Rassismus im Stadion:Brave Jungs und andere Gespenster

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Zum Beispiel Italien: Der alltägliche Rassismus im Stadion - und was die Fifa-Aktion dagegen bewirken kann.

Stefan Ulrich

Carlo Balestri kommt aus einem gastfreundlichen Land, in dem sich seit Alters her die Völker mischen und das später selbst Millionen Menschen als Emigranten in die Welt schickte.

Dennoch muss sich der 42 Jahre alte Soziologe aus Bologna tagein, tagaus mit Dingen auseinandersetzen, die nicht recht zu Italien passen mögen. Als Koordinator des ältesten anti-rassistischen italienischen Fan-Projekts Progetto Ultra kämpft er gegen den Hass, die Gewalt und die faschistischen Parolen, die etliche Fankurven italienischer Stadien überschwemmen.

"Gorilla-Schreie"

Dort werden schwarze Spieler mit Gorilla-Schreien begrüßt und in Sprechchören als "dreckige Neger" beschimpft, Juden mit Auschwitz-Anspielungen verunglimpft und die eigenen Reihen mit dem Faschisten-Gruß aufgehetzt. Sein Land sei nur scheinbar so offen, sagt Balestri. "In Wahrheit haben wir ein großes Toleranz-Problem."

Umso sorgfältiger schaut sich der Fan-Betreuer an, was bei der WM in Deutschland gegen den Rassismus unternommen wird. Gerade ist er wieder dort, und was er sieht, gefällt ihm.

So wurden die Viertelfinal-Spieltage an diesem Freitag und Samstag zu Anti-Diskriminierungstagen erklärt. Für Balestri ist das keine leere Geste. "Es ist wichtig, symbolische Signale zu setzen", sagt er. Sie zeigten, dass sich Fifa und Uefa in die richtige Richtung bewegten.

Zudem schlage bei der WM die Symbolik ins Konkrete um. Bei den Fan-Festen entstehe spontane Freundschaft zwischen Schlachtenbummlern verschiedener Nationen. Außerdem wirkten bei allen Spielen Initiativen gegen den Rassismus mit.

Korruption und Gewalt

Besonders beeindruckt zeigt sich der Italiener von Hamburg, wo jedes Teilnehmerland mit einem Stand vertreten sei, um seine Küche und Kultur zu präsentieren. "Die Atmosphäre dieser WM ist keine Illusion. Hier gibt es ein echtes Fest und echten Austausch."

Carlo Balestri weiß nur zu gut, dass es auch anders geht. In seiner Heimat ist der Fußball nicht nur von Korruption, sondern auch von Gewalt gebeutelt.

Abgebrochene Partien, Stadionsperren, Geisterspiele ohne Publikum, verwüstete Züge und Bahnhöfe, Hunderte festgenommene Randalierer und verletzte Polizisten, in Rauch gehüllte Spielflächen und hochgereckte Mussolini-Bilder zerstören den Spielbetrieb. "In Italien kommt es viel leichter zu Gewaltszenen als in anderen Ländern", sagt Balestri.

Beispiele? Im vergangenen Jahr wurde ein Spiel der Champions League zwischen Inter Mailand und dem AC Mailand abgebrochen, nachdem Inter-Fans Raketen aufs Spielfeld abgefeuert und den gegnerischen Torwart verletzt hatten.

"Faschist, aber kein Rassist"

Ebenfalls im vergangenen Jahr grüßte der Star von Lazio Rom, Paolo Di Canio, seine Tifosi mehrmals mit dem Faschisten-Gruß. "Von wegen Faschist", kommentierte der damalige Premier Silvio Berlusconi. "Er ist doch ein braver Junge." Di Canio selbst erwiderte, er sei zwar "Faschist, aber kein Rassist".

Einen Tiefpunkt erreichte die Serie A vor kurzem bei einer Partie zwischen AS Rom und dem als links geltenden Livorno im Olympiastadion der Hauptstadt: In der Südkurve wurden Hakenkreuze gereckt, Mussolini-Bilder präsentiert, faschistische Lieder geschmettert und ein Banner mit der Aufschrift gezeigt: "Lazio (der Lokalrivale, d. Red.) und Livorno, der selbe Anfangsbuchstabe, der selbe Ofen". Gemeint war Auschwitz.

Präsidenten, Trainer und Politiker reagieren oft ausweichend - oder fatalistisch. So meinte der Präsident von US Palermo, Maurizio Zamparini: "Der Fußball ist nur ein Spiegel der Gesellschaft, und das Italien von heute ist ein gewalttätiges Land." Andere Analysten gehen tiefer.

Verkommene Stadion

Als Ursachen für den Extremismus werden die verkommenen Stadien genannt, die die Mittelschicht abschreckten und nur noch die perspektivlose Jugend aus den Trabantenstädten anlockten. Auch das schlechte Vorbild korrupter Funktionäre wird genannt.

Für Balestri spielt eine Rolle, dass Italien ein "extrem ideologisiertes Land" sei. Viele Vereinigungen der "Ultras", der extremen Fans, gingen auf die sechziger und siebziger Jahre zurück, als das Land von radikalen Gruppen der Linken und Rechten destabilisiert wurde.

Etwas von dieser Auseinandersetzung lebt bis heute fort, etwa wenn Livorno-Fans für Stalin und Lazio-Fans für Mussolini brüllen. Dabei verschlössen Vereine und Liga noch immer die Augen vor dem Problem, kritisiert Balestri.

So gewähre die Uefa europäischen Clubs seit Jahren Geld für soziale Projekte gegen den Rassismus. "Doch Italien hat, im Gegensatz zu anderen Ländern, nie daran teilgenommen."

"Unser schwarzer Fleck"

Das könnte sich rächen. Italien möchte die Europameisterschaft 2012 austragen. Doch dafür muss sie die Uefa überzeugen, und die gibt sich empört über die Randale. So sagte ein Uefa-Sprecher unlängst, Italien sei "unser schwarzer Fleck. Wir von der Uefa hoffen dauernd, dass Italien wieder aufsteigt, aber es bleibt immer da unten".

Doch das ist übertrieben. Denn längst ist eine Gegenbewegung im Gang. "Unser 1985 gegründetes Progetto Ultra war die erste Initiative", sagt Balestri. "Heute arbeiten viele Gruppen gegen die Fremdenfeindlichkeit. Sie begleiten Einwanderer in die Stadien und vernetzen sich mit Fan-Projekten in ganz Europa." In Rom spielten vor der WM etwa 300 Jugendliche um einen "Erinnerungs-Cup".

Die Siegermannschaft reiste nach Auschwitz, um sich über die Nazi-Verbrechen zu informieren. Mitte Juli veranstalten Balestri und seine Mitstreiter in Montecchio in der Emilia Romagna zum zehnten Mal ihre "Antirassistische Weltmeisterschaft". Dabei spielen 192 Mannschaften aus vielen Ländern mit.

Zunächst aber geht es für die Fan-Betreuer darum, die WM in Deutschland gut zu Ende zu bringen. Balestri hofft, dass die gute Atmosphäre bleibt - und dass die Fußball-Welt aus ihren Fehlern lernt. So hätten viele Fans, die nach Deutschland gereist seien, keine Karten bekommen, weil allzu viele Tickets an irgendwelche Privilegierte gegangen seien, die sich kaum für den Fußball interessierten. "Auch das", sagt Balestri, "ist Diskriminierung."

© SZ vom 1.7.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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