Olympische Dörfer - Teil 8:Wie am Nil

Lesezeit: 7 min

In Sydney fehlten sie, in Athen sind sie dabei - Spandaus Wasserballer sind Kern des Nationalteams und Herz der Olympiamannschaft.

Von Klaus Hoeltzenbein

Florian Sinnig sagt, er liebe das Perverse. Jedenfalls so wie er, der multi-berlinale Geschäftsmann es versteht. Das Perverse, sagt Florian Sinnig, liegt in dem Reiz, etwas klappen zu lassen, was eigentlich nicht klappen kann.

Zum Beispiel eine Pizzeria mit neapolitanischem Steinofen zu eröffnen und mehr neapolitanische Pizzen zu verkaufen, als alle Neapolitaner zusammen. Gezählt hat das niemand, aber das Experiment ist gelungen - Florian Sinnig, 38, aus Steglitz, gelernter Bankkaufmann und Koch, ist der bekannteste Pizzabäcker der Hauptstadt.

"Guter Kampf, aber leere Halle"

Das könnte als Lebensziel genügen, für ihn aber war es ein Anfang. Jetzt will er mehr, er arbeitet an seiner zweiten großen Perversion, nämlich etwas zusammenzubringen, was nicht zusammen findet: Zuschauer und Wasserball. "Graue Mäuse", sagt Sinnig, der mit diesem Sport bis zum letzten Herbst nie etwas zu tun hatte: "Guter, harter, ehrlicher Kampf, aber leere Halle, tote Hose, einfach nichts los."

Am Samstag hatten die Wasserfreunde Spandau 04 Besuch. Max war in der Schöneberger Schwimmhalle zu hören. Eingespielt über eine Videowand vom Streit der Barden aus Istanbul mit seinem Can't Wait Until Tonight. Könnte auch von Florian Sinnig sein: Nur nicht warten, bis es duster ist, handeln, machen, tun, und sehen, ob es sich rechnet. 1150 Zuschauer haben er und die Spandauer gegen die SGNeukölln gezählt, rekordverdächtig für ein Stadtderby.

Dabei bezog die Partie ihre Dramatik allein aus der Frage nach der Höhe des Resultats: 17:8 siegten die Favoriten, sie bleiben ungeschlagen, offen ist nur, ob es gelingt, diesen Zustand bis zum 12. Juni zu erhalten. An diesem Tag feiert der Verein, 1976 durch die Fusion des SC Spandau 04 und der Wasserfreunde Spandau gefestigt, sein Hundertjähriges. Dazu wollen sie sich die Meisterschaft schenken, die 25., errungen in einer Serie, die nur einmal, 1993, von Waspo Hannover durchbrochen wurde. Und zwar in der Spielzeit, vor der Hagen Stamm seine Laufbahn beendet hatte.

Mehr als 750 Tore

Jener Hagen Stamm, der auch Geburtstag hat am 12. Juni, 44 wird er, und Stamm vermutet, dass "das alles doch kein Zufall sein kann" mit ihm und seinem Verein. Er war einer der besten Center der Welt, warf in 332 Länderspielen mehr als 750Tore, und wenn er sich vorstellt, könnte er dies auch mit den Worten "Gestatten, Hagen, Ich-bin-der-deutsche-Wasserball, Stamm" tun.

An ihm käme man kaum vorbei, müsste man einen Wasserballer nach Klischee zeichnen. Dann aber nicht mit seinen fast 120Kilo, verteilt auf 1,91 Meter von heute, sondern mit den 97 kg Wettkampfgewicht von einst. Im Herbst wurde Florian Sinnig bei Hagen Stamm vorstellig mit der Bitte, tun zu dürfen, was er heute tut. Die Antwort: "Versuchen Sie's einfach."

Seither tanzen Go-go-Girls, wird Spiralnebel geworfen und bei Champions-League-Spielen die Nationalhymne live präsentiert, wenn die Wasserballer mit den blauen, weißen und roten Kappen in ihren langen Bademänteln zum Beckenrand ziehen.

Der Sänger, der die Hymne sang, fuhr schon mal in einem Boot durchs Hallenbad, und jetzt träumt Sinnig davon, dass sich seine Show entwickelt. Max und den "Eurovision Song Contest" live in die Halle zu übertragen war eine kleine Idee, die größere ist es, die Berliner zum Wasserball zu locken "wie in ein Musical, zu Cats, ins Phantom der Oper". Und dass "da bald mal ein echter Delfin im Becken schwimmt".

Für den, der leichte Show und Musical nicht mag, ist die Schöneberger Schwimmhalle der falsche Ort. Zumal sie ein Aschenputtel unter den Sporthallen ist, eine Bausünde, pure Funktionalität in Waschbeton, nur Ecken, Kacheln, Chlor. An Wettkampftagen aber ist der Zehn-Meter-Turm verkleidet, gold und rot glänzende Paillettenbänder bedecken rundum die Hallenwände.

Als Wettkampftage gelten solche, an denen Sinnig die Halle schmückt, er Windlichter auf die Blechablagen stellt, auf denen sonst Seifendöschen und Shampooflaschen lagern, an denen er den Beton in Vorraum und Treppenhaus für die After-Show-Party präpariert - und an denen die Resultate der Spandauer offiziell in die Bundesliga-Tabelle eingehen.

Inoffiziell ist manchmal der Mittwoch oder der Donnerstag der härteste Tag der Woche. "Mehr Gegenwehr, mehr Kampf, mehr Verbissenheit", erlebt Patrick Weissinger wenn trainiert wird, wenn die erste Spandauer Sieben gegen die zweite Spandauer Sieben übt.

Anderthalb Nationalmannschaften sind dann im Wasser, neun Kandidaten hat der Verein für die Olympiamannschaft in Athen, sechs davon (Torwart Alexander Tchigir, Kapitän Weissinger, Sören Mackeben, Marc Politze, Thomas Schertwitis, Jens Pohlmann) sind bei Hagen Stamm, ihrem Klub-Präsidenten in Bundestrainer-Mission, gesetzt. "Die Ligaspiele", sagt Weissinger, "werden meist aus dem vollen Olympia-Training heraus bestritten."

Wie so viele fand auch er zu den Wasserfreunden, "weil die wie der FC Bayern im Fußball sind, nur noch ein bisschen extremer". Der 31-jährige kam vor zehn Jahren aus Esslingen in die Hauptstadt, hat die Meisterschaften mitgemacht, aber noch nie Olympia.

1996 wurde er als Letzter aus dem Aufgebot für Atlanta gestrichen, vor den Spielen 2000 in Sydney scheiterte die Nationalmannschaft schon in der Qualifikation. Anschließend wurde im Deutschen Schwimm-Verband umgedacht, rang man sich dazu durch, den Kotau zu wagen, und Hagen Stamm als Bundestrainer einzustellen.

Kein leichter Schritt, denn mit dem FCBayern haben die Spandauer nicht nur die Trophäensucht gemein, sondern auch die Fähigkeit des Polarisierens. Gestärkt durch die Neigung, sich Talente bei jenen zu suchen, die ihre Allmacht gefährden. Trotz intensiver Nachwuchsarbeit stammt kein Nationalspieler direkt aus eigener Jugendpflege.

Das führt zu Eifersüchteleien, die öffentlichste war jene, als Marc Politze 2002 aus Hannover nach Berlin umzog. Jetzt setzt er auch schon seine Tochter ein, klagten die Niedersachsen, doch Hagen Stamm erklärt immer noch, dass er "nichts, gar nichts" dazu beigetragen habe, dass sich Melanie und Marc bei einem Lehrgang in Berlin kennen lernten.

Heute heißt es: Als Marc ein Angebot aus dem Ausland hatte, sagte Vater Stamm, Melanie dürfe nicht mit. So blieb der Spieler in Spandau, und die Wasserballwelt hatte ein Gerücht.

Es gibt einige Gerüchte, was mit dem Charakter des Spiels zusammen hängen muss. Die dunkle Hälfte findet unter Wasser statt. Da ist kaum was zu beweisen. Von Unterwasserkameras für die Bundesliga träumt Florian Sinnig deshalb, um dem Publikum auf Videowänden zeigen zu können, weshalb auch drei Gegner an Thomas Schertwitis hängen, zupfen und zwicken können, ohne dass Spandaus Center untergeht.

Aus dieser Allgemein-Verträglichkeit wurde schon vieles abgeleitet, unter anderem, warum Sommerspiele ohne Wasserballer nur halb so schön sind. Bei Olympia rückt die Randsportart in die Mitte, war oft sogar das Herz der Mannschaft. "Mit uns wäre die Stimmung 2000 wohl ein bisschen besser gewesen", sagt Stamm und meint die milieuverwandten Schwimmer und ihren giftigen Zank von Sydney.

"Wir kennen unseren Ruf", sagt Patrick Weissinger nur. Erst aber müssten die frisch gewonnenen Erkenntnisse ("Wir haben festgestellt, dass wir jeden schlagen können") überprüft werden, zunächst mit dem erwünschten Auftaktsieg am 15. August vor mehr als 10000 Zuschauern gegen die Griechen. Später könne es, so vermutet der Kapitän, im Olympiadorf vielleicht zur praktischen Anwendung der in Schöneberg erfahrenen Partykultur kommen.

Mitreisende erinnern sich gerne an den Rückflug 1984 aus Los Angeles, als via Bordmikrofon verkündet wurde: "Achtung! Hier sprechen die deutschen Wasserballer. Wir haben ab sofort das Catering übernommen. Die Stewardessen sind gegangen." Wenige Stunden später hieß es: "Das Catering ist eingestellt. Das Flugzeug ist leer."

Hagen Stamm sitzt an einem Biergartentisch vor Alfreds, einem roten Backsteinbau, und genießt ein Eis. Der Bau liegt am Rande des Olympiageländes von 1936, einst war er Ärztehaus, nach dem Zweiten Weltkrieg diente er den Engländern als Offizierscasino. 1994, mit Abzug der Alliierten, wurde das Gelände einem zivilen Nutzen zugänglich gemacht.

Einen Steinwurf von Alfred's, der Gastronomie der Wasserfreunde, entfernt, haben Herthas Fußballer ihre Trainingsplätze. Gleich gegenüber der Terrasse liegt das Forumbad, die neue, sportliche Heimat des Vereins. Hier ist noch Charlottenburg, Spandau beginnt erst in einer Senke nebendran. Und die Schöneberger Halle ist ein paar Kilometer weit weg. Hier aber trainieren - bis auf die erste Mannschaft - alle Wasserballer.

Und hier genießt Hagen Stamm seinen größten Erfolg als Präsident. Dürfen die Spandauer doch jetzt an diesem fremden Ort bleiben, an dem die Baderegeln ("No food, no drinks!" - "Do not run!") für "Ladies" und "Gentlemen" weiterhin zu übersetzen sein werden.

Ein Nutzungsvertrag mit dem Senat, gültig seit 1. Mai, sichert den mehr als 2000 Mitglieder starken Wasserfreunden das Forumbad als ständige Vertretung. Als Gegenleistung werden sie zu Denkmalpflegern. Das benachbarte, mit starken Winterschäden belastete Freibad wird für einen sechsstelligen Eurobetrag aus Eigenmitteln saniert.

Berlins Sportsenator hat dies als positives Zeichen für das Engagement der Bürger bezeichnet. Auch Alfred Balen, Pate des Alfred's, wäre vermutlich stolz auf seine Erben. Der Kroate war der Architekt jener Mannschaft, die Spandaus Erfolgsserie begründete. Balen hatte die Angewohnheit, große Siege im Anzug zu feiern. Im Wasser. Ein Ritual, das Schicksal wurde. Im Dezember 1986 erlitt er nach einem solchen Freudensprung einen Gehirnschlag und starb. Wenige Tage später stellte Hagen Stamm in der BZ die rührige Frage: "Alfred, wer schimpft jetzt mit uns?"

Derzeit tut dies Peter Röhle, 47, Torwartlegende, und an allen Titeln beteiligt. Zwar ist seine Mannschaft in der Champions League unter heftigen klubinternen Debatten in der Vorrunde gescheitert, der Ligabetrieb aber ist eintönig, weshalb sie ganz froh waren, als sich Florian Sinnig vorstellte, der Geschäftsmann mit der Geht-nicht-gibt's-nicht-Mentalität.

Getrommelt hat zudem die auflagenstarke BZ, in der der ehemalige Bundesliga-Wasserballer Carsten Priefer im Sportteil dichtet. Jüngst hörte Priefer vom Hobby des britischen Thronfolgers und drängte mit der Zeile "Spandau rollt Prinz William den Roten Teppich aus!" ganz oben auf die Titelseite.

Antipasti am Beckenrand

Prinz William hat sogar davon erfahren, dass er mit seiner Mannschaft der schottischen Uni St.Andrews zum Freundschaftsspiel nach Berlin geladen war. Auf Königspapier erteilte die persönliche Sekretärin des Prinzen den Spandauern eine Absage. Nicht weiter schlimm, denn Phantasiearbeiten wie diese lassen Sinnig auf Gewinn hoffen. Er schafft auf eigenes Risiko, bisher hat er Werbung, aber auch Verlust, den er verkraften kann.

Haupteinnahmequelle ist sein Angebot für 50 Euro. Dafür gibt's das Menu am Beckenrand: Antipasti vor dem Anpfiff. Hauptspeise zur Pause. Tiramisu im letzten Viertel. Getränke sind im Preis enthalten. Servietten und Tischdecken können als Handtücher zweckentfremdet werden, falls die Spandauer das Flügelspiel verstärken und mit Kraulschlägen die Gäste grüßen. Der Hallensprecher erläutert dazu die Regeln. Mehr als 330 verkaufte Plätze sind Rekord für das fachlich-fundierte Aqua-Dinner. Sein Aufwand lohne sich, sagt Sinnig, "wo sonst hätte ich dem Wowereit die Hand schütteln können?" Oder Udo Walz, Berlins erstem Coiffeur? "Mit 60 Friseusen hat der seine Weihnachtsfeier bei uns gemacht." Die Wasserballer sind wieder Thema in der Stadt.

Manchmal, wenn es dunkel wird, im Lichtkegel die Sportler vorgestellt werden, die Go-Gos sich winden und die Zuschauer in Top und T-Shirt die schwül-warme Atmosphäre erleben, wenn Nebeldämpfe übers Wasser wabern, sieht sich Florian Sinnig mit seiner Sea world fast am Ziel: "Wie im Urlaub sollen sich die Zuschauer fühlen. Schön wäre, wenn sie denken, sie sind am Nil." Bisher noch ohne Krokodile.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: