Radsport:Ein Team geht Pleite

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Wie "Coast" zu "Bianchi" wurde.

Andreas Burkert

(SZ vom 5.7.2003) - Günther Dahms hat einmal über sich gesagt, er sei "ein Bekloppter, ein Radsport-Verrückter eben". Die Menschen, die um ihn herum standen, haben damals mit ihm gelacht; der Mann war ihnen sympathisch. Dahms ist ein schüchterner, klein gewachsener Mann aus dem Ruhrgebiet.

Im Januar hatte er seinen großen Auftritt, als er im vornehmen Casino Zollverein Essen seinen spektakulärsten Deal präsentierte - er hatte Jan Ullrich eingekauft, den radelnden Helden der Deutschen. Doch das Team Coast, benannt nach einer zwischen Rhein und Ruhr verteilten Boutiquenkette des Textilhändlers Dahms, gibt es nicht mehr. Der Radsportweltverband UCI hatte Coast die Lizenz entzogen, weil Belege für Bankbürgschaften und Gehaltszahlungen an die 40 Angestellten des Rennstalls nicht eingegangen waren.

Die Coast-Mannschaft startete 1997 erstmals bei den Amateuren, in den vergangenen zwei Jahren steckte Dahms je fünf Millionen Euro in das aufstrebende Profi-Team. Sein Traum war der Start bei der Tour de France.

Mit Jan Ullrich sollte das gelingen, Dahms hatte ihm für drei Jahre mehr als sieben Millionen Euro versprochen. Der Tour-Sieger von 1997, so hatte sich Dahms das vorgestellt, sollte auch weitere Sponsoren locken. Sein Poker ging nicht auf: Die Firmen hatten ihre Jahresbudgets längst vergeben. Team Coast ging Pleite.

Inzwischen sind die Coast-Aufkleber von den schwarzen Mannschaftswagen verschwunden, nur die Kennzeichen erinnern an die Vergangenheit: "E" für Essen. Der Rennstall heißt heute Team Bianchi; der italienische Radfabrikant hat den Rennstall im Mai übernommen.

Ullrich und die meisten Fahrer sind geblieben - zu verminderten Bezügen. Bianchi hat dafür Planungssicherheit für drei Jahre garantiert, "wir wollen spätestens 2004 mit Jan um den Tour-Sieg kämpfen", sagt Thomas Kristensen, Manager der Bianchi-Mutter Cycleurope.

So unrühmlich die Posse um Coast ablief, so unspektakulär ist der Vorgang für den Radsport: Große Firmen, von der französischen Supermarktkette bis zum spanischen Blindenlotto, engagieren sich und ziehen sich wieder zurück - weil sie in Finanznöte geraten, oder weil sie das Ziel erreicht sehen, den eigenen Bekanntheitsgrad zu steigern. Zum Ende der vergangenen Saison verschwand der Name des italienischen Baustoffunternehmens Mapei aus den Startlisten, nachdem das größte Radsportteam der Welt das knallbunte Logo fast ein Jahrzehnt spazieren gefahren hatte.

Der Firmenchef begründete den Ausstieg mit den zahlreichen Dopingfällen. Der damalige Co-Sponsor Quick Step hat die Lizenz zum Fahren übernommen. Quick Step startet nun ab Samstag bei der Tour.

Bereits seit den Anfängen der Frankreich-Rundfahrt gehen Firmengruppen an den Start. Peugeot schickte schon bei der zweiten Tour 1904 eine eigene Equipe ins Rennen. Heute sind ProfiTeams ein lohnendes Engagement: Der Radsport hat sich bei den Fernsehzuschauern nach einer Analyse der Kölner Agentur Sport+Markt hinter Fußball auf Platz zwei vorgearbeitet. Es soll 41,5 Millionen Fans in Deutschland geben.

"Vier bis sieben Millionen Euro" betrage der Etat der großen Teams, glaubt UCI-Präsident Hein Verbruggen - eine moderate Schätzung. Die Deutsche Telekom alimentiert ihre Radsportgruppe mit geschätzten neun Millionen Euro, bis 2005 läuft der Sponsoringvertrag. "Etwa 85 Prozent unseres Etats trägt die Telekom", erklärt Team-Sprecher Olaf Ludwig, den Rest übernähmen "23 kleinere Firmen und Ausrüster".

Verbruggens Verband will im Rahmen einer Reform "die Abhängigkeit von Hauptsponsoren reduzieren und ein Engagement von mehreren größeren Geldgebern vorschreiben: Wir müssen die Teams auf ein breiteres Fundament setzen". Der Fall Coast hat den UCI alarmiert.

Mit Günther Dahms redet Jan Ullrich übrigens nicht mehr. Dabei ist Dahms einer seiner größten Fans gewesen; der Self-made-Millionär stand an der Strecke, als der Rostocker im Sommer 2000 in Sydney zum Olympiasieg fuhr. Jetzt sind Dahms nur ein paar Erinnerungsfotos geblieben, sie hängen im Büro in Essen-Kettwig. Die Tour sieht er im Fernsehen.

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