Radsport:Monopolist aus der Küche

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Der holländische Milram-Chef Gerry van Gerwen profitiert vom Kollaps des nächsten Mitbewerbers und baut ein deutsches Radsportteam.

Andreas Burkert

"Oh, hallo", sagt der Radprofi Matthias Russ und reicht die Hand. Aber dann rollt er doch davon auf seinem Rad. Er sage nichts, hinterlässt er noch, zumindest nicht dieser Zeitung. So lässt sich nicht mit Sicherheit klären, ob Herrn Russ, 24, die kritische Berichterstattung über den Radsport noch mehr zugesetzt hat in den vergangenen Jahren als der fortwährende Betrug der Berufskollegen. Generell müsste der Reutlinger aber guter Dinge sein trotz des Aus seines bisherigen Arbeitgebers Team Gerolsteiner. Denn Russ hat ja, zumindest das weiß diese Zeitung, bereits beim Konkurrenten Team Milram unterschrieben.

Milram-Teammanager Gerry van Gerwen (links) will seine bisher Italien-lastige Equipe in eine deutsche Flotte verwandeln. (Foto: Foto: imago)

Angespannt oder betont freundlich geben sie sich derzeit bei Gerolsteiner, aber das versteht ja jeder. Fünf Dutzend Angestellte haben sich umzuorientieren, nachdem Teamchef Hans-Michael Holczer doch keinen neuen Geldgeber gefunden hat und seine Mannschaft aufgelöst wird. Mit Sportchef Christian Henn (SZ vom 29.8) , Russ und dessen Zimmerkollegen Johannes Fröhlinger haben sich bereits die ersten Gerolsteiner-Männer beim neuen deutschen Radsport-Monopolisten Milram verpflichtet; der deutsche Meister Fabian Wegmann sowie die Brüder Thomas und Markus Fothen stehen dort kurz vor einem Abschluss. "Die meisten von uns werden am Ende etwas finden", sagt Fröhlinger bei der Deutschland-Tour, "doch drei, vier werden sicherlich auf der Strecke bleiben oder nur bei kleinen Teams unterkommen."

Gerdemann soll kommen

Denn alle kann Gerry van Gerwen, 55, nicht aufnehmen bei Milram. Der holländische Teammanager profitiert vom Kollaps des nächsten Mitbewerbers nach dem Rückzug von T-Mobile im Spätherbst 2007. Mit einem Schlag ist es ihm möglich, seine bisher Italien-lastige Equipe in eine deutsche Flotte zu verwandeln, was ganz im Sinne des Bremer Geldgebers aus der Milchindustrie ist. "Es wird ein Team werden, das deutsch ausgerichtet sein wird", bestätigt Henn.

Ein Holländer ist nun also damit betraut, als Einzelkämpfer den deutschen Radsport durch eine schwierige Phase zu führen. "Eine riesige Verantwortung", sagt van Gerwen ernst und nippt abends an seinem Rotwein. Einen "schwarzen Tag" hat er Gerolsteiners Rückzug genannt, und weil ihm das nicht alle abnehmen, ergänzt van Gerwen: "Kurzfristig gedacht könnte man meinen, das sei toll für uns, aber langfristig betrachtet ist eine deutsche Mannschaft in Deutschland schlecht - denn das ist zu wenig."

Allerdings ist van Gerwen, 55, auch ein Geschäftsmann, ein sehr gewiefter sogar, wie viele versichern. "Ich komme von ganz unten", sagt der vermeintliche Gutmensch aus Sint-Oedenrode, einer kleinen Gemeinde nahe Eindhoven. Mit 15 hat van Gerwen, ältestes von sieben Geschwistern, als Koch angefangen. Dann hat er sich im Hausmeisterei-Management hochgedient. Als Besitzer (und letztlich Verkäufer) einer florierenden Fahrer-Agentur, die Profis an Veranstalter vermittelte, hat der einstige Sprinter nebenbei einiges von dem Geld verdient, das er ins Team Milram brachte.

Die alte Struktur verschwindet

Jetzt wähnt sich van Gerwen seinem Ziel nahe, er formuliert es selbstbewusst: "Wir wollen im nächsten Jahr in der Lage sein, jedes Rennen, an dem wir teilnehmen, auch zu gewinnen." Die Tour de France schließe das ein. Doch einen Rundfahrer besitzt Milram noch nicht. Der vermutliche Zugang Markus Fothen hat sein Potential nicht mehr bestätigt, und Gerolsteiners Bergkönig Bernhard Kohl war zu teuer; der Österreicher wechselt zum belgischen Lotto-Rennstall. Auch deshalb soll neben dem Kölner Sprinter Gerald Ciolek unbedingt dessen Columbia-Kollege Linus Gerdemann zu Milram kommen. Der talentierte Münsteraner steht noch bis 2009 beim T-Mobile-Nachfolger unter Vertrag. Bisher hatte sich Manager Bob Stapleton nicht bewegt. Doch neuerdings gebe es mit dem Amerikaner "positive Gespräche". Offenbar wird nur noch um die Ablösesumme gefeilscht. Gerdemann selbst kann es kaum erwarten, er sagt: "Ich kann mir sehr gut vorstellen, künftig für ein deutsches Team zu fahren - ich weiß nur noch nicht, wann künftig ist."

Van Gerwen will seine Vergangenheit hinter sich lassen, und damit auch eigene Fehler. Wie jenen vor zwei Jahren, als seine Stimme in der ProTour-Teamvereinigung fehlte, um das Team Discovery Channel trotz dessen anrüchigem Skandaltransfers Ivan Basso auszuschließen. "Das war falsch", sagt er heute und ballt umgehend die Faust - er wolle "jetzt richtig kämpfen" für die Krisenbranche. Auch aus diesem Grund kappt er zurzeit alle Verbindungen nach Bergamo, wo bisher noch das Teambüro stationiert war. Vermieter: Gianluigi Stanga, also jener italienische Teambesitzer alter Schule, der die Milram-Lizenz nach Jörg Jaksches Dopinggeständnis verkaufen musste. Das Team Milram richtet gerade in Dortmund eine neue Zentrale mit Leistungszentrum ein.

Bisher bestimmten Stangas Strukturen und Personal den Alltag. Zum Jahresende laufen die Verträge von Betreuern - darunter Stangas Sohn - und zweier Sportchefs aus. Ein homogenes Team soll jetzt entstehen, mit den Leadern Gerdemann, 25, und Ciolek, 21. Der anerkannte Geschäftsmann van Gerwen sagt: "20 Fahrer, von denen jeder ein Rennen gewinnt, bringen nichts - ich brauche loyale Helfer und ein, zwei Fahrer, die 20 Rennen gewinnen." Deshalb hat er auch Russ genommen.

© SZ vom 30.08.2008/mb - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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