Radsport:Held der Arbeit

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Bei Rolf Aldags Abschied fließen Schweiß und Champagner.

Andreas Burkert

Die Kantine der Westfalenhalle ist nicht unbedingt ein idealer Ort für ein Frühstück zur Mittagszeit, wenn draußen die Herbstsonne scheint. Unten im Bauch der Dortmunder Veranstaltungsarena wirft die Deckenbeleuchtung ein trübes Licht in den Raum, und darin sieht Rolf Aldag noch ein wenig müder aus, als er das ohnehin schon ist.

Sieger lassen es spritzen: Aldag beim Dortmunder 6-Tage-Rennen. (Foto: Foto: AP)

Im Morgengrauen ist er erst ins Bett gekommen, und nun drückt er sich Brötchen mit Nutella in den Mund. Sechstagerennen verbreiten heute den Charme einer vergangenen Zeit, vor allem in der Westfalenhalle, in dieser Zeit roch Sport noch sehr aufdringlich nach Arbeit und Schweiß.

Es ergibt also vermutlich sehr viel Sinn, dass Rolf Aldag, 37, in diesem Ambiente seine Karriere beendet. Er ist ja irgendwie selbst jemand aus einer anderen Zeit.

Dass er jetzt aufhört, nach 15 Profijahren im Rennsattel, sei ihm noch nicht wirklich bewusst, sagt Rolf Aldag. Sein letztes Straßenrennen hat er vor drei Wochen in der Lombardei bestritten, doch welchen Platz er dort belegt hat (den 84.), weiß er nicht. Er hat sein Trikot ausgezogen, wie immer, "weil Duschen mit Trikot nicht so gut ist".

In Dortmund nun ist er letztmals mit seinem Freund und langjährigen Zimmerpartner Erik Zabel ein Rennen gefahren, und Dienstagnacht haben sie dort die 64. Sixdays gewonnen. Vielleicht fährt Aldag noch in Bremen und Berlin im Kreis, er weiß das noch nicht.

In Dortmund sind jedenfalls keine Tränen geflossen, nur Champagner. Erst im Frühjahr werde er wohl kapieren, dass es vorbei ist, sagt Aldag. "Jetzt gehen ja alle in den Urlaub."

In Rolf Aldag verlässt kein gewöhnlicher Radprofi das Peloton, obwohl er für viele stets ein Mann aus der Masse gewesen ist, ein Helfer eben. Aldag ist, wie einst Udo Bölts, so etwas wie das gute Gewissen des besten deutschen Profi-Teams gewesen.

Selbst den launischen Kumpel Zabel hat er ordentlich angeblafft, wenn der mal wieder mit seiner Berliner Schnauze daneben gelegen hatte. "Rolf ist ein ehrlicher Charakter, der hat mir öfter die Meinung gesagt", sagt Zabel.

Aldag, der Postbeamtensohn aus Ahlen in Westfalen, ist aber vor allem ein Held der Arbeit gewesen. Er verausgabte sich immer bis zum Letzten. Aldag war bei allen großen Erfolgen der Magenta-Equipe dabei, bei Zabels Siegen und den Tour-Erfolgen von Riis und Ullrich.

Doch seinen Wert für das Kollektiv hat man wohl am ehesten bei der weniger ruhmreichen Tour 2002 verstanden, als er abends mit gequältem Blick eintraf. Aldag hielt damals mit gebrochener Rippe bis Paris durch. Im Jahr darauf raste ihm vor einer Verkehrsinsel Carlos Sastre ins Rad, und Aldag zeigte einen sagenhaften Salto.

Wieder kam er in Paris an, und auf den Champs Élysées hockte er dann gedankenverloren auf dem Rahmen, minutenlang. Zabel sagt: "Für seine enorme Härte habe ich ihn immer bewundert."

Vielleicht hat Aldag nur besser als andere verinnerlicht, wo er herkommt. Sein erstes Rennrad haben ihm die Eltern quasi nur leasen können, "für sieben Mark im Monat". Mit 15 begann Aldag eine Lehre zum Werkzeugmacher, "dreieinhalb Jahre habe ich nicht einmal frei gekriegt". Aldag hat sich trotzdem hochgearbeitet, ehe er bei den Profis merkte, "dass ich nicht der Mann bin, der für 200 Kilometer die Verantwortung tragen will".

Und von Dopingmitteln habe er sich sowieso nicht in einen Siegfahrer verwandeln lassen wollen, versichert er: "Meine Schwester hat mir früher den Sattel gefönt, wenn er nass war, da hätte mein Vater mir den Kopp abgeschlagen - nee, so einen Scheiß anzufangen, da hätte ich Probleme mit gehabt."

So ist Aldag der beste Adjutant geworden. Ein Etappensieg bei der Tour de Suisse steht in seiner Liste, die Deutsche Meisterschaft 2000, der Gewinn der Bayernrundfahrt 1999 und natürlich der Tag im Bergtrikot der Tour 2003. Doch meistens presste Aldag seinen langen Oberkörper in die Waagerechten, krallte sich am Lenker fest und bolzte bei Wind und Wetter wahnsinniges Tempo für den Kapitän.

Er war geschaffen für die Drecksarbeit und somit auch für Paris-Roubaix, durch die "Hölle des Nordens" ist er unglaubliche 15 Mal gefahren; dreimal belegte er dort sogar Rang neun. Hinterher stand er mit seinem verdreckten Körper in den legendären, steinernen Duschkabinen, der Held aller Arbeiter. In Roubaix entstanden von Aldag stets wunderschöne Schwarzweißfotos. Bilder aus einer anderen Zeit.

Rolf Aldag hört nun auf, obwohl er Angebote hatte, auch vom neuen Zabel-Team. Doch er wird noch einmal Vater und hat sich spätestens nach seiner Begegnung mit einer Leitplanke bei der Vuelta gefragt: "Mir geht's nicht schlecht - muss ich noch mein Leben riskieren?"

Den Tod auf der Landstraße hat er ohnehin nie vergessen. Bei der Tour 1995 raste Fabio Casartelli gegen eine Betonpfeiler, Aldag sah ihn in seinem Blut liegen. "Mit 21 war ich bereit, im Rennen zu sterben", sagt Aldag, "aber das ändert sich eben."

Um Rolf Aldags Zukunft braucht man sich nicht zu sorgen, T-Mobile beschäftigt ihn weiter, zunächst als Repräsentanten. Und fürs Fernsehen wird er wieder die Tour kommentieren wie diesen Juli, als sich Aldag mit klaren Sätzen und trockenem Westfalen-Humor zum heimlichen Star der Übertragungen mauserte.

Ansonsten ist er auf seinem Bauernhof in Ahlen gut beschäftigt. Dort ersetzen sechs zottelige Galloway-Rinder zwar den Rasenmäher, doch zu tun gibt es genug. Und Erik Zabel wird er sicherlich mal beim Training treffen, er wohnt ja in der Nähe. Ihre Wohngemeinschaft ist nun allerdings endgültig aufgelöst, und Zabel findet, das habe zumindest eine gute Seite. "Denn Rolf atmet beim Schlafen schwer, das ist ein tiefes Schnaufen und Stöhnen - und wenn er verschnupft ist, ist es sogar ein Pfeifen."

© SZ vom 3.11.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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