Paralympics:Javier Otxoa: Der Versuch zu vergessen

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Nach seinem schweren Unfall im Februar 2001 war kaum damit zu rechnen, dass der Tour de France-Etappensieger von 2000 jemals wieder aufs Rad steigen würde. Jetzt gewann der Spanier Silber bei den Paralympics.

Von Thomas Hahn

Es war einer dieser Unfälle gewesen, die nicht einmal in den schlimmsten Albträumen vorkommen. Ein sinnloses, vernichtendes Manöver des Lebens, das Javier und Ricardo Otxoa keine Chance ließ. Es geschah in Cartama nahe Malaga, sie waren schon auf dem Rückweg von ihrer Trainingsfahrt.

Das Auto kam von hinten. Ricardo starb noch auf der Straße, Javier war schwer verletzt. Er blieb in einem Zustand zurück, in dem er über Wochen irgendwo zwischen Erde und Unendlichkeit zu schweben schien. Es war der 15. Februar 2001, niemand erinnert sich gerne an diesen Tag.

Am Samstag hatte Javier Otxoa bei den Paralympics in Athen seinen ersten Einsatz. Er wurde Fünfter im 1000-m-Zeitfahren, lächelte und sagte, dass sich bei ihm die Werte verschoben hätten mit der Zeit. Medaillen seien nicht mehr so wichtig, was ihn nicht davon abhielt, am Montag trotzdem eine zu gewinnen.

Silber in der 3000-m-Verfolgung. Er sagte wenig dazu, er kam auch nicht zur Pressekonferenz, weil die Fragen am Wochenende ihn angestrengt hatten und er Kraft braucht für das nächste Rennen, das Straßen-Zeitfahren am Freitag.

Ein bisschen ist es eben doch wieder wie früher, als die Medien ihn zum "König von Hautacam" ernannten, weil er bei der Tour de France 2000 die Bergetappe von Dax nach Hautacam in den Pyrenäen vor Lance Armstrong gewonnen hatte.

Als er für Kelme fuhr und als einer der aussichtsreichsten spanischen Radprofis galt. Der Wettkampf fordert den Athleten, das gefällt Javier Otxoa. Er sagt: "Ich fühle mich, als wäre ich wieder mittendrin im Leben."

Otxoas Comeback ist keine Selbstverständlichkeit

Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass ein früherer Berufssportler nach einem Ereignis, wie Otxoa es erlebte, den Weg in den paralympischen Sport findet.

Der hochbegabte Schweizer Alpinskifahrer Silvano Beltrametti etwa, seit einem schweren Sturz gelähmt, pflegt solche Ambitionen nicht, und das hat wohl auch damit zu tun, dass er gegen die Konkurrenz, die schon länger im Rollstuhl sitzt, keine Chance hätte.

Bei Otxoa ist es anders, weil auch die Folgen seines Unfalls anders sind. Durch die Zeit im Koma wegen eines Schädel-Hirn-Traumas sind Teile seines Gehirns zu lange zu schlecht mit Sauerstoff versorgt gewesen, davon hat sich sein Gehirn nicht vollends erholt.

Javier Otxoa hat nicht mehr die volle Kontrolle über seinen Körper. Eine halbseitige Spastik ist ihm geblieben. Er humpelt leicht, beim Gespräch mit den Reportern hält er sich etwas verkrampft mit beiden Händen an einem Geländer fest. Sein Blick ist seltsam matt.

Auf dem Rad dagegen wirkt er fast wie der alte Javier. Die Kraft ist weniger geworden und manchmal entdeckt man kleine Unsicherheiten beim Lenken. Aber sein Tritt ist rund, und der deutsche Betreuer Thomas Beer, der eine ähnliche Behinderung wie Otxoa hat, sagt: "Er sitzt super auf dem Rad, von früher noch."

Javier Otxoa findet auf dem Rad eine Sicherheit, die er im Alltag nicht mehr hat. Ein Rad hat einen Lenker, an dem man sich festhalten kann, und mit Pedalen an den Füßen humpelt man nicht. Javier Otxoa ist schon sehr früh wieder Rad gefahren.

Im Rollstuhl hat er sich anfangs zum Velo schieben lassen, um sich in die Obhut des Sattels zu begeben. Und so machte er auch später mit, als Javier Yanci, der Nationaltrainer der spanischen Paralympia-Radler, ihm einen Platz in seiner Mannschaft antrug. Auch wenn es ihn zunächst etwas Überwindung gekostet haben mag, sich zum Behindertensport zu bekennen.

Tägliches Training

Im November 2002 durfte er beim Profi-Kriterium von Valencia als Ehrengast eine Runde im Peloton drehen, und damals sagte er: "Ich mache mir keine Illusionen. Ich weiß, ich werde nun bei den Paralympics gegen Behinderte fahren müssen." Zehn Monate später gewann er zwei mal Gold bei der Behinderten-EM in Prag.

Der Unfall ist lange her, und es scheint ein geheimes Einverständnis unter den spanischen Medien zu geben, ihn nicht danach zu fragen. Die Neugierde ist groß, aber niemand will, dass Javier Otxoa traurig ist. Und er selbst sagt, dass er den Blick nach vorne richten will.

Javier Otxoa trainiert jeden Tag, er bedauert, dass es so wenige Wettkämpfe auf paralympischem Niveau gibt, er hat sich ohne Allüren in Yancis Kader eingefügt. Und seine Kollegen von früher möchte er ein bisschen aus den Augen verlieren.

Nicht aus mangelndem Respekt, sondern weil er ahnt, dass die Traurigkeit zurückkommt, wenn er sich zu viel mit den Rennen befasst, die er einst selbst gewinnen wollte. Immerhin, er wagt eine Prognose. "Roberto Heras gewinnt die Spanien-Rundfahrt." Aber das sagt er nur als entfernter Fachmann. Sein Platz ist jetzt woanders.

© Süddeutsche Zeitung vom 23.09.04 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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