Radsport:Brust raus!

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Rudolf Scharping poltert, und Erik Zabel steigt blass wieder auf - der Radsport versucht in Bayern den Neustart.

Andreas Burkert, Garmisch

Die Garmischer Blaskapelle sorgt für Stimmung, in ihrer schönen Tracht musiziert sie auf der Bühne der Kongresshalle. Fesch sehen die Burschen aus in ihren Lederhosen, der hölzern getäfelte Saal füllt sich. Und wenn draußen ein weiteres Rentnerpärchen durchs Eingangsportal spaziert, fragen sie die Ordner: "Und, kommt der Zabel?"

Erik Zabel: Autogramme auf die Shirts von Kollegen. (Foto: Foto: dpa)

Zabel kommt. Er ist sogar schon da.

Die Bayern-Rundfahrt ist eine familiäre Veranstaltung, bei den Radprofis ist sie beliebt; diesmal ist das Feld des durchaus bedeutenden Etappenrennens vorzüglich besetzt. Aber darum geht es diesmal gar nicht. Sondern darum, wie der deutsche Radsport seinen Betrieb wieder aufnimmt nach den Dopingenthüllungen, die ja kein Ende nehmen. Erik Zabel, 36, ist das Gesicht dieses komplizierten Neustarts, er hat vorigen Donnerstag vor anderthalb Millionen Fernsehzuschauern unter Tränen Epo-Doping während der Tour 1996 gestanden.

In Garmisch-Partenkirchen ist dieses traurige Gesicht sehr blass, bevor es am Dienstagabend mit seinem Milram-Team zur Präsentation auf der Holzbühne erscheint. Der Sponsor hatte erst nachmittags die reuige Rückkehr ins Peloton genehmigt, wie das zu erwarten gewesen ist. Aber wie reagieren die Kollegen und das Publikum, und wie reagieren die Garmischer Rentner unten im Saal?

Erik Zabel wolle nicht reden, vielleicht Ende der Woche, hat der Milram-Sprecher versichert, aber natürlich redet Zabel doch; er will, das merkt man. "Aber ich setz' mich", sagt er und fällt in einen Sessel oben auf dem Saalbalkon. Er habe schlecht geschlafen seit Donnerstag, sagt er, "und Training, das war 'ne Katastrophe". Drei Tage hat der Trainingsweltmeister Zabel nicht trainiert, er hat stattdessen in sich hineingehört: "Soll ich fahren, soll ich noch warten?" Oder ganz aufhören? Und der Sprinter aus Berlin hat oft auf sein Handy geschaut und in die Nachrichten aus seinem Sport; einige positive Reaktionen seien dort eingetroffen, erzählt er, aber er vernahm eben auch die Stimme eines Danilo Di Luca. Der italienische Giro-Führende hatte sinngemäß gesagt, der deutsche Kollege habe Unsinn erzählt und helfe dem Radsport nicht weiter.

Lesen Sie im nächsten Teil: Zabels Ängste, Scharpings Geschwindigkeit.

Er wisse nicht, wie er von den Berufskollegen wieder aufgenommen werde, sagt Zabel noch, und wenn ihm zu viel Ablehnung entgegenstoße, "dann ist auch das Karriere-Ende eine Option". Fahrer von Gerolsteiner schlendern dann an seinem Sessel vorbei, sie müssen gleich auf die Bühne. Fabian Wegmann gibt Zabel die Hand und zwinkert freundlich, ebenso Peter Wrolich, der Österreicher. "Glückwunsch zum ...", sagt Wrolich, er vollendet den Satz nicht.

Geständnis. Das Wort fehlt ihm.

Dann ist Milram dran, Zabels Gesicht, das Gesicht einer irgendwie hilflosen Suche nach Vertrauen, es ist jetzt weiß. Doch die 500 im Saal feiern ihn, sie applaudieren wie bei keinem anderen der 119 Fahrer. Ein Klatschmarsch, als ob der CSU-Ministerpräsident einmarschiere. "Ete, Brust raus", ruft einer, und Zabel wirkt dankbar. "Den Tag heute habe ich genutzt, mich bei meinen Teamkollegen zu entschuldigen", spricht er ins Mikrofon. Er behandle die Sache nun eben wie einen Sturz auf den Asphalt. "Da ist meine Grundregel auch: Schnell wieder zurück aufs Rad, weiter fahren."

Einfach schnell weiterfahren. Wenn das so einfach wäre.

Rudolf Scharping ist sehr schnell unterwegs gewesen am Dienstagabend, vom Flughafen München nach Garmisch, er ist Präsident des Bundes Deutscher Radfahrer. Zur Pressekonferenz in Garmisch ist er angekündigt, "wir werden auch zum Thema Doping Stellung nehmen", hieß es in der Einladung. Neben dem früheren Verteidigungsminister sitzen Ewald Strohmeier, der Rennchef, und der Berliner CSC-Profi Jens Voigt. Beide sind gefragt in diesen Tagen; der BDR-Chef wegen der vielen Skandale, die auch den Verband erreicht haben. Und Voigt, weil auch sein Teamchef Bjarne Riis langjähriges Epo-Doping einräumen musste und sein früherer Kapitän Ivan Basso gestand, in den spanischen Dopingskandal um den Blutpanscher Fuentes verwickelt zu sein.

Lesen Sie im letzten Teil: Andeutung der Aufklärung, das Ausweichen der anderen Fahrer

Während also unten im Saal die Raiffeisenbank ein Rad verlost, erklärt Scharping im Obergeschoss, alles werde "lückenlos aufgeklärt, ohne Rücksicht auf Namen". Doch die Aufarbeitung hat Grenzen, zumindest muss sie Nerven kosten, diesen Eindruck vermittelt Scharping höchstselbst. "Ich bin nicht ausgerastet", wird er später zwar sagen. Die Wirkung ist jedoch eine andere gewesen.

Jens Voigt ist nach Riis' Vergangenheit gefragt worden, er weicht aus. Noch ist der Däne sein Arbeitgeber. Doch Bassos spektakulärer Betrug - "ist das nicht ein Schock gewesen?"

"Das Problem ist, dass Ivan ein feiner Kerl ist", antwortet Voigt. "Abends geht er nicht in die Hotelbar, er ruft seine Frau an und spricht mit seinen zwei Kindern; er hat vor drei Jahren seine Mutter tragisch verloren (...). Er ist eigentlich ein vernünftiger Kerl, von dem einen Problem jetzt abgesehen." Dann mal andersrum: "Was kann der Radsport tun, wenn gute Kerle wie Basso schwach werden?"

Voigt kann nicht antworten, obwohl das interessant wäre, wenigstens ein Jota Entrüstung zu vernehmen, vom Sprecher der internationalen Fahrergewerkschaft, der eigentlich das ist, was man eine Plaudertasche nennt. Denn Scharping schreit, was nur die Leute vom Fernsehen freut, sie zeigen den Ausbruch noch abends in den "Tagesthemen" und am nächsten Morgen und Mittag noch einmal:

"Könnt ihr nicht mal aufhören, jemanden auf der Seele rumzutrampeln!?", ruft Scharping. - "Das gehört aber doch zum Thema?" - "Nee, jetzt reicht's, jetzt reicht's, das gehört eben nicht dazu! (...) Mir geht das emotional gegen den Strich, dass man versucht, in einer Pressekonferenz jemanden gewissermaßen seelisch auszuziehen."

Er habe vier Kinder, "und meine Frau ist schwanger, ich will noch ein paar Jahre fahren", hat Jens Voigt, 35, hinterher noch gesagt. Und dass die Medien dem Radsport nur schaden wollten. Er hatte wohl auch Scharping gemeint, als er vorhin sagte, einige Leute würden versuchen, "das Haus abzufackeln, anstatt es zu reinigen". Ewald Strohmeier, 57, starrte in diesem Moment vor sich hin. Er macht das jetzt im 28. Jahr, doch in den "Tagesthemen" war seine Rundfahrt noch nie. Glücklich schaut er deshalb aber nicht aus. "Ich hoffe, wir überleben, trotz dieser Sachen", sagt Strohmeier.

Erik Zabel ist am Mittwoch auch beim Start in Garmisch-Partenkirchen sehr freundlich begrüßt worden, nur die fünf Kamerateams bedrängten ihn. Im Ziel in Gundelfingen war er Vierter (Sieger: André Schulze, Team Wiesenhof), und Erik Zabel ist rasch in den Bus gestiegen. "Ich denke, es ist genug gesagt", sagte er.

Unten, auf der Gundelfinger Hauptstraße, stand am Mittwoch eine Holzbühne. Abends spielte dort die Gruppe Kaufering. Rock 'n' Roll.

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