Philipp Lahm:Dobermann mit Zahnschmerzen

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Nach einem vorsichtigen Comeback in der Reserve meldet der FC Bayern: Das Talent und sein Knie sind wohlauf.

Jochen Breyer

Wann immer von Philipp Lahm die Rede ist, erzählt Werner Kern seine Geschichte. Es war vor vielen Jahren, als er gerade Jugendleiter beim FC Bayern München geworden war, da saß er mit einem seiner neuen Kollegen im Biergarten und hörte diesen sagen: "Wenn der Philipp Lahm es nicht in die Bundesliga schafft, dann schafft es keiner mehr." Philipp wer, fragte Kern? Er hatte diesen Namen noch nie gehört, am nächsten Tag durchwühlte er seine Akten und tatsächlich: Es gab einen Philipp Lahm in der Jugend des FC Bayern. Beim Training hatte Kern den Jungspund gänzlich übersehen. Kern besteht darauf: Damals war Lahm noch viel kleiner und schmächtiger als heute.

Philipp Lahm (Foto: Foto: dpa)

Warum diese fußballerische Parabel noch heute eine Bedeutung hat? Aus zweierlei Gründen: Erstens räumt sie auf mit der hundsgemeinen Mär, Philipp Lahm sei seit seiner Geburt nicht mehr gewachsen. Und zweitens lässt sich die Prophezeiung des Biergartenbesuchers wunderbar in die heutige Lebenslage des kleinen Mannes kopieren: Wenn es Philipp Lahm nicht schafft, nach seinem Kreuzbandriss zu alter Stärke zurück zu finden, dann schafft es keiner mehr.

Roque Santa Cruz, Lars Ricken und anderen Kreuzbandgeschädigten dürfte das jetzt einen Schrecken eingejagt haben, aber sie müssen sich wirklich keine Sorgen machen. Denn Philipp Lahm hat seine Wiedereinstandsgala in Regensburg prächtig verkraftet. Am Dienstag Abend spielte er für die zweite Mannschaft des FC Bayern, die manche auch FC Reha nennen, weil darin ständig angeschlagene Profibayern mitwirken. FC Reha, das mag spöttisch klingen, aber es hat auch etwas Gutes, denn obwohl die Bayern gegen Regensburg 0:1 verloren, hatten sie gleichzeitig gewonnen: Lahm und seinem Knie ging es gut.

Fast auf den Tag genau sechs Monate lang hatte Lahm nicht auf dem Platz gestanden. "Es war ein tolles Gefühl, mal wieder Vollgas zu geben", berichtete er, aber auch wieder nicht so toll, dass er gleich 90 Minuten davon haben wollte, denn in der Halbzeit ließ er sich auswechseln. "Ich brauche halt noch etwas Anlaufzeit", sagte Lahm. Er hatte als linker Verteidiger gespielt, kaum Fehler gemacht, und als er einmal von seinem Gegenspieler überlaufen wurde, da rächte er sich sofort, indem er im nächsten Angriff den Gegenspieler seinerseits überlief. In den Zweikämpfen aber war er noch sehr vorsichtig. Manchmal schien es, als ziehe er sein Bein spontan zurück, wie ein Dobermann, der zubeißen will und sich im letzten Moment daran erinnert, dass er ja Zahnweh hat.

Überrascht hat Lahms gutes Comeback natürlich nicht, weil sein Trainer Felix Magath es nicht für sich behalten konnte , wie fit sein Schüler ist. Magath plauderte vor Tagen aus: "Man merkt gar nicht, dass er verletzt war." Manche Menschen haben ja das ganze halbe Jahr lang nicht gemerkt, dass Lahm verletzt war und aussetzen musste, kein Wunder, so viel wurde über ihn gesprochen und geschrieben. Ab und zu war man sich nicht mal sicher, ob Bundesteamchef Jürgen Klinsmann überhaupt von der Verletzung wusste, denn fast nach jedem Länderspiel kam Lahms Name in Klinsmanns Analyse vor, obwohl Lahm in dem Länderspiel gar nicht mitgespielt hatte.

In Wahrheit aber hat Klinsmann seinen linken Verteidiger nur wahnsinnig vermisst, und jedes Mal von Lahms Rückkehr geredet, als einer seiner jungen Ersatzleute in der deutschen Abwehr mal wieder enttäuscht hatte. Das kam seit dem Confed Cup oft vor und deshalb wurde Lahm schon zum designierten Retter der Republik erklärt, während er noch an Krücken ging. "Es macht mich stolz, dass ich als 22-Jähriger so ein Ansehen habe", sagt Lahm, "aber ich glaube, dass ich mir das verdient habe durch meine Einsätze vor der Verletzung." Auch in schlechten Spielen der Nationalelf war Lahm meistens ein Trost, im Jahr 2004 hat er mehr Länderspiele bestritten als jeder andere deutsche Auswahlspieler.

Für die WM plant Klinsmann deshalb fest mit Lahm, auch wenn ihn der Gladbacher Marcell Jansen immer frecher vertritt, wie zuletzt gegen die Franzosen. 27 Nummern hat der Teamchef für die WM-Saison vergeben, eine wurde reserviert für Lahm. "Für die WM ist noch alles drin, ich habe ja noch ein halbes Jahr Zeit", sagt Lahm. Auch beim FC Bayern können sie seine Rückkehr kaum erwarten, weil Bixente Lizarazu auch nicht jünger wird und zuletzt sogar Bastian Schweinsteiger für die linke Abwehrseite geopfert werden musste. Schon am Samstag in Bielefeld wird Lahm erstmals zum Bayern-Kader gehören. Bei der Nationalmannschaft muss er sich noch etwas gedulden - die spielt erst wieder im März.

© SZ vom 17.11.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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