Radsport:Dampfer ohne Kapitän

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Jan Ullrich streitet mit seinem alten Arbeitgeber Bianchi und fehlt bei der Präsentation des neuen Team T-Mobile.

(SZ vom 25.11.2003) — Walter Godefroot lächelte gequält, als er mit einstündiger Verspätung den zart schaukelnden Rheindampfer "Asbach" betrat. Man hatte inzwischen genervt auf ihn gewartet, den Manager des Bonner Radrennstalls T-Mobile, vormals Team Telekom, auf ihn und seine 25 Fahrer.

Der Sponsor lud ein ans Kölner Rheinufer, um seine Mannschaft für die Saison 2004 zu präsentieren, doch irgendwie entwickelte sich der Termin zu einer kleinen Blamage. Denn Jan Ullrich fehlte, und auch Walter Godefroot vermochte die peinliche Situation nicht zu retten, obwohl ihm zur Begrüßung ein passabler Spruch glückte, als er sagte: "Es ist ein Kapitän an Bord, das ist leider einer zu wenig."

Ein angestrengter Blick

Jan Ullrich befand sich derweil auf der "Schäl Sick", wie der Kölner das rechts-rheinische Ufer nennt, die falsche Seite. Dort wohnte er seit Donnerstagabend mit seinen künftigen Teamkollegen im "Dorint", doch als sich gestern Morgen die Gruppe im Foyer zur werbewirksamen Rheinfahrt versammelte, war er nur kurz zu sehen. Mit angestrengtem Blick.

Nach hektischen Telefonkonferenzen und Gesprächen mit Anwälten und seinem derzeitigen Arbeitgeber, der niederländischen Betreibergesellschaft des Teams Bianchi, stand fest: Ullrich fährt nicht mit. Er reiste ab. Die Sache sei ihm zu "riskant", ließ er wissen, schließlich gehe es um viel Geld. "Ich habe noch Vertrag bis zum 31. Dezember beim Team Bianchi und so lange offizielle Verpflichtungen", sagte er, "mein Vertrag mit T-Mobile gilt ab Januar."

Seit einigen Wochen bemüht ein Streit um mehr als 600.000 Euro die Anwälte. Die Bianchi-Betreiberfirma "Cycle bv" hat seit August die ausstehenden Gehaltszahlungen an den diesjährigen Tour-Zweiten "aufgeschoben", wie deren Gesellschafter Jacques Hanegraaf den Vorgang bezeichnet. Seit Anfang Oktober ist der niederländische Finanzmanager (und frühere Telekom-Profi) mehr denn je überzeugt, zumindest einen Teil der Summe einbehalten zu dürfen.

Damals hatte Ullrich in der Bonner T-Mobile-Zentrale seinen Wechsel von Bianchi bekannt gegeben, die Pressekonferenz übertrug das Fernsehen live. Hanegraaf versteht das frühzeitige Bekenntnis zum neuen Arbeitgeber als Vertragsbruch. Ob er Ullrichs gestrigen Auftritt vor den magentafarbenen Bannern mit einer gerichtlichen Verfügung erwirkt habe, mochte Hanegraaf nicht bestätigen.

"Ich glaube, dass ich das tue, was jeder logischerweise tun würde", sagte er knapp, "ich habe bis heute nichts von der Präsentation gewusst und halte so ein Vorgehen für nicht in Ordnung." Ullrichs Manager Wolfgang Strohband entgegnete dem in Köln, man habe sich "nichts vorzuwerfen, aber wir wollen der Gegenseite jetzt nicht Munition liefern". Dazu hatten ihm seine Anwälte geraten, die am Donnerstag mit Hanegraafs Rechtsvertretern verhandelt hatten. Ergebnislos.

Somit endet für Ullrich das Jahr 2003, wie es begonnen und sich über Monate fortgesetzt hatte - mit lästigen Randerscheinungen wie anwaltlichem Schriftverkehr. Nach den Zahlungsschwierigkeiten bei Coast samt Lizenzentzug hatte der Rostocker Ende September seinen Abschied vom Nachfolgeteam Bianchi verkündet, da Bianchi nicht den dringend benötigten Co-Sponsor aufgetrieben habe.

"Wenn sie Ende August, wie vertraglich abgemacht, etwas gehabt hätten, hätte ich überhaupt nicht überlegt zu wechseln", sagt Ullrich. Hanegraaf indes lässt diese Abmachung nicht gelten. Er argumentiert, Ullrichs frühzeitige Entscheidung habe die Chancen bei der Sponsorensuche zunichte gemacht. Zudem habe der Kapitän nur auf die für Bianchi wichtigen Herbstrennen in Italien verzichten dürfen, wenn er auch 2004 für den Ausrüster fahre.

Hanegraaf, der bereits bei früheren Engagements (Farm Frites) im Rechtsstreit schied, kann in der Auseinandersetzung allerdings nicht auf Unterstützung der Bianchi-Holding "Cycleurope" bauen. Wie deren Manager Thomas Kristensen bestätigte, sei Bianchi zwar "weiterhin verärgert, dass Jan Ullrich nicht bei uns geblieben ist". Doch an einem gerichtlichen Nachspiel sei man nicht interessiert. "Für uns ist das Thema Radsport erst mal erledigt, wir planen keine rechtlichen Konsequenzen und kooperieren nicht mit Herrn Hanegraaf."

Kristensen äußerte allerdings ebenfalls Unverständnis über Ullrichs Präsentation im Oktober, "denn so lange er unserem Namen trägt, sind alle Termine außerhalb anzumelden". Eben dies sei nicht geschehen. Für den Radsport ist der drohende Rechtsstreit ein Novum. Die offizielle Wechselfrist beginnt am 1. September, "sich danach bei einer Präsentation zu zeigen, ist nicht ungewöhnlich und verstößt nicht gegen unsere Regeln", er-klärt Alain Rumpf, Koordinator des Weltverbandes UCI.

Auch Godefroot kann vermeintliche Regressansprüche nicht nachvollziehen, "es ist doch normal, sich zum Jahresende bei so einem Meeting auf eine neue Saison vorzubereiten", sagte der Belgier. Ob dies auch arbeitsrechtlich in Ordnung ist, klären nun wohl Gerichte. Die "Asbach" legt übrigens Samstag wieder ab.

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