Pferdesport:Mit dem Werkzeug der Dressur-Queen

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Premiere: erster Titel für Jessica von Bredow-Werndl und Dalera. (Foto: Friso Gentsch/dpa)

"War 'n schöner Fight": Jessica von Bredow-Werndl, 34, fordert die sechsmalige Olympionikin Isabelle Werth, 51.

Von Gabriele Pochhammer

"Einfach geil" sei es, endlich ganz vorne zu stehen, sagte Jessica von Bredow-Werndl, nachdem sie zuletzt mit persönlicher Bestleistung (83,549 Prozent) ihren ersten nationalen Dressur-Titel bei den Senioren in Balve gewonnen hatte. Die Goldmedaille im Grand Prix Special gab es für eine nahezu perfekte Vorstellung mit der 13-jährigen hocheleganten Trakehnerstute Dalera. Die neue Meisterin bemühte sich gar nicht zu verbergen, was das Schönste an dieser Schärpe war: Sie hatte sie der Dressurqueen seit fast 30 Jahren, Isabell Werth, deren Titel und Medaillen kaum noch einer mitzählt, quasi entrissen.

Die sechsmalige Olympionikin Werth wusste auch sofort, warum ihre 15-jährige Oldenburger Stute Weihegold an diesem Tag nicht ganz nach vorn galoppiert war. Der Grund lag braun-grün dampfend mitten im Viereck. Weihegold hatte den Haufen Pferdeäpfel dort selbst beim Einreiten platziert, und als sie dann bei den Einergaloppwechseln erneut des Weges kam, wollte sie - wer könnte ihr das übel nehmen - einfach nicht reintreten: Es gab Fehler und zur Strafe schlechte Noten (82,569). Die 51-jährige Werth nahm es sportlich: "Glückwunsch an Jessi, war 'n schöner Fight."

Da schwang schon diese Werth'sche Entschlossenheit mit, solche Niederlagen gar nicht erst einreißen zu lassen. Bredow-Werndl hatte nur 24 Stunden Zeit, ihren Triumph zu genießen: In der Kür rückte Werth mit einem gnadenlos brillanten Ritt die Welt wieder zurecht und entschied das Duell für sich. Jessica von Bredow-Werndl wahrte Contenance. "Ich bin kein bisschen traurig, obwohl ich heute auch gern gewonnen hätte. Meine Stute hat noch Potenzial, alles muss selbst verständlicher werden." Das ging wiederum ganz subtil in Richtung Werth: Die brave Weihegold, die wie in einer Endlosschleife piaffieren kann, hat ihren Zenit erreicht, besser kann sie kaum noch werden. Dennoch keine Entwarnung für die Konkurrenz: Im Werth'schen Stall in Rheinberg steht noch Bella Rose, Werths Olympiapferd, wenn es die Spiele in Tokio in diesem Sommer gegeben hätte. Seit ihrem Comeback 2018 ist sie ungeschlagen, aber nächstes Jahr auch schon 17.

Isabell Werth bleibt das Maß aller Dinge. Aber Jessica von Bredow-Werndl hat zumindest ein bisschen am Sockel gekratzt, und dabei wird sie es nicht belassen. Die 34-Jährige, die mit ihrem ebenfalls im Grand Prix erfolgreichen Bruder Benjamin Werndl in Aubenhausen bei Rosenheim einen Turnier- und Ausbildungsstall betreibt, läuft sich warm für die Nachfolge. Ihre Karriere hat Bilderbuchqualität. Alles begann wie so oft mit einem Pony, mehr Kumpel als Reittier für das kleine Mädchen, das es umsorgte. "Ich habe ihr sogar mit Menschen-Zahnpasta die Zähne geputzt", schreibt Bredow-Wendl in ihrem Buch "Das Glück der Erde", das im Oktober erscheint. Es blieb nicht beim Kuscheln, der sportliche Ehrgeiz liegt Jessica in den Genen: Ihre Mutter Michaela Werndl fuhr Europacup-Skirennen, Vater Klaus Werndl war dreimal deutscher Meister im Segeln. Die Idole des Grundschulkindes waren Nicole Uphoff, Olympiasiegerin 1988 und 1992, Monica Theodorescu, heute Bundestrainerin, und eben Isabell Werth.

Finanziert wurde das teure Hobby von Benjamin und Jessica Werndl durch die väterliche Firma für Büromöbel. Das Wort "Auftragseingang" wurde für die Kinder zum Zauberwort, stimmten die Aufträge, war auch Geld für den teuren Reitsport da. Nach einer erfolgreichen Zeit als Juniorin kam wie bei so vielen Hoffnungsträgern die Krise mit Anfang 20. Der Übergang zu den Großen ist schwer, oft ist das Juniorenpferd nicht gut genug für die Seniorenklasse oder es ist reif für die Rente. "Zwischen dem Jugendsport und dem Grand Prix-Sport der Erwachsenen liegen die Alpen", sagte ihr damals ein Trainer. Aber Jessica blieb dran, machte ein Fernstudium in Marketing und Kommunikation, dazu eine Ausbildung als Ernährungstrainerin, ritt jeden Tag fünf Pferde, und trotzdem kam sie sportlich auf keinen grünen Zweig. Das Selbstbewusstsein war am Boden. Sie suchte Rat - bei Isabell Werth. Die fackelte nicht lange. "Wir sehen, ob wir das hinbekommen, ich helfe euch." Regelmäßig fuhr sie nun mit ihren Pferden nach Rheinberg, allmählich ging es wieder aufwärts. "Isabell hat mir die richtigen Werkzeuge an die Hand gegeben", sagt Bredow-Werndl heute. "Ich bin ihr unendlich dankbar."

Mit dem Hengst Unée schaffte sie schließlich den Sprung in die Spitze, ritt erfolgreich im Weltcup und verpasste nur knapp den Start bei den Olympischen Spielen in Rio 2016. Seitdem ist sie wieder oben, nicht zuletzt mit Hilfe der Schweizerin Patrice Bürchler-Keller, früher selbst Dressurrichterin, die Jessica von Bredow-Werndls Spitzenpferde finanziert und bei jedem Auftritt vom Rande aus mitfiebert.

Das Leben hat es gut gemeint mit Bredow-Werndl. Vor zweieinhalb Jahren bekamen sie und ihr Ehemann Max von Bredow einen Sohn. Vor ihrem Ritt mit Dalera im Grand Prix Special hatte sie mit ihm einen langen Spaziergang durch die sauerländischen Wälder um Balve gemacht. "Das Leben besteht nicht nur aus Reiten", sagt sie, "daran muss ich mich manchmal selbst erinnern."

© SZ vom 24.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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