Patrik Sinkewitz:Ein junger Mann der alten Schule

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Der positiv auf Testosteron getestete Radprofi Patrik Sinkewitz gab schon früher Anlass zu Spekulationen. Nun steht die Zukunft des Teams T-Mobile in Frage.

Andreas Burkert

Eine halbe Stunde vor dem Etappenstart im Hochalpen-Städtchen Tallard hat Rolf Aldag wieder eine kurze Ansprache gehalten im Mannschaftswagen des T-Mobile-Teams, wie fast jeden Morgen während der Tour de France. Doch diesmal fiel es ihm schwer, über die sportlichen Anforderungen des Tages zu referieren und die Strategien seiner dezimierten Equipe. Soeben hatte ihn aus der Heimat die nächste schlechte Nachricht erreicht über Patrik Sinkewitz, der zurzeit wegen Gesichtsknochenbruchs, Schulterblessuren, einer abgerissenen Unterlippe und einer tiefen Kniewunde in einer Hamburger Klinik behandelt wird.

Ausgeradelt: Der achtfach überhöhte Testosteronwert bei Patrik Sinkewitz lässt kaum Zweifel offen. (Foto: Foto: AFP)

Und zu seinen Sturzfolgen hat sich nun ein ganz anderes Problem gesellt, und dieses nicht minder gravierende Problem hat nun sogar den gesamten deutschen Radsport an einer empfindlichen Stelle getroffen mit dem abrupten Adieu des deutschen Fernsehens von der Tour: Patrik Sinkewitz, 26, ist bei einer unangemeldeten Kontrolle der nationalen Antidoping-Agentur Nada am 8. Juni positiv auf Testosteron getestet worden. ,,Die Jungs haben natürlich betreten geschwiegen'', berichtet der Teamchef Aldag am Mittwochmittag. ,,Es ist ja alles wirklich auch frustrierend.''

Patrik Sinkewitz hat im Grunde zurzeit andere Sorgen, nachdem ihm auf der Abfahrt von Tignes am vergangenen Sonntag ein Zuschauer ins Rad gelaufen war. ,,Ich werde gleich operiert, ich kann mich nicht darum kümmern'', äußerte der Profi aus Künzell bei Fulda denn auch in einem kurzen Telefonat aus einem Hamburger Krankenhaus und beteuerte seine Unschuld: ,,Ich positiv? Davon weiß ich nichts, und das kann auch nicht sein.''

Trotzdem ist er den Nada-Kontrolleuren also ins Netz gegangen, sie waren der Bonner Equipe ins Trainingslager in den französischen Pyrenäen nachgereist. Wie zuletzt schon beim früheren Teamkollegen Matthias Kessler - inzwischen von Astana entlassen - fiel der Sieger des diesjährigen Henninger-Rennens mit dem androgynen Steroid Testosteron auf. Einen Quotienten von 24:1 habe die Analyse ergeben, heißt es - zulässig ist ein Grenzwert von 4:1.

,,Patrik ist jetzt erst einmal suspendiert und bekommt die Chance auf eine B-Probe'', sagte T-Mobile-Sportdirektor Aldag, ,,doch wenn auch sie positiv ist, ist klar, dass er fristlos entlassen wird.'' Dies habe auch finanzielle Folgen: ,,Denn Regresszahlungen in solchen Fällen sind in unseren Verträgen verankert.''

Nun ist allerdings denkbar, dass Sinkewitz' Vergehen die deutsche Velobranche weit mehr kosten könnte als ein einziges Einkommen von gut einer halben Million Euro. Aldag äußerte sich deshalb ,,schwer enttäuscht, dass wir offensichtlich nicht alle von unserem Weg überzeugen konnten''. Zufriedenstellend sei an der Sache allein, ,,dass diese externen Tests, die wir ja dringend fordern und befürworten, gut funktionieren''.

Dies registrierte am Mittwoch auch die Nada erfreut, ,,denn wir haben es eben als sinnvoll erachtet, Radfahrer im Juni vor einem Höhepunkt unangemeldet zu testen, das verstehen wir unter intelligenten Kontrollen'', sagte Sprecherin Ulrike Spitz. Walter Schmidt von der Uni Bayreuth, der die externen Blutvolumenmessungen bei T-Mobile durchführt, zeigte sich derweil ,,sehr enttäuscht'' von dem Vorfall. Das neue Konzept indes sei zwar ,,engmaschig, aber es wirkt nur abschreckend für Blutmanipulationen, nicht bei anderen Dopingformen - und das wissen die Fahrer natürlich.''

Dass nun Sinkewitz erwischt wurde trotz der Antidoping-Linie seines Rennstalls, überrascht nur Außenstehende; bei ihm handelt es sich mitnichten um einen ,,jungen, wilden sauberen Fahrer'', wie ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender ihn bis Mittwoch eingeordnet hatte. Denn Sinkewitz steht seit längerem im Fokus derer, die dem Radsport nicht mehr die Unschuldsvermutung gestatten.

Der Hesse begann seine Profikarriere 2001 im italienischen Mapei-Rennstall (heute Quick Step), dessen belgischer Patron Patrick Lefévère als Gesicht der alten Radsportschule gilt. Für Lefévère gewann Patrik Sinkewitz 2004 die Deutschlandtour inklusive Königsetappe. Dass bei Mapei gedopt wurde, gilt inzwischen selbst im Peloton als zulässige Behauptung, und aus Lefévères alter Schule hatte Sinkewitz zumindest seine Zusammenarbeit mit dem italienischen Dopingarzt Michele Ferrari (Spitzname: ,,Dottore Epo'') ins T-Mobile-Engagement (seit 2006) übernommen.

Die Liaison mit dem angeblich nur als Trainer beschäftigten Italiener hatte er vor einem Jahr nach einer Veröffentlichung in dieser Zeitung einräumen müssen. Die Verbindung zu dem verurteilten preparatore dürfte Sinkewitz' Manager Tony Rominger begrüßt haben - wenn nicht sogar initiiert. Der einstige Profi schätzt Ferrari, und er war in den Neunzigern ebenfalls dessen Kunde - wie derzeit auch sein aktuell prominentester Klient Alexander Winokurow. Von Rominger gemanagt werden auch Andreas Klöden und Kessler (alle Team Astana); wie nun Sinkewitz war Kessler mit zu viel Testosteron aufgeflogen.

Zuletzt hatte außerdem die frühere BDR-Präsidentin Sylvia Schenk Sinkewitz' Ruf weiter belastet: In der Diskussion über den inzwischen entlassenen Olympiaarzt Georg Huber und mutmaßliche Vertuschungen im Verband erwähnte sie auch eine Causa Sinkewitz. Der damalige BDR-Junior war bei der WM 2000 nach dem Zeitfahren heimgeschickt worden, ,,und mir hat ein BDR-Funktionär zugeflüstert, dass es keine Grippe war, sondern etwas mit den Blutwerten'', sagte Schenk damals (SZ vom 30.5.07).

Der Fahrer und auch der BDR haben bisher auf Richtigstellungen verzichtet; nur einen Brief vom BDR, den sie als ,,vage Recherche'' einordne, habe sie erhalten, sagte Schenk am Mittwoch der SZ. ,,Aber dass der BDR gegen sich selbst recherchiert, das ist wohl auszuschließen.''

Eine unzureichende Recherche wird sich nun wohl auch das T-Mobile Team gefallen lassen müssen. ,,Wo kommt jemand her, was hat er gemacht? - so etwas müssen wir uns vielleicht künftig noch mehr fragen'', sagt der langjährige Telekom-Profi Aldag, der im Mai selbst ein Dopinggeständnis abgelegt hatte. Inwieweit dieses Versäumnis im Falle Sinkewitz' auch die Zukunft der Mannschaft bedroht, dürfte sich nun bald zeigen. Als der Patient am Mittwoch in Hamburg aus der Narkose erwachte, werden ihm jedenfalls nicht nur die Narben Schmerzen bereitet haben.

© SZ vom 19.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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