Personalie:Gerührter Abgebrühter

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Vor seinem Abschied aus der Nationalelf möchte Fernando Hierro endlich einen Titel mit Spanien gewinnen.

Ralf Itzel

(SZ vom 21.6.02) - Für den Sprung an die Weltspitze haben sich die Spanier schon durch die Wahl des Trainingsgeländes einen Vorteil verschafft. Es liegt auf einem Hochplateau, oberhalb der Industriestadt Ulsan. Durch die flirrende Luft sind im Hafen die Kräne der Werften auszumachen. Dort unten werden täglich tausende Autos in alle Welt verschifft. Dem Hersteller der Wagen gehört fast die ganze Stadt, auch die Sportanlage der Iberer. Das Apartmenthaus aus Glas und Stahl etwas unterhalb der beiden Fußballplätze ist nagelneu, wie zur Begrüßung der ersten Gäste hat es die Form des Tilde über España. Journalisten ist der Zutritt verboten, für sie ist der schmucklose Flachbau gegenüber vorgesehen. Täglich passiert eine Hundertschaft die Polizeisperre auf der einzigen Auffahrtsstraße, um Trainer Camacho oder Fernando Morientes auszufragen.

Zum Schluss einen Titel - danach sehnt sich Spaniens Kapitän Fernando Hierro. (Foto: N/A)

Mit Fernando Hierro gingen Spaniens Journalisten in den letzten Monaten nicht gerade sanft um. Ständig musste der Verteidiger von Real Madrid hören und lesen, dass er langsam sei und zu alt, dass er fies foule und von den Schiedsrichtern begünstigt werde. Doch als er vor ein paar Tagen von der kleinen Bühne kletterte, brandete Beifall durch den Saal. Auch für die Abgebrühten war es ein bewegender Moment gewesen, als der 34-jährige Kapitän ankündigte, nach der WM nur noch für den Klub spielen zu wollen.

Ein Abtritt mit schwerem Herzen

"Der Rücktritt fällt mir schwer und tut mir weh", sagte Hierro, den nur der legendäre Torwart Zubizareta an Einsätzen für Spanien übertrifft. Der Zeitpunkt sei gekommen, Jüngeren Platz zu machen, "eine Etappe, ein Zyklus ist zu Ende". Er presste die Sätze mit brüchiger Stimme hervor, und wollte dann noch etwas anfügen. Aber er musste sich zurücklehnen, wischte sich über das braun gebrannte Gesicht, zupfte sich an den großen Ohren, fuhr mit der Hand durchs schwarze Haar und stand dann lieber auf, denn sonst hätten sich die Tränen durchgesetzt. Um sich irgendwo festzuhalten, umarmte er seinen Trainer und Freund Camacho, um dann Richtung Hotel zu flüchten.

Dreizehn Jahre sind eine lange Zeit. Eine ähnliche Ära auf diesem Niveau und dieser Position glückte zuletzt nur Franco Baresi, Italiens Held der WM 1994, sowie dem Niederländer Ronald Koeman. Fünf Meisterschaften und drei Europapokale der Landesmeister gewann Fernando Hierro mit Real Madrid, aber mit der Nationalmannschaft?Nada, nichts.

Dies ist seine vierte Weltmeisterschaft, und aus 88 Länderspielen will er unbedingt noch 91 machen. Dann stünde Spanien im Finale. Erst einmal gilt es am morgigen Samstag (8.30 Uhr, live in der ARD) die koreanische Mannschaft von Guus Hiddink zu besiegen.

Elegant und schwer zu ersetzen

Auch den Niederländer kennt Hierro als Trainer, viele hat er erlebt in all den Jahren bei Real Madrid: Di Stefano, Capello, Valdano, Heynckes... Um ein Haar wäre kürzlich sogar Camacho sein Klub-Trainer geworden, dann müsste der jetzt noch keinen Nachfolger für ihn suchen. Das werde unheimlich schwer, sagt der 47-jährige Trainer, "es geht eine große Persönlichkeit". Auf dem Platz sei der elegante Libero sein verlängerter Arm.

Hierros Erfahrung kam auch am Sonntag beim Achtelfinale gegen Irland zum Tragen, vor allem im Elfmeterschießen. "Diese Ruhe, dieses Selbstvertrauen", schwärmt Mittelfeldspieler Valeron, "dieses Bild werde ich von ihm in Erinnerung behalten." Aber es sollen noch ein paar hinzukommen in den nächsten Tagen. Dafür hängt sich Fernando Hierro rein, oben auf dem handgetrimmten Übungsrasen. Zum Glück schluckt der Wald einen Teil der klebrigen Hitze.

Die Paarübungen absolviert er normalerweise mit Raúl, dem jungen Klubkollegen und Vertrautem, seinem Nachfolger als Kapitän der Nationalelf. Doch Raúl trainiert momentan - wenn überhaupt - alleine, er hat sich an der Leiste verletzt. Ganz Spanien will ihn noch gesundbeten für die Partie in Gwangju, wie die Franzosen das neulich bei Zinédine Zidane taten.

Ein Spieler mit Größe

Das Fehlen des Angreifers fürchtet Camacho noch mehr als den Schiedsrichter aus Uganda. Über die Unparteiischen schimpft Spaniens Coach derzeit ausgiebig, nach dem schweren Sieg gegen Irland, aber auch nach Italiens Niederlage. Hierro motzt selten.

Den Elfmeter in letzter Minute für sein Foul am Iren Quinn akzeptierte er nicht nur klaglos, der Kapitän zeigte sogar auf, um sich schuldig zu bekennen. Und später, nach dem Elfmeterschießen, gab er dem Schiedsrichter die Hand. Bei einer Niederlage hätte er es genauso gemacht.

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