Olympische Jugendspiele:Großes Kino in St. Moritz

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Lukas Nydegger hat bei den Olympischen Jugend-Winterspielen die Goldmedaille gewonnen. Seine Trainerin, die Welt- und Europameisterin Anja Selbach, traut ihm eine große Karriere zu.

Von Jakob Schätzle

Ganz scheint er es noch nicht begreifen zu können: Er, Lukas Nydegger vom RC Berchtesgaden, hat die Goldmedaille bei den Olympischen Jugend-Winterspielen (YOG) in der Schweiz gewonnen. Auch 24 Stunden nachdem er durch den Eiskanal raste, fühlt es sich für den 17-Jährigen "immer noch surreal an, wie im Traum". Von Träumen ist in Nydeggers Geschichte immer wieder die Rede: von solchen, die er gerade durchlebt, und solchen, die sich noch erfüllen sollen.

Mit zehn Jahren träumte Lukas Nydegger bestimmt wie jedes andere Kind auch, aber definitiv noch nicht von Erfolgen im Skeleton. Die Sportart, bei der die Athletinnen und Athleten mit dem Kopf voraus durch den Eiskanal auf einem Schlitten rasen, der nicht viel mehr als eine Platte mit Kufen ist, kannte er nicht. Einen Rodel-Weltcup habe er sich einmal angeschaut, erzählt er. Das war's. Nydegger fuhr Ski, spielte Baseball. Erst als er mit zehn Jahren nach Schönau am Königssee in die Nähe einer Skeletonbahn zog, wechselte er mit dem Wohnort auch die Sportart.

Eine Kurve, aus der er kurz herausrutschte – ansonsten fand Lukas Nydegger seine Fahrt „mehr oder weniger einwandfrei“. (Foto: Cheng Tingting/imago images/Xinhua)

In seiner neuen Schule tauchten eines Tages Skeleton-Trainer auf und stellten den für Nydegger unbekannten Sport vor. "Da habe ich mir gedacht: Das finde ich ziemlich cool", erinnert er sich, von Anfang an mochte Nydegger die Kombination aus athletischer Anforderung beim Start und Konzentration während der Fahrt. Er besuchte ein Schnuppertraining, es gefiel ihm und er schloss sich der Skeleton-Abteilung des RC Berchtesgaden an.

Als Nydegger seine ersten Schritte im Skeleton wagte, hatte Anja Selbach in dieser Sportart bereits große Erfolge hinter sich. Sie wurde mehrmals Welt- und Europameisterin, gewann Bronze bei den Olympischen Winterspielen 2010 in Vancouver. Beim RC Berchtesgaden ist sie heute Trainerin, Nydegger und vier weitere Skeleton-Nachwuchskräfte hat sie bei den am Mittwoch zu Ende gegangenen Olympischen Jugend-Winterspielen betreut. Über ihren Goldschüler sagt Selbach: "Lukas ist eine Bank. Egal, was im Training passiert, er kann im Wettkampf etwas drauflegen. Was er am Montag abgeliefert hat, war ganz großes Kino."

Nydegger hatte zwei sehr gute Läufe, war mit bis zu 137 Kilometern pro Stunde auf dem Eis unterwegs. Am Ende hatte er 1,42 Sekunden Vorsprung auf den Zweitplatzierten. Eine beachtliche Zahl in einem Sport, in dem es auch einmal auf ein paar wenige Hundertstelsekunden ankommen kann. Es ist ein Traum, den Nydegger gerade durchlebt: "Irgendwie ist das immer noch nicht ganz bei mir angekommen."

Die herausragenden Zahlen, die Goldmedaille als ultimativer Beleg für den eigenen Erfolg. Alles super gelaufen, oder? "Bis auf zwei Sachen, mit denen ich nicht ganz zufrieden war, ging es mehr oder weniger einwandfrei", beschreibt er seine Fahrt und ist dabei für einen ersten Platz erstaunlich selbstkritisch. Nydegger erzählt von einer Kurve, aus der er kurz herausrutschte, dann von einer Bande, die er blöderweise touchierte. In der Analyse ist der junge Athlet alles andere als ein Träumer.

Die Goldmedaille war nicht der erste Sieg des gebürtigen Ingolstädters. Dennoch war der Triumph in St. Moritz, wo die Skeleton-Wettbewerbe der Jugend-Winterspiele stattfanden, ein besonderer: "Es war ein so großes Event, größer als alles, was ich bisher hatte", sagt Nydegger. "Nicht nur wegen der Zuschauerzahlen, auch weil Leute aus so vielen Nationen und so vielen Sportarten vertreten waren." Diese internationale Gemeinschaft, die bei einem solchen Turnier entsteht, habe ihn angespornt und sei zugleich Wohlfühlfaktor gewesen: "Man hat zwei Wochen lang viel Spaß, weil es so viele Leute gibt, mit denen man etwas tun kann."

Josefa Schellmoser und Elisabeth Schrödl, auch aus Berchtesgaden, holten zuvor Silber und Bronze

Auch Anja Selbach schreibt den Olympischen Jugendspielen einen hohen Stellenwert für ihre Talente zu: "Ich wünsche ihnen allen, dass sie das erleben dürfen, was ich in meiner Karriere erlebte, also bei einem großen olympischen Turnier dabei zu sein", sagt die Olympiateilnehmerin von 2006, 2010 und 2014. "Nach den Jugendspielen sind sie darauf bestens vorbereitet." Das ist keineswegs aus den Wolken gegriffen: In ihrem jeweiligen Altersbereich schafften es alle fünf Nachwuchspiloten in die Top Ten. Obendrein war Nydeggers Gold nur eine von insgesamt drei Medaillen im Skeleton. Josefa Schellmoser und Elisabeth Schrödl, ebenso vom RC Berchtesgaden, holten zuvor Silber und Bronze für das deutsche Team. Trainerin Selbach meint: "Wenn sie weiterhin so fleißig und akribisch arbeiten und hoffentlich alle gesund bleiben, glaube ich, dass sie es in die Weltspitze schaffen."

Im Mai wird Nydegger 18 Jahre alt. Nächsten Winter ist er also bei den Herrenwettbewerben dabei und kann nicht mehr bei den YOG starten. Wenn es nach dem jungen Athleten geht, ist das kein Nachteil - das nächste große Ziel steht fest. "2026 bei den Olympischen Spielen in Cortina d'Ampezzo teilzunehmen", sagt er, sei "ein Traum in weiter Ferne". Dieses Jahr hat Nydegger ja gelernt, dass sich Träume erfüllen können.

© SZ vom 26.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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