Paralympics in Athen:Jeder für den anderen

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Rastlos wirft der paralympische Betrieb Medaillen aus. 1557 davon werden vergeben sein, wenn die Paralympics am Dienstagabend im Athener Olympiastadion zu Ende gehen. Doch Medaillen sind nicht alles, die Deutschen haben viele Sympathien geweckt.

Von Thomas Hahn

Athen - In der Ferne ratterte schon wieder der paralympische Betrieb und warf rastlos neue Plaketten in Gold, Silber und Bronze aus. 1557 davon werden vergeben sein, wenn die Weltspiele des Behindertensports am heutigen Dienstagabend im Athener Olympiastadion zu Ende gehen.

Sympathie-Träger Rainer Schmidt (Foto: Foto: dpa)

Ihr Programm ist schlanker geworden seit den Paralympics in Sydney 2000, aber immer noch sind sie eine gigantische Medaillenmaschine, die sich wenig Zeit lässt.

Elf Tage braucht sie nur, um ihr Pensum zu leisten, fast stündlich bringt sie neue Sieger hervor. Karl Quade, der deutsche Chef de Mission, sah deshalb auch ein bisschen unglücklich aus bei der Abschlusspressekonferenz des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS).

Er sollte eine Bilanz vorlegen, aber es war erst ein Uhr Mittag am Montag, er wusste, dass noch Einiges passieren würde in der Nationenwertung. Er musste eine Linie ziehen, tat dies nach 439 Entscheidungen und versah seine Analyse mit dem Siegel "nur vorläufig".

Einen achten Platz hat Quade auf diese Weise auszuwerten gehabt, was eine Steigerung wäre im Vergleich zu Sydney (Platz zehn) und auch die Ansprüche erfüllen würde, die Quade anfangs mit der Zielvorgabe "einstelliger Tabellenplatz" umschrieben hatte.

Das Bundesinnenministerium, der wichtigste Geldgeber, steht auf zählbare Leistungsnachweise. Die waren hiermit erbracht, wenn sich auch ein weiterer Wunsch Quades nicht erfüllt hatte: Medaillen aus allen Einzeldisziplinen bekam er nicht, weil Beiträge vom Segeln, Fechten, Gewichtheben und Tennis fehlten.

Andere Kriterien

Aber es gibt ja auch noch andere Kriterien für so eine große Delegation von 210 Menschen, zum Beispiel den Eindruck, den sie in der Fremde hinterlässt. Der paralympische Sport braucht würdige Vertreter, Athleten, die nicht nur gewinnen können, sondern auch als Persönlichkeiten überzeugen in diesen Zeiten, da der Kampf um Sponsoren hart und Fernsehzeiten knapp sind.

Und die hat er in Deutschland, wie man in Athen feststellen konnte; auch wenn ausgerechnet der überragende DBS-Leichtathlet Wojtek Czyz, zwei Mal Gold-Gewinner im Sprint der Oberschenkelamputierten, ein wenig irritierte mit seinem Auftritt als bekennender Ehrgeizling.

Gemeinschaftsinnn über alle Disziplinen hinweg

"Die Mannschaft hat sich exzellent präsentiert", sagte Karl Quade und las diesen Satz diesmal nicht vom Zahlenblatt ab. Schon bei der Eröffnungsfeier war eine deutsche Mannschaft aufgefallen, in der ein tief empfundener Gemeinschaftssinn die Disziplinen zu überspannen schien.

Und der Eindruck bestätigte sich. Bei den Schwimmern etwa gab es niemanden, der seinen wettkampffreien Tag nicht auch im Aquatic Centre verbracht hätte, um die Kollegen anzufeuern.

Und Martina Willing, 44, eine der großen Identifikationsfiguren des DBS, die trotz einer Grippe im Kugelstoßen Bronze gewonnen hatte, lobte bei ihren fünften Paralympics "das Zwischenmenschliche" und sagte: "Es war zu spüren, dass jeder für den anderen da ist."

Die Generationen gaben sich die Hand in Athen. Das Teamspektrum reichte von dem Bogenschützen Hermann Nortmann, 49, der noch 1984 in Stoke Mandeville als Unterkunft einen Schlafsaal für 20 Mann vorfand und nun Athens paralympisches Dorf mit seinen "Zwei-Bett-Luxuswohnungen" lobte ("Ne ganz tolle Änderung").

Bis zum Schwimmer Robert Dörries, 15, der von seinen Startproblemen als Debütant berichtete: "Mir wäre vor Aufregung fast das Herz in die Hose gesackt."

Mal erklärte der 20-jährige Schwimmer Christoph Burkhard, warum ihm sein Gold-Gewinn über 400 m Freistil schwerer gefallen war als im Frühjahr sein Abitur mit Note 2,7 zu bestehen: "Im Abitur kann man eine Aufgabe, die komisch ausschaut erst mal weglegen. Wenn man hier nicht in den ersten fünf Minuten auf einem Superniveau ist, dann war's das."

Mal profitierte man von der Weisheit des Theologen und Tischtennisspielers Rainer Schmidt, Gold-Gewinner im Team-Wettbewerb, der mit einfachen Worten die Entwicklung seines Selbstverständnisses nachzeichnete: "Man sollte als Sportler die Behinderung akzeptiert haben - man spürt beim Sport den eigenen Körper so deutlich."

Mit solchem Personal weckt man leicht Sympathien, und so verlässt diese Mannschaft die Spiele mit dem guten Gewissen, ihre eigene Sache ein bisschen vorangebracht zu haben.

Wie weit? Karl Quade hat von einem vielstimmigen Medien-Echo in der Heimat gehört, schon sieht er die nächste Herausforderung: "Wir müssen versuchen, diese Aufmerksamkeit auch zu halten." Und das wird nicht leicht, wenn die Medaillenmaschine erst einmal steht.

© SZ vom 28.9.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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