Pferdesport:Unterhaltung und Unglück

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Knapper Vorsprung: Jockey Adrie de Vries (vorne) auf dem Weg zum Sieg im 192. Deutschen Derby. (Foto: Sabine Brose/Imago)

Das Galoppspektakel beim Hamburger Derby ist getrübt vom Tod zweier gestürzter Pferde.

Eine Durchsage hallte über die Galopprennbahn von Hamburg-Horn, sie klang ein bisschen wie ein Achtung-Achtung-Ruf der Polizei. "Die Rennleitung überprüft den Ausgang des Rennens! Bitte behalten Sie Ihre Wettscheine!" Das Finish beim 149. Deutschen Derby, dem wichtigsten deutschen Rennen für dreijährige Vollblutpferde, erforderte einen zweiten Blick, denn Adrie de Vries auf Weltstar und Martin Seidl auf Destino hatten sich bis zum Zielstrich ein erbittertes Duell geliefert. Der erste Applaus galt Weltstar, aber nun lag eine Atmosphäre von erwartungsvoller Ungewissheit über dem Geläuf. Etwas abseits der Tribüne gingen die Kandidaten im Kreis - bis die nächste Durchsage die Spannung auflöste: Es blieb dabei: Weltstar vom Gestüt Röttgen gewann das Blaue Band, das im vergangenen Jahr sein Halbbruder Windstoß gewonnen hatte. Trainer Markus Klug feierte seinen dritten Derbysieg. Und Jockey Adrie de Vries im zarten Sportleralter von 48 Jahren seinen sehnsüchtig erwarteten ersten.

Schon im letzten Derby sollte de Vries den Favoriten reiten. Doch kurz zuvor verletzte er sich

15 200 Zuschauer bevölkerten am Sonntag die Rennbahn von Horn, unter ihnen befand sich auch Michael Vesper, der den größten Tag des hiesigen Galoppsports zum ersten Mal als Präsident des Direktoriums für Vollblutzucht und Rennen (DVR) erlebte. Und mehr als manch anderem dürfte Vesper, bis 2017 Vorstandsvorsitzender des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), aufgefallen sein, wie direkt beim Pferderennen Schönheit und Widerspruch aufeinandertreffen. Vesper ist Gründungsmitglied der Grünen und für seine Partei einst Bauminister in Nordrhein-Westfalen gewesen. Er ist also ein Mann, der über den Protest in die Verantwortung fand. Als Spitzenkraft des DOSB hatte er dann immer wieder auszuhalten, dass die schönen Werte des Sports gegen die kälteren Interessen das Kommerzes prallen. Und nun?

Ein Spalier aus Tierschützern empfing die Besucher am Eingang der Galopprennbahn. Das ist nicht ungewöhnlich, diesmal allerdings gab es einen konkreten Anlass. Am Abend des vierten Renntages, am Mittwoch, waren zwei vierjährige Stuten auf trockenem Geläuf derart schwer gestürzt, dass sie wegen Brüchen der Hinterhand eingeschläfert werden mussten. Schwere Vorwürfe des Hamburger Tierschutzvereins gegen die Galopp-Industrie waren die Folge, die der Derby-Betrieb aber natürlich nicht zu nah an sich heranlassen konnte. Renn-Club-Präsident Eugen-Andreas Wahler sagte am Donnerstag: "Wir bedauern diese beiden Unfälle sehr, die Stimmung ist dadurch sehr eingetrübt. Nach unseren Analysen lag es nicht am Geläufs." Frank Becker, Der Chef der Hamburger Rennleitung, ergänzte: "Beide Fälle haben ohne jede Fremdeinwirkung stattgefunden und sich an Stellen der Bahn ereignet, die noch unverbraucht waren."

Der Kontrast zwischen Unglück und Unterhaltung war nicht aufzulösen, aber am Sonntag war das Derby dann natürlich wieder ganz das bunte gesellschaftliche Ereignis, das es sein will: vornehm und bodenständig zugleich. Man musste nur auf die Hüte schauen, um zu verstehen, dass ein Derby nicht nur ein Fest für die Elite ist. Von der billigen Baseball-Mütze bis zur aufwändigen Feder-Stofftier-Konstruktion war so ziemlich alles geboten, womit der Mensch einen Kopf bedecken kann.

Der Höhepunkt selbst wiederum war eine relativ präzise Abbildung der Prognosen. Weltstar und Destino galten als Favoriten, hoch gewettet war auch Trainer Andreas Wöhlers Royal Youmzain mit dem erfahrenen Panamaer Eduardo Pedroza im Sattel. Weltstar hatte Destino schon im Kölner Union-Rennen knapp hinter sich gelassen, Royal Youmzain wiederum beim Frühjahrspreis von Baden-Baden überzeugt. Und das Derby-Rennen in Hamburg über 2400 Meter bei strahlender Sommersonne lief dann auch ganz im Sinne der Aussichtsreichen. Jozef Bojko durfte Aldenham vom Gestüt Brümmerhof lange in erster Position führen, während sich Weltstar, Destino und Royal Youmzain im Hauptfeld schonten. Auf der Zielgerade sortierte sich das Feld. Destino preschte durch die Lücke, 200 Meter vor dem Ziel dachte Adrie de Vries schon, er werde den jungen Kollegen Seidl, 24, nicht mehr erreichen.

Aber dann schaffte Weltstar es doch noch, um eine Halslänge war er vor der großen Tribüne voraus. "Das Pferd hat einen Riesen-Kampfgeist", lobte der Jockey. "Weltstar war eindeutig besser", sagte Seidl, der seine Enttäuschung tapfer überspielte. Royal Youmzain von Großbesitzer Jaber Abdullah aus Dubai wurde um eineinhalb Längen Dritter.

Adrie de Vries hätte eigentlich schon im vergangenen Jahr den Favoriten reiten sollen. Aber dann stürzte er wenige Wochen vor dem großen Start mit Windstoß und verletzte sich dabei so schwer, dass er passen musste. Windstoß gewann, der junge Kollege Maxim Pecheur bekam den Applaus, den de Vries gerne bekommen hätte. Jetzt konnte der Niederländer sagen: "Ich bin ein glücklicher Mensch."

Und noch glücklicher sah Trainer Markus Klug aus. Zum dritten Mal in fünf Jahren stellt er den Derbysieger. Auch Windstoß kommt aus seiner Obhut. "Das ist Turfgeschichte", sagte er über den Doppelsieg der Wellenspiel-Söhne. So erfolgreich ist Klug mittlerweile, dass er nicht einmal mehr angespannt sein musste, als der Zieleinlauf überprüft wurde. Destino, der knapp Geschlagene, kommt auch von ihm.

© SZ vom 09.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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