nicht im Krieg. ,,Na, Unschuldsengel sind wir gerade nicht'', sagte der ehemalige Nationaltrainer Arrigo Sacchi im Corriere della Sera, und verwies auf laufende Gerichtsverfahren gegen 37 Personen des italienischen Fußballs. Doch die Stimmungsmache der Franzosen könnte einen Bumerangeffekt bewirken: Italiens Fußballer seien in ruhigen Zeiten oder bei zu viel Lob nicht sehr vertrauenswürdig, "aber unter Stress und aus Trotz können sie über sich hinauswachsen'', sagt Sacchi. Eine Steigerung haben sie auch bitter nötig, wie das 1:3 zuletzt in Ungarn zeigte.

Die Liga, die Serie A, ist erst vor zwei Wochen gestartet, und Nationaltrainer Roberto Donadoni klagt über die kurze Vorbereitung seiner Spieler. Zweifelhaft ist zudem, ob Bayern-Stürmer Luca Toni wegen einer Muskelzerrung überhaupt zum Einsatz kommt. Und Materazzi, der Berliner Provokateur, der in Budapest den Rasen auf Krücken verlassen musste, wurde erst gar nicht ins Aufgebot berufen. ,,Besser so'', kommentierte Buffon die angespannte Stimmungslage. Dafür kehrt eine alter Haudegen, der Römer Christian Panucci, 34, zurück. Die Franzosen, die das Hinspiel in Paris 3:1 gewannen, hoffen auf den Einsatz von Patrick Viera, der allerdings - wie Italiens Presse pikiert feststellte - in seinem Verein Inter Mailand als verletzt gilt.

Donadoni redete ebenfalls viel, auch über sich, und dass er es Leid sei, bei jedem Spiel auf dem Prüfstand zu stehen. In der Tat wird der Nachfolger von Marcello Lippi in der Öffentlichkeit nicht richtig ernst genommen. Sollte der Weltmeister in der EM-Qualifikation scheitern, würde dies sicher auch das Ende der Amtszeit von Donadoni bedeuten. Es geht also nicht nur ums Prestige. Schließlich konnte Italien die Franzosen zuletzt nur nach Verlängerung im Elfmeterschießen besiegen. Der letzte Sieg binnen 90 Minuten gelang unter Enzo Bearzot bei der WM in Argentinien vor 29 Jahren. Was den Italienern jetzt am meisten fehlen könnte, wurde Bearzot gefragt? ,,Materazzi'', sagte er.

© SZ vom 8.9.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: