Radsport:Eine Krise als Magnet

Lesezeit: 4 min

Klöden schweigt, Sünder Zabel wird als Held gefeiert, und Schumacher siegt konzentriert. Trotz des Dopingskandals herrschte "Superstimmung" bei der Bayern-Rundfahrt.

Andreas Burkert

Die Nacht ist angebrochen in Rothenburg, die Altstadt ist verwaist. Um kurz nach zehn. Gleich wird der "Nachtwächter" ins Gewölbe am Alten Rathaus kommen, wie jeden Abend, dem mittelalterlichen Stadtführer folgen ein paar Dutzend Touristen. Die Gegenwart des deutschen Radsports steht dagegen einsam auf dem Marktplatz, sie hat keinen Blick für die historischen Fassaden oder das Deutsche Weihnachtsmuseum, das zwölf Monate im Jahr Adventsschmuck an ziemlich aufgeregte Japaner verkauft. Stefan Schumacher, 25, Matthias Kessler, 27, und David Kopp, 28, die Gegenwart des deutschen Radsports, sie diskutiert wohl gerade über die Vergangenheit, Satzfetzen wie "Fahrersprecher" fliegen über den Platz. DAS Thema beschäftigt die drei Profis ganz offensichtlich auch abends.

Stefan Schumacher, Gewinner der 28. Bayern-Rundfahrt. (Foto: Foto: dpa)

Es wäre zumindest erfreulich.

Denn ansonsten hat man ja während der 28. Internationalen Bayern-Rundfahrt den Eindruck haben dürfen, als sei das Thema längst fortgezogen, so rasch wie eine Schlechtwetterfront an der See. Erik Zabel, der hier nach seinem Epo-Geständnis zurückgekehrt ist in den Sattel, zeigte zwar nach seinen beiden Etappensiegen stets verhalten Freude, das schon; es war eine stille Freude und wohl eine Rücksichtnahme auf die Kollegen. Vielleicht auf jemanden wie Andreas Klöden, den Tourdritten aus Cottbus, der nicht mehr mit deutschen Medien spricht, weil die nur über das Thema redeten. Klöden, 31, fährt jetzt für das geheimnisvolle schweizerisch-kasachische Astana-Team, und in Rothenburg sagt er kühl, gegen seinen Freund Jan Ullrich lägen nur Indizien vor. Und keine Beweise.

Wahrscheinlich hat Zabel also doch eher auf jemanden wie Bert Grabsch Rücksicht genommen, der Gesamtzweiter werden sollte hinter Stefan Schumacher, dem beeindruckenden Sieger des Zeitfahrens vom Samstag. Grabsch steht am Sonntagmorgen auf dem Rothenburger Marktplatz, und dass der geständige Dopingsünder Zabel "hier noch als Held gefeiert wird", das findet der T-Mobile-Profi "dann doch übertrieben". Zwei Wochen Pause hätte er besser gefunden.

Bert Grabsch, 31, ist zum Thema und dessen Begleiterscheinungen eigentlich ein ganz guter Gesprächspartner, denn der Wittenberger fuhr zuletzt für Phonak. Das Team Phonak gibt es nicht mehr, der Rennstall wurde dicht gemacht nach einem Dutzend Dopingfällen mit dem Höhepunkt im vorigen Tourjuli - als Kapitän Floyd Landis, der Sieger der Frankreichrundfahrt, positiv getestet wurde. Doch Grabsch sagt, ihm habe er schon damals nichts anhaben können: der Generalverdacht, der über Phonak schwebte und nun über einer kompletten Sportart. "Ich hatte nie ein schlechtes Gewissen, ich habe damit nichts zu tun", sagt Grabsch und ergänzt, er finde das wirklich gut, dass nun alles aufgeklärt werde. Doch Ablehnung vernehme er nicht, "die Stimmung ist super hier", und das müsse auch so sein. "Denn die 21-jährigen Profis können doch nix für die Vergangenheit."

Rolf Aldag hat einen Termin beim BKA

Superstimmung bei der Bayern-Rundfahrt, alle erzählen davon. Nicht nur Zabel wird ja gefeiert, Gerolsteiner-Profi Schumacher sagt: "Wir sind eigentlich skeptisch hierhin gekommen, aber die Woche war super. Selbst in den Dörfern was's voll, wie bei der Deutschland-Tour." Man kann auch den Fotografen Hennes Roth, 57, fragen, der Rheinländer folgt dem Peloton seit drei Jahrzehnten mit dem Objektiv, und Roth sagt dann: "Superstimmung, die Zuschauer haben damit nichts am Hut." Mit dem Thema. Oder man fragt Ewald Strohmeier, 58, den Rundfahrtchef, der in Rothenburg Schumacher im Gelben Trikot an die Startlinie schiebt; damit er neben dem Bürgermeister und dem Sponsor steht, wenn Roth und die anderen den Auslöser drücken. "Das Geständnis von Erik Zabel war eine Riesenwerbung für die Bayern-Rundfahrt", sagt Strohmeier stolz, "es waren so viele Zuschauer wie nie, wir waren der Magnet."

Eine Krise als Magnet, wie bei einem Unfall auf der A3. Paradox, oder?

"Warum paradox", fragt Strohmeier, "die Leute wollen halt die Fahrer sehen."

Einige Leute haben auch Rolf Aldag gesehen, er ist am Sonntagmorgen zum Start nach Rothenburg gekommen; es ist sein erster Auftritt am Streckenrand nach seiner Fernsehbeichte mit Zabel vor elf Tagen. Aber aufs Fernsehen, das nebenbei, sind die Menschen hier nicht mehr gut zu sprechen; bayerische Hausfrauen raunen den Kameramännern zu, ihr Sender zeige ja ohnehin "nur noch dieses Doping". Den Wandel der Stationen verstehen sie nicht: dass das Thema früher im Fernsehen partout ausgeklammert wurde - und nun plötzlich Sondersendungen die Rennberichte vertreiben.

Rolf Aldag hört das nicht, er sieht inzwischen wieder etwas besser aus. "Und ich musste sogar ein paar Autogramme schreiben", sagt er. Doch vor dem Start sitzt der Westfale lieber im Mannschaftsmobil und plaudert mit seinen T-MobileFahrern, denen er vergangene Woche mehrfach per E-Mail Rundbriefe geschrieben hat. Es waren Entschuldigungen. "Denn das trifft jetzt auch die Mannschaft", sagt der Sportchef Aldag, er meint das Thema.

Dass Aldag Sportdirektor bleiben durfte, hat sehr viel Widerspruch provoziert. Aldag sagt, er verstehe das. Er hat ja alle ewig angelogen. Natürlich hätte er spätestens damals, nach Jan Ullrichs Suspendierung vor dem Tourstart, die Wahrheit sagen sollen. "Aber ich dachte halt, wenn ich die Vergangenheit jetzt noch oben draufpacke, gibt es nicht diese Chance für den Neuanfang." Er hinterfrage sich weiter und wisse nicht, wie alles enden werde mit ihm. Denn Aldag hat - wie Zabel - nur das zugegeben, was nötig war, was die Verjährungsfristen hergaben, er räumt das inzwischen ein. Er wolle jedoch bald viel mehr erzählen, versichert er, "über die Systematik, Hintergründe, Schemata". Doch nicht im Fernsehen, "sondern bei offiziellen Stellen, das ist sinnvoller". Montagmorgen um halb acht hat er deshalb einen Termin beim Bundeskriminalamt in Wiesbaden.

Nach der Schlussetappe in Fürth wird Erik Zabel noch einmal gefeiert von den vielen Tausend im Ziel: Zweiter hinter seinem Milram-Partner Sebastian Siedler. Schumachers Gelb war nicht mehr gefährdet, und der Schwabe freut sich wirklich über den Erfolg. Im April, nach seinem Sieg beim Amstel Gold Race, hatte Schumacher noch geklagt, die Enthüllungen des früheren Telekom-Pflegers Jef D'hont hätten ihm die schönste Woche seines Lebens vermiest. In Bayern nun stand zwar erneut weniger seine Siegpremiere im Mittelpunkt. Sondern Zabel, der geständige Magnet. Aber Schumacher sagt, er nehme das jetzt so hin. "ch konzentriere mich nur noch auf mich."

Die Siegerehrung in Fürth nimmt "der Regierungsvizepräsident der Bezirksregierung Mittelfranken" vor. Er sagt, die Rundfahrt habe "Mittelfranken viel Freude gemacht".

© SZ vom 4.6.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: