Nordische Kombination:Keine Gnade mit Fingern und Zehen

Lesezeit: 3 min

Zum Auftakt eines Winters voller Erwartungen haben es die DSV-Kombinierer mit neuen Gegnern zu tun.

Von Thomas Hahn

Die Kälte ist über die Wälder um Kuusamo gekommen wie der Zauber einer bösen Fee. Die Landschaft ist erstarrt unter einer dicken Frostschicht, steif und weiß stehen die Bäume im Wind wie versteinerte Riesen, die erst der Frühling wieder wach küssen kann, und dichtes Eis bedeckt die Seen.

Minus zwanzig Grad hat es in Nordfinnland zuletzt tagsüber gehabt, was die Bäume allerdings weniger gestört haben dürfte als jene Wintersportgäste, die sich auf der Schanze und auf den Loipen am Rukatunturi ihren letzten Vorbereitungen für das bevorstehende Weltcup-Wochenende hingeben mussten.

Zum Beispiel die deutschen Kombinierer, die natürlich schon vorher wussten, dass sie nicht zum Beachvolleyballspielen in die Provinz Oulu gekommen sind, aber sich die letzten Einheiten vor dem Saisonstart wohl trotzdem etwas heimeliger gewünscht hätten. "Die Finger und die Zehen tun mir weh", sagte Bundestrainer Hermann Weinbuch und kannte dennoch keine Gnade mit sich und seinen Jungs. Sie mussten raus, die Form finden. Denn es folgt ein besonderer Winter.

Im Schatten der Springer

Ein Teil der Nordischen Ski-Familie hat schon vergangenes Wochenende unter lappländischem Kaltlufteinfluss wetteifern dürfen, die Langläufer nämlich in Gällivare/Schweden, wo den Deutschen ein so genannter Einstand nach Maß gelang mit einem Doppelsieg durch Axel Teichmann und René Sommerfeldt.

Nun treffen die Ausdauerspezialisten in Kuusamo zum gemeinsamen Wettkampfreigen mit Kombinierern und Springern zusammen, für die der Termin wiederum den Saisonauftakt markiert. Wer dabei die meiste Aufmerksamkeit genießen wird, kann man sich denken: Die allzeitprominenten Skispringer natürlich, die nach dem Misstrauensvotum des Sportdirektors Thomas Pfüller gegen Bundestrainer Wolfgang Steiert vor sieben Wochen erst Peter Rohwein als neuen Chef vorgesetzt bekamen.

Die Kombinierer jedenfalls können so viel Brisanz nicht vorweisen, allenfalls die sieben Medaillen, die sie seit 2001 bei WM und Olympia gewonnen haben, und ihre zahlreichen Weltcuperfolge. Sie sind zu gut. Weinbuch ist unumstritten.

Ungerecht ist die Welt, das Lied könnte Weinbuch jedes Jahr singen und tut es sogar, wenn auch nur leise. "Der DSV hat andere Prioritäten gesetzt als die Kombination", hat er zuletzt wieder gesagt und darauf verwiesen, dass er um jede Trainerstelle kämpfen muss.

Er weiß, er wird das nicht ändern können, und deswegen blickt er lieber auf die nächste Herausforderung, die diesmal eine außerordentliche ist. Er hatte sie schon vor Augen, als seine Aufbauarbeit noch in den Anfängen steckte: die WM in Oberstdorf im Februar. Seine Erwartungen sind hoch. Er richtet sie nach den Erfolgen der vergangenen Jahre, was Weinbuch deutlich, aber auch nicht zu laut sagen will, denn: "Ich will der Mannschaft nicht zu großen Druck aufladen."

Die Vorbereitungen sind reibungslos verlaufen, nur etwas anders als sonst. Statt am Polarkreis hat Weinbuch diesmal in St. Moritz und Seefeld trainieren lassen, was erstens billiger war (Weinbuch: "Wir dürfen sowieso nicht so viel Geld brauchen"), zweitens dem Team die nordfinnische Dunkelheit ersparte.

Ganz rein war die Seefelder Loipe zwar nicht, aber man wusste sich zu helfen. "Steinski" nennt Weinbuch das Second-Hand-Material, mit dem die Athleten über den dünnen Schnee pflügten.

Stabile Hierarchie

Und dazu betrieb das Trainerteam emsige Pistenpflege. Weinbuch: "Wir haben geschaufelt wie die Blöden." Nun verfügt er über eine ganze Sammlung von Eindrücken und weiß: An der internen Hierarchie hat sich wenig geändert.

Weltmeister Ronny Ackermann ist die Nummer eins, aber die Sorgenkinder der vergangenen Saison haben Fortschritte gemacht. Georg Hettich, lange gehemmt durch eine Schulteroperation vom Sommer 2003, wirkt ausgeruht und gilt als Nummer zwei. Und der frühere Junioren-Weltmeister Björn Kircheisen, der im Weltcup 2003/04 böse abgerutscht war, hat seine Sprungtechnik überarbeitet. "Er wird eine bessere Figur abgeben als letztes Jahr", sagt Weinbuch. Viel schlechter geht es allerdings auch nicht.

Bedenken schürt allein die Konkurrenz. Weinbuch hat beim Training in Ruka zwei echte Überflieger ausgemacht. Der 16-jährige Finne Anssi Koiyuranta fiel schon bei der nationalen Ausscheidung der Spezialisten auf, als er Dritter wurde. Und der Japaner Daito Takahashi, 23, sprang mit geringer Anlaufgeschwindigkeit so weit, dass Weinbuch zugeben muss: "Da haben wir schon ein bisschen blöd geschaut." Er ahnt, dass dieses Jahr kein Selbstläufer wird. Mühevolle Monate stehen bevor, aber jede Hoffnung bleibt berechtigt. Das Wetter scheint schon mal mitzuspielen. Es ist schon milder geworden in Kuusamo. Um die minus zehn Grad. Immerhin.

© Süddeutsche Zeitung vom 25.11.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: