Radsport:Mint wie die Hoffnung

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Jan Ullrich wähnt sich im Team Bianchi endlich in guten Händen und testet bei der heute beginnenden Deutschlandtour die Form.

Andreas Burkert

(SZ vom 3.6.2003) - An die Vergangenheit erinnern nur noch die Kennzeichen der Mannschaftswagen, es sind noch die alten, sie beginnen mit E. E für Essen. Dort war das Team Coast stationiert, doch Team Coast gibt es nicht mehr.

Jan Ullrich in Fahrt. (Foto: dpa)

Die Zukunft ist mintgrün, sie ist: celestefarben. Es ist die Farbe von Bianchi. Der italienische Fahrradhersteller aus der Provinz Bergamo hat den insolventen Coast-Rennstall übernommen, das Material, die Lizenz und den Star: Jan Ullrich, 29, Deutschland. Stefano Viganò, Marketingchef des Unternehmens, sagt gerührt: "Wir kehren zurück in die Vergangenheit."

Bewegte Vergangenheit

Bianchi, die Klassikmarke, mit der einst Italiens Idole Coppi und Gimondi ihre Siege einfuhren, ist erstmals seit vier Jahrzehnten wieder mit seinem Namen im Rennbetrieb vertreten. Da haben sich zwei prominente Partner mit einer bewegten Vergangenheit gefunden, die sich zur Präsentation am Montagnachmittag vor der Dresdner Elbkulisse am Sächsischen Landtag verabredet haben. Ullrich und die Italiener.

Für den Rostocker ist es die zweite Teampräsentation binnen sechs Monaten, nachdenklich steht er in der Ecke, während die Fotografen Positionskämpfe austragen. Coast hatte ihn im Januar vorgestellt, doch für seinen damaligen Partner, den finanziell angeschlagenen Modeverkäufer Günther Dahms, findet Ullrich kein gutes Wort mehr. "Er hat uns gezielt verarscht", hat er am Wochenende gesagt.

Zweiter Neuanfang

Jetzt trägt er wieder ein neues Trikot, es steht ihm ganz gut, ihm und den anderen 18 Fahrern, die aus der Konkursmasse von Coast übergewechselt sind. "Erst fand ich es extravagant, es hat etwas gedauert", sagt Ullrich, "aber je öfter ich es ansehe, desto schöner wird es - es ist ja ein bisschen auf alt getrimmt, und das ist ja in." Mintgrün ist die Hoffnung, Ullrich und sein Betreuer Rudy Pevenage haben am Montag ihren zweiten Neuanfang gestartet.

Ende Dezember hatte Pevenage spontan bei Team Telekom gekündigt, Anfang Mai war Coast pleite. Pevenage, der früherer Klassikerspezialist, hat über seine Kontakte in die Szene den Deal mit Bianchi eingefädelt. Am Montag blinzelt er in die glühende Frühsommersonne über Dresden und sagt: "Das waren sechs Monate, die ich so schnell nicht wieder vergessen werde." Ab heute sitzt er wieder im Mannschaftswagen, in Dresden startet die Deutschland-Tour.

Fünf Millionen Euro-Etat

Die Manager von Bianchi werden noch ein paar Bilder machen, sie haben günstig einen funktionierenden Rennstall der Topclub-Kategorie erstanden. Knapp fünf Millionen Euro soll der Etat betragen. "Wir planen das zunächst mal für drei Jahre", erklärt Thomas Kristensen, Direktor der schwedischen Muttergesellschaft von Bianchi, Cycleeurope. "Wir brauchen noch einen Co-Sponsor, und dann werden wir lange Jahre Spaß an diesem Team haben." Kristensen hat sich einen Fotoapparat mitgebracht. Von seiner Firma erhält Jan Ullrich einen Vertrag bis einschließlich 2005.

Der Kapitän soll rund 1,5 Millionen Euro verdienen, etwa 500.000 weniger als bei Coast. Alle Fahrer des deutschen Rennstalls haben Einbußen von gut einem Drittel hinzunehmen. Aber sie sind wieder guter Dinge. "Ich gucke die nächsten Tage mal aufs Konto", sagt der Rostocker Profi Raphael Schweda. Sie haben ihm die erste Überweisung für Anfang Juni zugesagt.

Für die Seriosität im neuen Ullrich-Team ist Jacques Hanegraaf zuständig, Niederländer und früherer Rennfahrer. Mit Freund Pevenage führt er die Betreibergesellschaft Cycles BV. Schweda vertraut der neuen Organisation, erst recht seit der Präsentation von Dresden. "Wir haben jetzt alle die gleichen Turnschuhe und Trainingsanzüge - Januar ist das nicht so gewesen." Euphorie herrsche zwar nicht, "dafür haben wir zu viel mitgemacht". Aber Aufbruchsstimmung, "das auf jeden Fall".

Test für die Tour

Jan Ullrich soll die Stimmung in den nächsten Tagen steigern, nach der jüngsten Zwangspause dient ihm die prächtig besetzte Deutschland-Rundfahrt als ernsthafter Test für die Tour de France (5. bis 27. Juli). Bei der Königsetappe am Samstag mit der Ankunft auf dem Feldberg und beim Einzelzeitfahren tags "will ich mich zeigen", teilt er am Montag mit. "Doch um den Gesamtsieg kann ich nicht mitfahren." Das gelte übrigens auch für die Tour.

Angel Casero sitzt neben ihm, der spanische Vuelta-Sieger von 2001 gilt als zweiter Anwärter auf eine Führungsrolle im Team Bianchi. "Jan und ich sind stark genug", sagt er vage, "wenn es drauf ankommt, muss der eine für den anderen fahren." Jan Ullrich und seine Kollegen reden wieder über Sport. Nicht mehr über eine unangenehme Vergangenheit.

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