Radsprint:Leiser Nachfolger des Obermachos

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Der zurückhaltende Alessandro Petacchi verdrängt seinen Landsmann Mario Cipollini, die bisherige Nummer eins des Radsprints.

Andreas Burkert

(SZ vom 10.7.2003) - Bei der Ankunft auf der Rue Léon Blum in Saint-Dezier hat er diesmal sogar Handküsse verteilen können, an die Lieben daheim vor dem Fernseher, so viel Zeit muss sein. Alessandro Petacchi kann sich das zurzeit leisten, freundlich grüßend über den Zielstrich zu rollen, während die anderen angestrengt um die Plätze ringen. Zwei der bisher drei Flachetappen gewann der Italiener bei der Tour, und Montag konnte er seine Kunst nur deshalb nicht zeigen, weil ihm einige Kilometer vor dem Finale jemand in die Speichen gefahren war. Er hat sich darüber nicht beklagt.

Petacchi jubelt. (Foto: AP)

So ist Alessandro Petacchi, 29, Radprofi aus dem Küstenort La Spezia. Freundlich und zuvorkommend, ein stiller Typ ohne Skandale, was die italienischen Journalisten hier leise beklagen. Petacchi ist kein Selbstdarsteller wie Obermacho Mario Cipollini, der toskanische Mister Universum des Radsports. "Cipo" und sein Team Domina Vacanze haben sie wieder nicht nach Frankreich eingeladen, weshalb der Beau aus Lucca schmollend zum Sonnenbaden nach Ägypten entschwand. Vielleicht ist das besser so gewesen für den 36-Jährigen, denn, das schreibt nun selbst die in den alternden Weltmeister vernarrte Gazzetta, "Petacchi ist die Nummer eins des Sprints". Er ist der neue Cipollini.

Dessen Krone hat Alessandro Petacchi bereits im Mai beim Giro ausgiebig an-probiert. Sechs Etappen gewann er dort, davon vier in Serie und zwei im direkten Duell mit dem Idol. "Ich bin jetzt endlich auf dem Höhepunkt meines Könnens angelangt", sagt der 1,85-m-Athlet, und dann schaut er wieder abwesend an die Decke und kaut an den Fingernägeln. Er spricht nicht gerne über sich selbst.

Solo und stark wie nie

Alessandro Petacchi gewann in den vergangenen Jahren immer wieder Rennen, doch sein Schlüsselerlebnis, sagt er, sei der Hattrick bei der Valencia-Rundfahrt 2002 gewesen: drei Sieg in den ersten drei Tagen. Sein Sportlicher Leiter beim Team Fassa Bortolo, Giancarlo Ferretti, ergänzt, sein schnellster Mann habe sich "vor allem mental verbessert". Und endlich seinen Liebeskummer überwunden. Die langjährige Freundin hatte den schönen Alessandro verlassen, trotz seiner strahlend blauen Augen, "er war deshalb leicht depressiv", erzählt Ferretti. Jetzt ist Petacchi solo und stark wie nie.

In 14 von 18 Sprints dieser Saison triumphierte der blonde Ligurier. Stets ohne Ellbogeneinsatz, wie seine Konkurrenten anerkennend berichten und weshalb L'Équipe ihn zum "Gentleman des Sprints" adelte. McEwen, Vainstains, Kirsipuu, Cooke und O'Grady, alle hat er bereits besiegt, auch Erik Zabel. Der Deutsche akzeptiert den neuen Regenten, "es muss schon alles optimal laufen, um gegen ihn gewinnen zu können".

Auf den Spuren von Cipo

Und Schuld ist nur Alessandros Vater Lucio, Chef einer Werft in La Spezia und ehedem heißer Verehrer von Guiseppe Saronni. Irgendwann hat er seinem Sohn gesagt: "Schluss jetzt, Du musst Radrennen fahren, wie Saronni!" Alessandro gehorchte, obwohl er es mit neun immerhin zum Regionalmeister im Schwimmen und mit 13 Jahren zum besten Crossläufer der Gegend gebracht hatte.

Seine ersten Radsiege errang er für den Amateurclub Bottegone Pistoia - dort begann einst auch Cipollini. Im Hoch- und Weitsprung sei er ebenfalls gut gewesen, erinnert sich Petacchi, und diese Universalausbildung komme ihm nun zugute. Doping dagegen sei für ihn kein Thema, "wir wollen alle mit den gleichen Waffen kämpfen, der Radsport wurde massakriert, wir haben verstanden". Man möchte ihm das gerne glauben.

Zum Superstar wie Cipollini werde es Petacchi in Italien trotz der ersten Tour-Siege nicht bringen, das glaubt zumindest der Reporter der Repubblica, "er ist wohl zu brav". Und eben gut erzogen von Mamma Gaudilla, die vor jedem Rennen betet und in der Kirche "für alle Heiligen und die Madonna" eine Kerze entzündet. Ihr Alessandro sagt: "Ich bin nicht wie Cipo, man muss als Sieger kein Aufschneider sein." Lieber will er Mamma bald wieder grüßen.

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