Olympia in Paris:Grandeur ohne Geld

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Paris feiert den Zuschlag für Olympia 2024. Doch manche Verheißungen für eine bessere Stadt bleiben wohl Wunschdenken.

Von Leo Klimm, Paris

Natürlich geht es nicht ohne große Worte, das hier ist schließlich Frankreich. "Die Spiele von Paris werden ein einzigartiges Fest des Sports und des olympischen Gedankens, und es wird der Bevölkerung ein großes Erbe hinterlassen", sagt Tony Estanguet. Wochenlang hatte sich der Chef der Pariser Bewerbung und dreifache Kanu-Olympiasieger bemüht, den Überschwang zu unterdrücken, obwohl seit Ende Juli alles klar ist. Aus Respekt vor dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC), wie er sagt; er ist seit 2013 selbst IOC-Mitglied. Auch Bürgermeisterin Anne Hidalgo, die anfangs gar keine Anhängerin dieser olympischen Idee war, und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hielten sich zurück, so gut sie konnten.

Kurz vor der offiziellen Vergabe der Sommerspiele 2024 durch das IOC am Mittwochabend in Lima gab es bei den Pariser Vertretern aber kein Halten mehr. Der Zuschlag an die Seine-Metropole sei "der Höhepunkt eines fabelhaften Abenteuers", jubelte Estanguet. Zu Hause waren am Trocadéro Großleinwände aufgebaut, auf dass die Bürger trotz ungemütlichen Herbstwetters den Sieg gemeinsam verfolgen.

Werden Vorstädte wie Saint-Denis durch Olympia aufgewertet? Die Einwohner zweifeln

Es ist kein glanzvoller Sieg, den sie aus Peru heimbringen. Viele Mitbewerber - Hamburg, Boston, Rom oder Budapest - hatten das Rennen vorzeitig aufgegeben, weil ihnen Geld oder Unterstützung ihrer Bevölkerung fehlten, oder beides. Zuletzt waren nur noch Paris und Los Angeles im Rennen, und mit diesen beiden verabredete das IOC schon vor Monaten einen Deal: Die Amerikaner bekommen den Zuschlag für 2028, die Pariser für 2024. Jetzt kommen die Spiele - hundert Jahre nach der letzten Austragung an der Seine - wieder nach Hause, in die Geburtsstadt ihres Gründers Pierre de Coubertin.

So sehen sie das in Paris. Doch den Zuschlag zu bekommen, war wohl der einfachste Teil. Das Schwierige kommt jetzt, weil Estanguet und Hidalgo ziemlich viel auf einmal versprochen haben, und diese Versprechen leicht zur versuchten Quadratur des Kreises werden können: Olympia 2024, das sollen bescheidene Spiele vor der ganz und gar unbescheidenen Kulisse von Paris sein.

Einerseits nutzen und inszenieren die Organisatoren das reiche Architekturerbe der Stadt. Es wird Leichtathletik am Eiffelturm geben, Fechten im Grand Palais oder Reitwettbewerbe am Königsschloss von Versailles. Andererseits soll das Ereignis dem gesamten Großraum der französischen Hauptstadt einen willkommenen Modernisierungsschub verleihen - und das alles für vergleichsweise günstige 6,8 Milliarden Euro. Das ist deutlich billiger als die Sommerspiele von London 2012 oder als das, was Tokio 2020 kostet.

Eiffelturm als Litfaßsäule: Paris heißt die Welt für 2024 willkommen - Mittwochabend bekam es den offiziellen Zuschlag. (Foto: Patrick Kovarik/Getty)

Mit dieser Zusicherung, bei aller Grandeur Maß zu halten, hat das Bewerberkomitee nicht nur beim IOC gepunktet. Auch die Pariser, die sonst gern und viel meckern, sträubten sich im Gegensatz zu den Bürgern anderer Städte zumindest nicht. Und das hat nicht nur damit zu tun, dass ihnen versprochen wird, man werde dank Olympia wieder in der Seine baden können.

Anders als die Sportfunktionäre und die Politiker, die die treibende Kraft hinter der Bewerbung waren, ist die Stadt jetzt zwar nicht von Euphorie erfasst. Dazu sind die Pariser zu blasiert. Zu selbstverständlich ist es für sie, einen Ort zu bewohnen, der für sich genommen schon ein permanentes Großereignis ist. Der Zuschlag war außerdem ja keine Überraschung mehr. Aber die Pariser haben sich die intensive PR von Estanguet, Hidalgo und Macron gefallen lassen, die darin gipfelte, dass im Sommer sogar eine leuchtend rote Tartanbahn auf dem Fluss schwamm. Nicht einmal der Umstand, dass der Slogan für 2024 auf Englisch ist ("Made for Sharing"), führt in der Kulturnation Frankreich zu nennenswerter Entrüstung. Landesweit 83 Prozent der Bevölkerung hält einer Umfrage zufolge die Ausrichtung der Olympischen und Paralympischen Spiele für eine gute Sache. Zwei Drittel erwarten eine positive Auswirkung auf die Verkehrsinfrastruktur.

Dabei ist absehbar, dass manche Verheißungen kaum einzulösen sind - etwa die von der sauberen Seine. In dem Fluss sollen manche Schwimmwettbewerbe stattfinden. Seit 1923 herrscht aber ein Badeverbot, und die Gesundheitsbehörden haben zuletzt alle Anträge abgeblockt, es aufzuheben: Es fließen viel zu viele Abwässer voller Kolibakterien in die Seine. Um 2024 darin schwimmen zu dürfen, müsste die Kloake gemäß EU-Vorschriften schon in drei Jahren saniert sein. Das wird sportlich.

Frédéric Viale vom Bündnis "Nein zu Olympia" hat auch sonst Zweifel. Vor allem an den Plänen der Organisatoren, die berühmt-berüchtigten nordöstlichen Vorstädte von Paris lebenswerter zu machen. Das betrifft Le Bourget, wo ein Medienzentrum für 20 000 Journalisten entsteht, und vor allem den sozialen Brennpunkt Saint-Denis. Dort steht seit der Fußball-WM 1998 schon das Stade de France, das auch zentraler Schauplatz der Spiele 2024 sein wird. Die Bürogebäude, die rund um das Stadion hochgezogen wurden, brachten keine Jobs für Geringqualifizierte. Viale befürchtet, dass die Verdrängung weitergeht, wenn in Saint-Denis nun das Olympische Dorf gebaut wird. "Obwohl ein Teil der Gebäude später für Sozialwohnungen genutzt wird, werden die Preise für Arme unbezahlbar sein, das beschleunigt die Gentrifizierung", sagt er. Tatsächlich erwarten die Makler einen Preisanstieg um 30 Prozent, zumal Saint-Denis besser angebunden wird. Viale mag außerdem nicht glauben, dass die Banlieue etwas von der geplanten Schwimmarena haben wird - weil sie nach 2024 weiter für Leistungssport genutzt werde. Die Olympia-Organisatoren sagen hingegen, das Schwimmzentrum werde helfen, die hohe Nichtschwimmer-Quote in der Gegend zu senken.

Fragen gibt es auch zur Modernisierung des Nahverkehrs. Viele Pariser Metro-Stationen, die teils wirken wie anno 1900, werden trotz Paralympics auch 2024 nicht behindertengerecht sein. So viel ist schon klar. Der Zuschlag soll dafür dem Megaprojekt Grand Paris Schub verleihen: Das - ohnehin geplante - 108 Milliarden Euro teure Vorhaben, vier Metro-Linien um die Stadt zu bauen, soll jetzt großteils schon zu Olympia fertig werden anstatt erst 2030. Doch diese Beschleunigung, warnt Viale, wird zusätzliche Steuermilliarden nötig machen.

Überhaupt, die Kosten. Bewerbungschef Estanguet sagt, sein Budget (6,8 Milliarden Euro) sei ehrlich: "95 Prozent der Spielstätten gibt es schon, ich wüsste nicht, was da aus dem Ruder laufen sollte." Wie das Stade de France wird Paris 2024 viele bestehende Einrichtungen nutzen. Nicht nur das Schloss Versailles. In einem alten Stadion, in dem die Sommerspiele 1924 eröffnet wurden, etwa soll Hockey gespielt werden.

Manche Experten wie der Ökonom Alexandre Delaigue bestreiten die Kalkulation dennoch. Weil Olympia-Budgets immer überschritten werden, einer Studie zufolge durchschnittlich um 179 Prozent. "Da kann es gar keine gute Überraschung geben", sagt Delaigue. Das IOC verleite die Bewerberstädte zum Schönrechnen. Viele Ausgaben sind auch nicht richtig absehbar, zum Beispiel die für Sicherheit, die für London 2012 vier Mal mehr kosteten als ursprünglich veranschlagt. Auch für Paris ist die Sicherheit angesichts der - zumindest heute - akuten Terrorgefahr ein schwer kalkulierbarer Posten. Aber das Schlimmste daran, dass sich Paris so um die Spiele 2024 gerissen habe, sei die systemerhaltende Wirkung für das IOC, findet Delaigue: "Das ermöglicht, mit der Verschwendung weiterzumachen, als sei nichts."

Die Franzosen scheinen solche Einwände wenig zu stören. Bis hierher finden sie Paris 2024 gut. Und Tony Estanguet verspricht ihnen ja "ein großes Erbe".

© SZ vom 14.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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