Nationalmannschaft:Stiltreue beim langen Marsch

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Mit Torwart Lehmann, aber ohne Regisseur Ballack will die DFB-Elf gegen Argentinien flott voran spielen.

Ludger Schulze

Herr James Kim ist ein freundlich lächelnder Koreaner mittleren Alters. Weil Herr Kim auch Europachef von LG Electronics ist (Motto: "Life's good"), einem bedeutenden Unternehmen dieser Branche, das u.a. Unterhaltungs- und Haushaltsgeräte herstellt, durfte er gestern auf dem Podium sitzen, von dem herab normalerweise deutsche Fußball-Nationalspieler ihre aktuelle Befindlichkeit referieren.

Herr Kim sprach Englisch, und sein Englisch klang ein bisschen so wie Kimchi schmeckt. Übersetzt sagte er ungefähr, dass seine Firma über "ein hohes Maß an Dynamik" verfüge und dass er sich sehr glücklich schätze über die neue Partnerschaft, die soeben mit dem Deutschen Fußball-Bund vertraglich vereinbart wurde.

Dann sprach Herr Kim von "hoher Flexibilität und Siegermentalität" seines Unternehmens, und schließlich nannte er das Ziel, das ihn und die 54000 Angestellten antreibt: "Wir wollen die Nummer eins werden" - weltweit versteht sich.

"Das passt zu mir"

Wäre nicht dieses Englisch gewesen, man hätte glatt meinen können, hier breite Jürgen Klinsmann, der DFB-Cheftrainer, seine Fußball-Philosophie aus, dieselben Begriffe, die selben Vorstellungen. Weshalb es fast schon überflüssig ist zu erwähnen, dass Klinsmann vom neuen Premiumsponsor des DFB in einem Aufwasch zum Markenbotschafter ernannt wurde.

"Das passt zu mir", sagte Klinsmann, der glühende Anhänger modernster Kommunikationstechnologie, "ich benütze Produkte von LG bereits in meinem Alltag". (Wobei die monströsen Plasma-Bildschirme wohl auch im Hause Klinsmann einen Ausbau des Wohnzimmers erzwingen würden.) Vor allem benutzt er die identische Vision: Nummer eins der Welt zu sein im Juli 2006.

Um festzustellen, wo er auf dem langen Marsch nach Berlin derzeit steht, kommt ihm der Länderspielgegner Argentinien ziemlich gelegen. Die außerordentliche Klasse der Südamerikaner erhebt den Test in den Rang der ernsthaftesten Prüfung im Zeitraum von seinem Job-Antritt im August 2004 bis zum Konföderationen-Pokal im kommenden Juni.

"Ich bewundere die Breite der Qualität", lobte er fast schwärmerisch, jede Position sei bei den Argentiniern mehrfach gleichwertig besetzt. "Sie sind wahrscheinlich die Nummer eins, noch einen Tick besser als die Brasilianer."

Gegen ein solches Kaliber tut man gut daran, mit seinen besten Leuten aufzukreuzen. Geht aber nicht, weil Michael Ballacks Erkältung "doch schwerer ist, als wir gedacht haben" (Klinsmann). Schon gestern flog der Mittelfeld-Dominator zur Schonung zurück nach München.

Der "Leader" fehlt

Obwohl: "Man hätte die Dinge erzwingen können", also Ballack medikamentös aufpäppeln, aber das hätte zweifelsfrei zu Verstimmungen im sensiblen Verhältnis zum FC Bayern geführt. Dessen Trainer Felix Magath hat sich ohnehin schon bitter beklagt, dass alles Denken in Fußball-Deutschland auf die WM gerichtet und die Aufmerksamkeit der Spieler von ihrem eigentlich Arbeitgeber abgelenkt sei.

Nun, da der "Leader, der Käptn" (Klinsmann) fehlt, müssen andere dafür sorgen, dass die Stiltreue, schnell und immer nach vorne spielen, auch gegen den Härtefall Argentinien gewahrt bleibt.

In führender Position obliegt dies nun Torsten Frings, der die offensive Rolle Ballacks übernimmt, daneben spielen Bernd Schneider (rechts), Fabian Ernst (defensiv) und Bastian Schweinsteiger oder Thomas Hitzlsperger. "Ersetzen in dem Sinne kann man Michael Ballack nicht, aber wir werden die Dinge ausgleichen", verspricht der Bundestrainer.

Schon gleich gar nicht zu ersetzen ist nach Meinung des oben genannten FCBayern Torhüter Oliver Kahn. In der Münchner tz hat Manager Uli Hoeneß gerade das hohe Lied auf seinen Keeper gesungen und sich jeglichen Zweifel an diesem verbeten: "Wenn er so weiter hält, gibt es keine Diskussion. Da gibt es keinen Besseren auf der Welt", zumal die Stürmer wieder Angst vor Kahn hätten.

Klinsmann, der ehemalige Stürmer, hat zumindest mal keine - und setzt den guten Kahn auf jenen Platz, der dessen Erzrivalen Jens Lehmann innig vertraut ist, die Ersatzbank. Lehmann durfte am vergangenen Wochenende beim 3:1 gegen Aston Villa nach längerer Zeit wieder für Arsenal London zwischen die Pfosten, hielt fehlerfrei und wurde gestern Morgen von Klinsmann dafür belohnt.

"Mal spielt man, mal nicht"

Den Münchner Bayern dürfte die Zurückstufung Kahns wenig gefallen, zumal da der Coach ankündigte, dass die Rotation auf der Torlinie "ganz normal" weitergehe. Auch Kahn dürfte dies alles andere als normal finden, doch für Lehmann barg der überraschende Einsatz keine Überraschung. "Ich bin ja von der Nationalmannschaft nichts anderes gewohnt. Vor Jürgens Amtszeit bin ich nur sporadisch zum Einsatz gekommen."

Ob das alles nun bedeutet, dass er nun der Logik folgend auch am nächsten Wochenende für den FC Arsenal (gegen Crystal Palace) parieren darf? Eher nicht, glaubt Lehmann, "im Fußball bin ich mir über wenig sicher". Denn da sei das so: "Mal spielt man, mal spielt man nicht." Wenn die Dinge immer so einfach lägen...dann würde die deutsche Nationalmannschaft heute Abend gegen Argentinien mit 3:0 gewinnen.

© SZ vom 9.2.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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