Rallye Dakar:Die größte Konkurrentin ist die Angst

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Andrea Mayer ist Sechste bei der Rallye Dakar und fordert den Vergleich mit Jutta Kleinschmidt heraus.

Von Markus Schäflein

Es ist ein paar Wochen her, warme Sonnenstrahlen brachten den Schnee zum Glitzern. Ein schmaler Feldweg führt zu diesem Bauernhof im Allgäu. Andrea Mayer wartete schon, sie hatte Kaffee gemacht. Sie wohnt hier, aber sie ist selten zu Hause. An der Wand hängt eine alte Weltkarte, das Wohnzimmer ist in Erdtönen gestrichen. Mayer hat Figuren aus allen Teilen der Welt gesammelt und viele Bücher.

"Ich lese wahnsinnig gerne über Expeditionen, über Menschen, die etwas tun, auch wenn es gefährlich ist", sagte sie. Es war ein Gespräch vor der Dakar-Rallye, bei der die 36-Jährige derzeit auf einem blendenden sechsten Rang liegt, es ging um ihr erstes Jahr als Werksfahrerin für Mitsubishi, ihre Rolle als deutsche Teilnehmerin neben der populären Jutta Kleinschmidt, um Wüstensand und Motorengeheul.

Andrea Mayer erzählte lange, manchmal lachte sie. Aber dazwischen blickte sie ernst und sprach leiser. Denn es geht um viel mehr. Um einen guten Freund und seinen Tod, um Verantwortung und Gefahr.

Ein Fehler kann tödlich sein

Seit eineinhalb Jahren kann Mayer nicht mehr über das Rallyefahren reden wie vorher. Natürlich hatte sie sich auch vor dem einschneidenden Tag mit der Gefahr beschäftigt, die ihr Sport mit sich bringt. Oft hatte sie mit ihrem Beifahrer Gregor Hauck darüber gesprochen.

Lange war sie Rallyes auf dem Motorrad gefahren, alleine, nun fuhr sie im Auto. "Ich habe oft gedacht: Herrgott, du bist ja noch für jemanden verantwortlich", sagt sie. "Gregor hat dann immer gesagt: Mir geht es doch genauso. Wenn ich etwas übersehe, kann mein Fehler auch tödlich sein."

Es waren Worte, nur Worte. Bis zum Sommer 2002. Bei der Master Rallye durch Russland kam Hauck in einem Service-LKW von der Strecke ab. "Sein Tod war ganz schlimm für mich, er war ein langjähriger Freund, er war immer dabei. Wir hatten so viel zusammen erlebt." Ihr blieb nur die Gewissheit: "Gregor hat so gelebt, wie er es wollte."

Mayer brach die Rallye sofort ab und fuhr nach Hause, aber ihren Sport hat sie nicht aufgegeben. Darüber habe sie nicht einmal nachgedacht, sagte sie. "Das Rallyefahren hat mir so viel gegeben. Es ist die Möglichkeit, so stark zu fokussieren, wie es im Alltag nicht geht. Angst, Hitze, Durst, alles hat keine Bedeutung mehr", erklärt sie. "Es ist eine der letzten Herausforderungen in einer zivilen Gesellschaft. Wahre Glücksgefühle kann ich nicht in einer geborgenen Welt empfinden."

Die Menschen unten im Dorf kennen Mayer, sie schätzen sie, weil sie die Prominente der Region ist, aber viele von ihnen werden nie verstehen können, was Andrea Mayer tut und warum sie es tut.

Keine zweite Jutta Kleinschmidt

Vielleicht glauben manche, dass sie für das Geld fährt. Wenn man es so weit geschafft hat wie Mayer, kann man vom Rallyefahren gut leben. Was von den Fahrern als Ausbruch aus der Gesellschaft erlebt wird, ist ein von den großen Autokonzernen finanziertes Werbespektakel. Als Mitsubishi die prominente deutsche Pilotin Jutta Kleinschmidt an Volkswagen verloren hatte, nahm die Firma Kontakt zu Mayer auf.

Im ersten Jahr soll sie die Handlangerin für die Favoriten in den neueren Mitsubishi-Autos sein. Auf die Dauer aber will der Konzern sie zu Kleinschmidts Nachfolgerin aufbauen. Das hört Mayer nicht gerne. "Das klingt so, als würde ich all das machen, um so zu werden wie Jutta. Aber so ist es nicht", sagt sie, "ich will nicht die zweite Jutta Kleinschmidt sein, sondern die erste Andrea Mayer."

Die Ähnlichkeiten sind dennoch unverkennbar: Beide sind blond, was mit den roten Autos im Wüstensand prima PR-Fotos ergibt, beide haben das Image der Powerfrau, beide haben einen ähnlichen Werdegang über das Motorrad ins lukrativere Autogeschäft hinter sich.

Zudem bietet sich für die Boulevardpresse die Schlagzeile vom "Zicken-Krieg" ( Bild) an. "Wir sind keine Zicken und wir hatten nie Krieg. Aber so etwas muss man wegstecken", sagt Mayer. Sie habe großen Respekt vor Kleinschmidt. "Sie hat sich keinen einfachen Weg gewählt. Und mit ihrem Sieg hat Jutta den Respekt Frauen gegenüber deutlich erhöht", sagt Andrea Mayer.

Frauen spielen im Rallyegeschäft kaum eine Rolle, was aus deutscher Sicht leicht vergessen wird. Sie weiß, dass sie ohne Kleinschmidt keinen so lukrativen Vertrag erhalten hätte. "Jutta hat die Messlatte hoch gelegt, aber sie zieht einen auch mit."

Angst darf keine Rolle spielen

Ihr größte Konkurrentin ist nicht Kleinschmidt, sondern die Angst. "Mit der Angst", sagt sie, "lernt man umzugehen. Wenn man den Schritt gemacht hat, dass man sagt: Die Rallye ist mein Leben, wenn man am Start steht, dann darf die Angst keine Rolle spielen."

Gegen die Furcht haben ihr früher Gespräche mit Gregor Hauck geholfen, nach seinem Tod bleibt ihr nur eine Theorie über den Tod, die Außenstehenden merkwürdig erscheint. "Wenn meine Zeit abgelaufen ist, dann ist es so, mag es im Auto passieren oder irgendwo anders", sagt sie.

Und plötzlich stellt sie sich selbst eine Frage, vielleicht die wichtigste Frage: "Ist die Rallye faszinierend, obwohl sie gefährlich ist? Oder ist sie faszinierend, weil sie gefährlich ist?" Sie schweigt, dann sagt sie: "Ich weiß es nicht."

© SZ vom 9.1.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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