Ostfußball:Kein Weg zurück ins Jammertal

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Erstmals seit der Wiedervereinigung wird kein Ostklub in der Bundesliga spielen - die Vereine lehnen Solidaraktionen ab.

Von Ronny Blaschke

Es muss schon etwas Außergewöhnliches passieren, damit die New York Times sich in die Niederungen des deutschen Sports begibt. Als Hansa Rostock vor wenigen Wochen in die zweite Bundesliga stürzte, räumten die Amerikaner eine halbe Seite frei: "Für die Menschen im Osten ist das ein trauriges Zeichen, dass die Lücke zum Westen des Landes gewachsen ist."

Ein geknickter Joakim Persson von Hansa Rostock. (Foto: Foto: dpa)

Mit diesen Zeilen beschrieb der Autor ein Stimmungsbild, das den ostdeutschen Fußball derzeit prägt. Erstmals seit der Wiedervereinigung ist der Osten ohne Erstliga-Klub. Durch den Abstieg des Zweitligisten Rot-Weiß Erfurt hat sich die Zahl ostdeutscher Profiklubs auf fünf reduziert. Doch führen diese Ergebnisse schnurstracks ins neue Jammertal?

Hans-Georg Moldenhauer, Präsident des Nordostdeutschen Fußball-Verbandes (NOFV), verwaltet das Erbe des DDR-Fußballs. Er ist seit Wochen auf Relativierungs-Tour. Bereist das Land wie ein Politiker im Wahlkampf, der pausenlos gegen die Depression anredet. Dabei ist der ostdeutsche Fußball vom Untergang so weit entfernt wie der FC Bayern von der Oberliga.

"Bei uns beginnt die Arbeit nicht erst jetzt", sagt der Magdeburger. Die Debatte wurde aus der Ferne geschürt, durch populistische Vorschläge von Franz Beckenbauer (Liga-Aufstockung), Lothar Matthäus (Ost-Bonus) oder Ulf Kirsten (Wechselsperre für Talente). Die Außenstehenden hyperventilieren - die Beteiligten wünschen sich eine Diskussion mit Tiefgang. "Ich höre meistens nur Leute, die von außen über uns reden", sorgt sich Horst Klinkmann, Aufsichtsratschef bei Hansa Rostock: "So entsteht ein falscher Eindruck."

Es ist überzogen, vom Chaos zu sprechen, vom schwarzen Loch im Osten. Die Tabellen bieten keine Untergangssymbolik - sonst hätte man den ostdeutschen Fußball schon vor Jahren zu Grabe tragen müssen, als weniger als fünf Mannschaften aus der verblichenen DDR in der ersten und zweiten Liga kickten. Dass die Wirtschaft im Osten weniger Geld für Fußball übrig hat, ist bekannt: Ein Verein wie der FC Hansa kassiert von 150 Sponsoren eben nur 7,5 Millionen Euro im Jahr.

Hingegen können die 300 Geldgeber bei Abstiegskonkurrent Borussia Mönchengladbach leicht das Doppelte abdrücken. Dass viele der 700 Talente, die seit der Wende in den 15Sportbetonten Schulen im Osten ausgebildet wurden, längst woanders spielen, ist auch nichts Neues. Die Schlagzeile "Abschwung Ost", die immer wieder zu lesen ist, ist so übertrieben wie es "Aufschwung Ost" vor einem Jahr war.

Abgehalfterte Profis

Der ostdeutsche Fußball ist, wie er war - und bleiben wird. Klubs aus Cottbus oder Rostock stagnieren auf niedrigem Niveau. Wobei ihre Ergebnisse vor einem historischen Hintergrund zu sehen sind: So lange der lästige Rucksack der DDR-Vergangenheit drückt, werden Abstiege wie der von Rostock als Argument für nervende Ostalgie dienen - nach dem Motto: Der Ostfußball ist tot, es lebe der Ostfußball.

In ferner Zeit wird sich diese Wahrnehmung ändern. "Wir dürfen uns nicht verängstigen lassen", sagt Uwe Leonhardt, Präsident des Zweitligisten Erzgebirge Aue. Der Kleinstadtklub rückte in die Nähe der Aufstiegsplätze. Er ist die Antithese zum Untergangsszenario und dokumentiert, dass auch Vereine in wirtschaftlich schlechter gestellten Regionen ihre Chance haben.

Viele Klubbosse im Osten arbeiteten schlechter als jene in Aue oder Rostock, sie fielen ihrer Naivität zum Opfer oder verloren sich im Wandel der Zeit: Trainer Dragoslav Stepanovic verdiente beim VfB Leipzig Ende der neunziger Jahre monatlich fast 40000 Mark, der Klub hatte einen der höchsten Etats. Trotzdem gibt es ihn nicht mehr. Abgehalfterte Profis führten einen Lebensstil, als würde der Osten auf Ölquellen sitzen. Hausmeister fuhren Dienstwagen, Spielergehälter wurden zum Teil aus Koffern bezahlt.

Zur Geldvernichtung gesellte sich die Lust an der Rotation: RW Erfurt zählte 18 Präsidenten, Dynamo Dresden verschliss 14 Trainer. Wären Vereine wie der 1. FC Magdeburg oder Stahl Riesa nicht von Finanzjongleuren geentert worden, würde die Fußball-Landkarte jetzt anders aussehen. Mit dem gesellschaftlichen Ost-West-Gefälle hat das nur bedingt zu tun. Schließlich werden auch in den alten Ländern Insolvenzen gezählt und Schuldenberge angehäuft.

Blühende Landschaften

Die Ost-Debatte ist nur ein Phänomen der Öffentlichkeit. Die meisten Entscheidungsträger ostdeutscher Klubs lehnen einen Solidarfonds ab. "Freiburg konnte auch lange mit wenig Geld durchhalten", sagt Jochen Rudi, Präsident von Dynamo Dresden: "Nur weil man aus Sachsen kommt, soll man ein Sonderspielrecht erhalten?"

Stattdessen ist es sinnvoll, weiter in die Basis zu investieren. Deshalb bemüht sich NOFV-Präsident Moldenhauer nicht erst seit dem Rostocker Abstieg, das Gerüst zu festigen. Er spricht von Kooperationen wie der von Werder Bremen mit Carl Zeiss Jena; vom Austausch von Wirtschaftsprüfern oder Leihgeschäften junger Spieler. "Diese Hilfsmöglichkeiten aber gelten nicht nur für den Osten", sagt Moldenhauer.

Zwanzig Millionen Euro flossen vom DFB seit der Wende in die ostdeutschen Vereine. Zudem wurden von Kommunen und Investoren wie dem Filmrechtehändler Michael Kölmel viele Millionen in die Infrastruktur gepumpt. Ein Großteil wurde sinnlos verschwendet. Doch es ist auch eine hervorragende Nachwuchsausbildung entstanden:

Fast in jeder DFB-Auswahl kicken vier oder fünf Talente aus dem Osten. Es sind Stadion-Bauten auf den Weg gebracht worden, vor allem dort, wo die Zukunft beginnen soll: in Magdeburg, Halle oder Dresden. Und dennoch wird es eine Weile dauern, bis sich die Gemüter beruhigen. Sollten die Rostocker in einem Jahr aufsteigen, würden die Landschaften wieder blühen - zumindest dort.

© SZ vom 1.6.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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