Pferdesport:Begnadetes Auge

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Der erste Deutsche: Michael Jung schafft den Grand Slam der Vielseitigkeitsreiter. Nun bahnt sich ein Wechsel an.

Von Gabriele Pochhammer

Als Sam im herzoglichen Park von Badminton House aus dem Pferde-Lkw stieg, rann ihm der Schweiß das Fell herunter; für den 16 Jahre alten Wallach ist das Reisen in beengten Verhältnissen immer purer Stress. Am Montag auf der Rückfahrt hatte er es bequemer: Da stand er in einer großen Box, die ihm Michael Jung im Lkw gebaut hatte. Zufrieden knabberte Sam am Heu, kein Tröpfchen Schweiß war zu sehen. "Das gefällt ihm, und das hat er sich ja wirklich verdient", sagt Jungs Vater Joachim.

Sein Sohn hat mit dem souveränen Sieg in der schwersten Vielseitigkeitsprüfung der Welt - mit mehr als zwei Springfehlern Vorsprung - am vergangenen Wochenende Reitsport-Geschichte geschrieben. Er ist der erste Deutsche, der auf dem Rasen siegen konnte, der den Briten so heilig ist wie der von Wimbledon. Jung ist zudem erst der zweite Reiter, der damit auch den Grand Slam gewann: außer Badminton noch die Vier-Sterne-Prüfungen in Burghley 2015 und in Lexington 2016 (mit Rocana). Das bedeutete neben dem Preisgeld von 80 000 britischen Pfund zusätzlich 350 000 US-Dollar Sonderprämie, umgerechnet sind das zusammen 408 000 Euro. Einen neuen Porsche wird sich Jung nicht dafür kaufen, "das Geld kommt zu hundert Prozent in den Pferdetopf", sagt er. Für die Anschaffung neuer Pferde, für größere Investitionen in die Reitanlage.

Nach seinen Siegen bleibt die Konkurrenz ratlos zurück: Alles sieht so leicht aus

Gleich nach der Siegerehrung, gleich nach Jungs Marathon vor Fernsehkameras und Mikrofonen, wurde Sam in sein Erste-Klasse-Abteil verladen, und Vater und Sohn steuerten das schwere Gefährt Richtung Heimat im baden-württembergischen Ort Horb. Sie sind die Nacht durchgefahren, gefeiert wird später, denn viel Zeit hat Michael Jung eigentlich nie. An Pfingsten ist er schon wieder mit vier Pferden bei einem Turnier in Wiesbaden.

"Ich weiß, was ich erreicht habe" sagt Michael Jung, "alles, was jetzt noch kommt, ist ein Bonus obendrauf." Mehr geht tatsächlich kaum. Seit 2009 stand er bei jedem Championat auf dem Podium, wurde Olympiasieger, Weltmeister, WM-Zweiter, dreimal Europameister. Seine Siege machen die Konkurrenz ratlos, denn alles sieht so leicht aus, als reite er über einen Ponykurs und nicht über die schwersten Brocken, die es im Vielseitigkeitssport gibt. Er lässt den Pferden viel Freiheit, sich zu entfalten, selten sieht man ihn energisch zupacken. "Er erzieht die Pferde, auf sich selbst aufzupassen", sagt Lucinda Green, die frühere Weltmeisterin und selbst fünfmalige Badminton-Siegerin.

Jung bildet seine Pferde selbst bis zur Weltklasse aus - "das kann nicht jeder"

"Er überlässt nichts dem Zufall," erklärt Bundestrainer Hans Melzer Jungs Siege, die wesentlich zur glänzenden Statistik der deutschen Buschreiter beitragen. "Jung sucht den Erfolg nicht mit ausgebildeten Pferden, sondern baut seine Youngster selbst bis zur Weltklasse auf. Das kann nicht jeder." Auch als Spring- oder Dressurreiter wäre er mit dem richtigen Pferd ganz oben, da sind sich auch die Spezialisten einig, deren Rat Jung gelegentlich sucht. Dressurreitmeister Hubertus Schmidt lobt Jungs außergewöhnliches Gefühl, der Springreiter Marcus Ehning sagt: "Ich weiß eigentlich gar nicht, was ich dem noch beibringen soll." Achaz von Buchwaldt, zweimaliger Springderbysieger, der seine Karriere einst im Busch begann, glaubt zu wissen, woran es liegt: "Michael Jung hat ein begnadetes Auge für die richtigen Distanzen. Er kommt in den Parcours und hat bereits den großen Überblick, wie er wo reiten muss. Er kann entspannt bleiben, die Pferde vertrauen ihm."

Und sie machen manchmal Sätze, die ihnen niemand zugetraut hätte. "Das können nur ganz wenige Reiter auf der Welt", sagt Buchwaldt, "Michi würde auch im Springsport zu den Besten gehören." Das wird vielleicht gar nicht mehr so lange dauern. Er reitet bereits in schweren Springen mit Erfolg, wurde vom Bundestrainer auch schon für Nationenpreise in Betracht gezogen. Noch fehlen ihm die Spitzenpferde dafür, aber Joachim Jung ist sicher: "Mein Sohn wird nicht in der Vielseitigkeit uralt."

© SZ vom 10.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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