NBA-Meisterschaft:Charakterfrage

Lesezeit: 4 min

Die Cleveland Cavaliers drehen dank LeBron James die Finalserie gegen die Golden State Warriors und holen zum ersten Mal in ihrer Klubgeschichte die Meisterschaft in der NBA.

Von Jürgen Schmieder, Oakland/Los Angeles

Der schönste Moment an diesem Abend passierte, als alles schon vorbei war. Die Cleveland Cavaliers hatten soeben das siebte Spiel der Finalserie bei den Golden State Warriors mit 93:89 Punkten und damit auch den Titel in der nordamerikanischen Basketballliga NBA gewonnen. LeBron James feierte mit seinen Kollegen die erste Meisterschaft in der Klubgeschichte, da kam plötzlich Draymond Green, die Ein-Mann-Naturgewalt der Warriors, aus der Umkleidekabine zurück aufs Parkett. Er ging zu James, umarmte ihn lange und sagte: "Allen Respekt, Mann, allen Respekt!"

Green und James hatten sich ein mitreißendes und bisweilen schmutziges Duell geliefert in dieser Serie um den Titel, sie waren wortwörtlich übereinander hergefallen. Sie hatten sich gestoßen, gerempelt, geschlagen. James stieg ein Mal einfach über Green hinweg, als Revanche rammte der seinen Ellenbogen in die Leistengegend von James und wurde für diese Unsportlichkeit eine Partie suspendiert. "Ich habe viel über mich gelernt in den vergangenen zwei Wochen - als Basketballer, als Mitspieler, als Mann", sagte der unterlegene Green danach: "Ich darf mich nie wieder in eine Situation bringen, in der mein Charakter in Frage gestellt wird." Green und James hatten sich bekriegt und beschimpft, bisweilen auch beleidigt. Aber als alles vorbei war, da umarmten sie sich.

Natürlich gab es noch andere großartige Momente nach dieser Partie: wie James die Trophäe als wertvollster Spieler der Finals entgegennahm und der durch den Strukturwandel gebeutelten Stadt Cleveland "die größte Party der Geschichte" versprach. Wie J.R. Smith auf der Pressekonferenz in Tränen ausbrach, von seiner unglücklichen Vergangenheit berichtete und den Titel seinem Vater widmete. Wie Kevin Love zwei Bierdosen gleichzeitig leerte. Oder wie Richard Jefferson nach der ersten Meisterschaft in seiner nun 16 Jahre dauernden Karriere noch in der Kabine verkündete: "Ich höre auf - und nun gebt mir eine Zigarre."

1 / 12
(Foto: Ezra Shaw/AFP)

Kaum ein Halten mehr: Vor zwei Jahren kehrte LeBron James nach Cleveland zurück. Nach der Schlusssirene weint er hemmungslos.

2 / 12
(Foto: Thearon W. Henderson/AFP)

Dabei sprachen alle Statisiken der zahlenverrückten US-Sport-Analysten gegen die Cavaliers, als Popstar Aloe Blacc vor Spielbeginn die Nationalhymne anstimmte.

3 / 12
(Foto: Ezra Shaw/AFP)

Denn noch nie konnte ein Team das siebte Spiel einer Final-Serie gewinnen, nachdem es bereits mit drei Niederlagen bei maximal sieben Partien zurücklag.

4 / 12
(Foto: Ezra Shaw/AFP)

Doch Kyrie Irving (26 Puntke) ebnete mit seinem Dreier beim Stand von 89:89 weniger als eine Minute vor Schluss den Weg der "Cavs" zum Comeback-Erfolg.

5 / 12
(Foto: Thearon W. Henderson/AFP)

Wenige Augenblicke zuvor verhinderte LeBron James (r.) mit einem spektakulären Monster-Block gegen Andre Iguodala die Führung der Golden State Warrios.

6 / 12
(Foto: Ezra Shaw/AFP)

Der andere "Große" aus dem Dreigestirn der Cavs-Stars: Kevin Love (r.). Offensiv blieb er erneut blass (9 Punkte), kam aber auf insgesamt 14 Rebounds.

7 / 12
(Foto: Ezra Shaw/AFP)

Das letzte Spiel der Finalserie toppte die ohnehin hart geführte Serie in Sachen Körperlichkeit noch einmal.

8 / 12
(Foto: Bob Donnan/dpa)

Allen voran Dreymond Green (Nr. 23) und LeBron James (rechts) lieferten sich einen extremen Abnutzungskampf.

9 / 12
(Foto: Cary Edmondson/USA Today Sports)

Doch am Ende war es LeBron, der die NBA-Trophäe und mit einem Spiel-7-Triple-Double (27,11,11) auch die für den besten Spieler der Finals gewann.

10 / 12
(Foto: Ezra Shaw/AFP)

NBA-Legende Bill Russel (links) gratuliert LeBron James nach dem Sieg - auch dazu, fortan in einem Atemzug mit ihm genannt werden zu dürfen.

11 / 12
(Foto: Aaron Josefczyk/Reuters)

In Cleveland brach sich nach Abpfiff des Spiels die Freude bahn - es ist der erste Titel einer Profi-Sport-Mannschaft aus der Ohio-Metropole seit 1963.

12 / 12
(Foto: Thearon W. Henderson/AFP)

Zurück bleiben Stephen Curry und eine unvollendete Warrior-Saison, in der sie den Ewig-Rekord der 1996/97er Chicago Bulls (72 Siege) gebrochen haben.

Es soll allerdings bei aller Verehrung für den besten Basketballspieler auf diesem Planeten und bei all den schönen Augenblicken nach dieser Partie schon auch erwähnt werden, dass diese sieben Spiele zwischen den Cavaliers und den Warriors so ziemlich alles enthielten, was Sport so unterhaltsam und faszinierend macht.

Es gab ja nicht nur das Duell zwischen LeBron James und Draymond Green, sondern auch das zwischen James und Stephen Curry. Die beiden dienen vielen Beobachtern als Beweis dafür, wie weit es der Mensch inzwischen gebracht hat bei seinem Streben nach athletischer Perfektion: da der muskelbepackte James, der durch die gegnerische Defensive pflügt, dabei die Gesetze der Schwerkraft infrage stellt und bisweilen wirkt wie ein Superheld, der drei Bösewichte hinter sich herzieht - dort der artistische Curry, der wahrscheinlich auch von der Golden Gate Bridge aus Bälle in den Korb werfen könnte.

Wer von außen zusieht und denkt, dass er alles besser wisse und besser könne und dann schon beim wichtigen Freiwurf im Fitnessstudio ein Zitterhändchen bekommt, der kann nur ahnen, was in solchen Protagonisten vorgeht, wenn sie wissen, dass der Titel "zweitbester Spieler der Welt" eine gewaltige Enttäuschung ist nach so einer epischen Finalserie.

Als kaum einer noch den Ball wollte, setzte Kyrie Irving zum Drei-Punkte-Wurf an - und traf

Nach 335 gespielten Minuten hatten beide Mannschaften insgesamt jeweils 697 Punkte erzielt, die Anzeigetafel zeigte 53 Sekunden vor dem Ende der entscheidenden Partie einen Spielstand von 89:89 an. In so einem Moment starren die Fans und Beobachter gebannt aufs Spielfeld, fordern eine ruhige Hand vom Helden und erwarten nichts weniger als einen Treffer. Aber jetzt mal ehrlich: Wer würde in so einem Moment wirklich den Ball für die alles entscheidende Aktion haben wollen? Wer außer LeBron James und Stephen Curry?

Dass es überhaupt zu einem derart dramatischen Schlussakt kam, lag vor allem daran, dass die Cleveland Cavaliers nach den ersten beiden Partien - sie hatten zum Start 89:104 und 77:110 verloren - partout nicht einsehen wollten, dass sie keine Chance hatten gegen diese Golden State Warriors, die in der Hauptrunde eine neue Bestmarke mit 73 Siegen und nur neun Niederlagen aufgestellt hatten. Es gibt jedoch im Sport keine schönere Geschichte als jene, wenn einer geschmäht auf dem Boden liegt, wenn er verlacht und verspottet wird, sich jedoch weigert aufzugeben und dem scheinbar unbesiegbaren Gegner weiter mutig entgegen stürmt. Die Cavaliers gaben nicht auf.

Cleveland kam zurück, angeführt von James, 31, der erst vor zwei Jahren zu seinem Heimatklub zurückgekehrt war. Mit ihm gewann Cleveland als erstes Team in der NBA-Geschichte nach einem 1:3-Rückstand noch den Titel, das letzte Spiel stand dabei symbolisch für alles, was Basketball so faszinierend macht. Es war ein Duell mit sehenswerten Spielzügen und grandiosen Defensivaktionen, aber auch grotesken Fehlpässen und schlimmen Würfen - und Curry und James zeigten, dass dem Menschen zu athletischer Perfektion doch noch etwas fehlt: Die Führung wechselte insgesamt 20 Mal, elfmal war der Spielstand ausgeglichen, und kurz vor dem Ende herrschte nun mit 89:89 Gleichstand.

Zuerst leistete sich Curry einen Fehlpass, als er den Ball hinter dem Rücken zu Klay Thompson passen wollte, danach warfen er und James insgesamt sechs Mal nacheinander neben den Korb. Aber wer sonst wollte den Ball schon haben? Kyrie Irving schnappte sich schließlich das Spielgerät, er dribbelte drei Mal durch die Beine, setzte jenseits der Drei-Punkte-Linie zum Wurf an - und traf. "In so einem Moment die Verantwortung übernehmen, das können nur ganz wenige. Kyrie kann es", sagte LeBron James nach der Partie.

Freilich war James mit 27 Punkten, elf Rebounds und elf Zuspielen der Held dieses Spiels, aufgrund teils übermenschlicher Leistungen der Held der gesamten Finalserie und aufgrund seiner Rückkehr aus Miami der Held von Cleveland. Der Moment dieser Saison bleibt dennoch die Umarmung von Green und James, weil sie eine bedeutsamere Botschaft an die Welt sendet: Da bekriegen sich zwei Akteure, heftig und bisweilen auch hässlich. Nach dem Spiel jedoch, da umarmen sie sich. Weil es eben nur ein Spiel ist.

© SZ vom 21.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: