Radsport:Wie ein platter Reifen

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Das Knie ist gereizt, der Kapitän ganz ruhig: Jan Ullrich und sein Rennstall müssen zwar gleich mehrere Probleme lösen. Das wirft sie aber nicht aus der Bahn.

Andreas Burkert

Sehr viel hat Olaf Ludwig nicht mitbekommen vom medialen Echo, er hatte einfach zu viel zu tun. Vom frühen Donnerstagmorgen bis zum Nachmittag saß er in Meetings, und so blieben dem Teammanager des T-Mobile-Rennstalls die mit Häme und etwas Besorgnis versetzten Schlagzeilen zur Verletzung seines Mannschaftskapitäns und dem somit verschobenen Saisoneinstieg erspart.

"Vielleicht auch ganz gut so", sagt Ludwig, der als langjähriger Weggefährte von Jan Ullrich ohnehin längst gewöhnt ist an die ewig wiederkehrenden Hiobsbotschaften aus den Trainingsquartieren des Toursiegers von 1997.

"Das ist natürlich keine positive Sache", sagt Olaf Ludwig und klingt entspannt, "aber wir müssen jetzt auch nicht losschreien und ,Au weia!' jammern."

Routiniert und mit Gelassenheit reagieren also Ullrichs Begleiter auf das neueste Malheur des Radprofis aus Rostock, zumindest sagen sie das. Dass sich noch keine Panik breit macht in der magentafarbenen Streitmacht, die im Juli Ullrichs zweiten Erfolg bei der Tour de France erleben möchte, liegt vor allem am Patienten selbst.

Dem ist bekanntermaßen eine gewisse Bierruhe eigen, und wenigstens in Krisensituationen ist diese Eigenschaft kein Nachteil. Es gebe "keinen Grund zu großer Besorgnis", lässt der 32-Jährige wissen, zumal er ja nicht waagerecht auf der Couch liege, sondern weiter daheim in Scherzingen am Boden trainiere.

Und Ullrich hatte ja trotz der zurückgekehrten Beschwerden im rechten Knie nicht auf seinen Start bei der Sarthe-Rundfahrt in Frankreich verzichten wollen, betont er, vielmehr erhielt er nach einem Check in der Uniklinik Freiburg am Dienstag ein Fahrverbot von Teamarzt Andreas Schmid auferlegt.

Diagnose: eine Reizung an der Kapsel im rechten Knie, die nach ersten Schmerzen Anfang März ausgeheilt schien. "Das hat nichts mit der Verletzung von 2002 zu tun", sagt Schmid, "das ist eine normale Reizung durch Überbelastung - Jan kann weiter trainieren und bis an die Schmerzgrenze gehen, nur nicht darüber."

"Damit müssen Profis rechnen"

Im Mai 2002 hatte Ullrich seinen Tour-Start wegen Schmerzen im rechten Kniegelenk - am Femur condylus - endgültig absagen müssen. Damals hatte er wohl, nach einem schlampigen Frühjahr, mit Extraschichten an der Beinpresse den Formrückstand aufholen wollen und damit seinen Körper überfordert.

Diesmal indes sei Ullrich gut durch den Winter gekommen, sagt Ludwig: "Jan ist doch dieses Jahr ohne die üblichen Erkältungen und Infekte ausgekommen, er hat früher als sonst angefangen." Mit Kniereizungen müssten Radprofis rechnen, "das kommt vor, wie ein platter Reifen".

Trotzdem muss Ludwig in seinem ersten Jahr als alleiniger Betriebsleiter ein gravierendes Problem moderieren: Sein Ass hat sich "ausgerechnet in einer Phase zu schonen, die wahnsinnig wichtig ist".

Zudem ist Ullrich nicht das einzige Sorgenkind der Mannschaft, deren Saisonziel mehr denn je das Frankreich-Abenteuer des Kapitäns ist.

Auch sein mutmaßlich stärkster Helfer Andreas Klöden ist schließlich außer Gefecht nach seiner Schultereckgelenks-Spregung, erlitten bei einem Trainingssturz.

Klöden sitzt nach seiner Operation vor einer Woche schon wieder auf der Rolle und bewegt eifrig seine Beine, das Renncomeback ist jedoch erst für die Bayernrundfahrt (24. bis 28. Mai) eingeplant - und dann sind es nur noch fünf Wochen bis zur Tour. "Andreas ist doch viel schlimmer dran als Jan", sagt Ullrichs Teamchef Rudy Pevenage.

Reine Formsache

Kritik am bisherigen Saisonverlauf äußert Ludwig trotz des umfangreichen Krankenbulletins sehr wohl.

"Das alles ändert nichts daran, dass wir in San Remo indiskutabel gefahren sind und auch bei Paris-Nizza und beim Tirreno enttäuscht haben", sagt der frühere Sprinter.

Deshalb erwartete er bei den anstehenden Klassikern wie der Flandernrundfahrt am Sonntag (wo der Vorjahreszweite Andreas Klier aus München zu den Favoriten zählt) "endlich handfeste Ergebnisse".

Jan Ullrich wird dazu wieder mal nichts beitragen können. Doch vielleicht hat der aktuelle Rückschlag auch sein Gutes, denn um den beabsichtigten Start beim schweren Giro d'Italia (6.-28.5.) anstelle der späteren - und kürzeren - Tour de Suisse (10.-18.6.) kommt er nun wohl kaum noch herum.

"Der Plan mit dem Giro bleibt", sagt Rudy Pevenage, dessen Athlet nun bei der ebenfalls anspruchsvollen Tour de Romandie (25. bis 30. April) sein Debüt geben soll.

Einstweilen beschäftigt sich Ullrich im Grundlagenbereich, bis die Kapselreizung verschwunden ist. "Dabei hat er von diesem Training eigentlich genug", meint Olaf Ludwig, "was ihm jetzt fehlt, sind Intensität und Wettkampf."

Und so sorgt sich der Rennstallbesitzer weniger um die Tourteilnahme Ullrichs ("Für ihn und auch für Klöden sehe ich da keine Gefahr"), sondern um dessen Zustand beim Start in Straßburg am 1. Juli. Ludwig sagt: "Die Frage ist jetzt halt, wie gut die Chancen stehen, um in bester Form an den Start gehen zu können." Man meint, diesen Satz schon einmal gehört zu haben.

© SZ vom 31.3.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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