Nordische Ski-WM:Riesenslalom nach dem Aufstieg

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Unterwegs mit der deutschen Medaillenhoffnung Tobias Angerer auf den zehrenden Loipen zwischen Burgstall und Zimmeroy.

Von Hans Eiberle

Die Uhr piepst, der Starter zählt: Fünf, vier, drei.... Die Fäuste umkrampfen den Stockgriff. Puls 130 bis 140, ziemlich viel bei einem Ruhepuls von 33. Betriebstemperatur. Tobias Angerer fiebert den 15 km im freien Stil entgegen, dem ersten Wettbewerb der Nordischen Ski-WM in Oberstdorf. Vorbereitet hat er sich wie auf jedes Rennen. Hat in der vergangenen Stunde einen Liter Elektrolytgetränk zu sich genommen; unterwegs wird er noch mindestens zweimal einen Becher voll kippen. Und drei Paar Ski getestet, gemeinsam mit seinem Techniker Jens Lautner ein Paar ausgewählt.

Tobias Angerer gilt als deutsche Medaillenhoffnung. (Foto: Foto: Ap)

Die Frage bei der Präparierung: Wie entwickelt sich das Wetter? Die Startzeit ist ungewöhnlich: 14.30 Uhr, und das Mitte Februar "da steht die Sonne schon hoch", sagt Angerer und ist besorgt. Es wird drei Uhr, bis die Rote Gruppe der Besten an der Reihe ist. Angerer liegt in der Gesamtwertung des Weltcups auf Platz fünf, nach ihm starten nur noch vier Mann. Darunter René Sommerfeld, Weltcup-Gesamtsieger des Winters 2004/05, und ganz zuletzt Axel Teichmann, der heuer führt, aber kränkelt.

Wird es wärmer oder schon wieder frostig in den Waldpassagen? Und wie reagiert der Biorhythmus? Meistens rennen sie vormittags. Obwohl: "Um drei ist normal unsere zweite Trainingseinheit, da bist eh wieder wach", sagt Angerer. Zwei, eins, ab. Angerer nimmt mit kurzen Schritten Tempo auf. Die Strecke lässt ihm keine Zeit, schnell muss er seinen Rhythmus finden. "Raus aus dem Stadion, zwei kurze Anstiege, eine Flachpassage, dann geht's hoch Richtung Zimmeroy." Auf 250 Metern müssen etwa 30 Höhenmeter bewältigt werden.

Angerer kann die Strecke im Kopf abspulen wie die alpinen Kollegen ihren Weg durch die Tore. Er weiß, das war bloß ein Vorgeschmack, und die nächsten zwei Kilometer werden ein Kinderspiel, vergleichsweise. Denn bei Kilometer vier beginnt der Anstieg zum Burgstall. Brutal, 90 Meter Höhenunterschied auf einem Kilometer.

Die Technik: Stockeinsatz "Zwei-Einser, Führhand rechts oder links, also rechtes Bein, rechter Stock, linkes Bein linker Stock, und ab und zu wechseln, um einen neuen Impuls zu setzen. Da geht man im Grenzbereich, mit Maximalpuls". Das sind bei Tobias Angerer 195 Schläge pro Minute. Aber Vorsicht: "Zu schnell anlaufen ist gefährlich. Wenn du oben übersäuert bist und nicht mehr vom Fleck kommst, verlierst du viel Zeit."

Oben steht Jochen Behle, der Bundestrainer, und gibt Orientierungshilfen. Etwa so: "Fünf Sekunden auf eins, komm' Tobi, komm'." Dem Tobi dröhnt das Blut im Kopf. Hört er, begreift er, was Behle von seinem Computer abliest und ihm zuruft? "Die Zeiten kriegt man schon mit", aber er weiß ohnehin Bescheid: "Je lauter er schreit, desto weiter vorne laufe ich."

Wer sich jetzt eine kleine Verschnaufpause gönnt, hat schon verloren. "Wenn man am höchsten Punkt ist, denkt man, 'jetzt hab ich es geschafft, jetzt geht es nur noch bergab. Aber da muss man auf Zug bleiben, auf den Beinabstoß achten, arbeiten." Behle bringt es auf den Punkt: "In der Ebene laufen fast alle gleich, am Berg sind die Guten vorn, aber die Besten machen oben Zeit gut", wo die Strecke sich im leicht steigenden und fallenden Gelände dahin zieht und zum Bummeln verführt.

Ab Kilometer sechs geht es nur noch bergab, anderthalb Kilometer lang bis ins Stadion. Endlich Zeit, um auszuruhen? Denkste. Tobias Angerer kennt "viele verzwickte Kurven, da musst du den Schwung mitnehmen. Du kommst dir vor wie beim Riesenslalom. Und dann in der Abfahrt möglichst klein machen." Aber zumindest in der ersten Runde nicht zu tief sitzen, "unter Druck erholen sich die Muskeln nicht so gut".

Zielschuss, Brücke, Zielgerade, die ist flach und ziemlich kurz. Ein Blick zur Videowand auf den Stand des Rennens, soviel Zeit muss sein, um die eigenen Perspektiven abzustecken. Und rein in die zweite Runde. Noch einmal Zimmeroy, hinauf zum Burgstall, dann Riesenslalom, diesmal in der tiefen Hocke, mit Schwung über die Brücke, Endspurt, im Ausfallschritt durch die Lichtschranke. Doch die Entscheidung ist längst gefallen. Droben am Burgstall, zwischen Kilometer vier bis sechs und 11,5 bis 13,5. Wo die Besten Dampf machen und Andere schlapp.

© Süddeutsche Zeitung vom 16.2.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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