Nationalmannschaft:Putzige Form einer Pleite

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Erstmals in der Ära Klinsmann verliert die Nationalelf ein Spiel - beim 1:3 in Südkorea trifft nur Michael Ballack.

Von Ludger Schulze

Mit seinem Kulturbeutel unter dem Arm stand Oliver Kahn hinter der Kette, welche die Spieler von den Journalisten trennte. Verhörsäle wie diesen, dessen Tristesse durch kein Möbelstück getrübt wurde, nennt man Mixed Zone. Man könnte sie auch Interviewraum nennen.

Antreten für Deutschland: die Nationalelf. (Foto: Foto: Reuters)

Bei Fußballspielern genießt diese Örtlichkeit einen Ruf wie eine Isolierzelle im Knast; im besonderen nach Niederlagen wie diesem 1:3 (1:1) gegen Südkorea im zweiten Spiel der dreiteiligen Asien-Reise. Die Fragen pflegen sie dann als subtile Form der Folter zu betrachten, und ihr Blick schweift sehnsuchtsvoll zum Ausgang, wo der Mannschaftsbus wartet.

Als hätten sie noch in der Kabine eine Absprache getroffen, gingen alle miteinander diesmal nach einer neuen Strategie vor, bereitwillig alles ausführlichst erklärend, eine Art Umarmungs- und Verniedlichungstaktik, als wäre das gerade nur eine besonders putzige Form einer Pleite gewesen.

Auch Kahn, der nach derlei Tagen gerne seinen Unmut zum Vulkahnausbruch bringt, hatte sich ein Freundlichkeitsgelübde auferlegt, indem er die Niederlage kurzerhand zu einem wesentlichen Teil des Reifeprozesses umdeutete: "Das ist ganz wichtig."

Chancen für zwei Siege

Dreimal hatten die Koreaner auf sein Tor gezielt, jeder Versuch war ein Volltreffer. "Wir haben heute zwei Tore des Monats gesehen", stellte der Tormann lakonisch fest, nichts zu halten gab es da, "und trotzdem hätten wir nicht verlieren müssen. Aber ich habe in diesem Jahr schon so viel erlebt, da stecke ich das auch noch weg".

Eine Analyse muss ergeben, dass dies das schwächste Spiel der Klinsmann-Ära war; schämen muss sich die Elf deshalb nicht. "Wir haben auch heute nach vorne agiert, nur hat Korea die Tore geschossen", sagte der Bundestrainer. Auch dies war seine richtig, wie die Match-Statistik unterstreicht: Den spärlichen Bemühungen der Asiaten standen 19 Torschüsse der DFB-Auswahl gegenüber, und nach dem 1:1 durch Ballacks Freistoß (24.) verschaffte sie sich Möglichkeiten in einer Fülle, die im Regelfall für zwei Siege ausreicht.

"Ein Rückschlag? Überhaupt nicht."

Klose scheitert aus einsamer Position am überragenden Keeper Lee Woon-Jae (26.), in seiner Abwehrnot köpfelt ein Koreaner gegen den eigenen Pfosten (30.), der Schiedsrichter verweigert Ballack einen unstrittigen Elfmeter (31.) und Kevin Kuranyi gelingt aus drei Metern ein Schuss über den Querbalken (34.).

So war das recht schwierig mit einer Fortsetzung der Erfolgsserie seit August dieses Jahres.

Und deshalb wiesen alle den Verdacht eines Rückschrittes zurück. "Wir haben gesagt, dass wir eine offensive Spielweise entwickeln wollen. Und die Mannschaft hat abgesehen von den ersten 15 Minuten immer versucht, nach vorne Druck zu machen", erklärte Assistenztrainer Joachim Löw.

Teammanager Oliver Bierhoff ergänzte: "Ein Rückschlag? Überhaupt nicht. Es ist ein wichtiger Lernprozess, wenn man erkennt, dass es nicht immer nur bergauf geht." Nur Klinsmann reagierte nach dem Abpfiff schmallippig und beklagte sich über die defensive Spielweise des Gegners, der häufig mit zehn Leuten seine Hälfte verrammelte. "Das ist schon komisch", grantelte er, "wenn man zuhause so spielt." Klinsmann war auch der Einzige, der das Resultat nicht als verkappten Sieg werten mochte: "Natürlich bin ich enttäuscht. Wer verliert schon gerne?"

Andersherum, wer siegt schon gerne? Diese Frage musste man sich in Anbetracht der Höflichkeiten stellen, die Koreas bester Spieler, Du-Ri Cha vom Zweitligisten Eintracht Frankfurt, verteilte. "Es tut mir ein bisschen leid für die Deutschen. Ich bin in Frankfurt geboren, das ist meine zweite Heimat", sagte er und sein Tonfall ließ darauf schließen, dass er das im Ernst meinte.

Jedoch hatten alle Koreaner im Stadion noch eine Rechnung zu begleichen, die 45.000 im Stadion von Busan buhten sämtliche deutschen WM-Teilnehmer von 2002 (Kahn, Ballack, Schneider, Klose) aus. "Es gab keinen unter uns", erzählte Cha, "der nicht an das Halbfinale 2002 gedacht hätte, und auch an 1994." Vor zwei Jahren kegelte Ballack mit seinen 1:0 die Koreaner aus dem Turnier im eigenen Land, acht Jahre zuvor hatten sie beim Turnier in den USA ebenfalls eine Niederlage erlitten.

Mitunter fuhrwerkten sie so rustikal herum, dass man an einen Rachefeldzug dachte und sich Sorge um Bänder, Sehnen und Knochen machte. "Für ein Freundschaftsspiel ging es extrem ruppig zu", sagte Miroslav Klose. "Ein Abnutzungskampf", schilderte Löw schaudernd. Als Fabian Ernst Schiedsrichter Subkhiddin Mohd Salleh daran erinnerte, dass in seiner Hemdtasche Verwarnungskarten stecken, entgegnete der Mann aus Malaysia, Gelbe Karten gebe es in solchen Spielen nicht.

Müder Eindruck

Immerhin wertete er gegen Schluss ein Handspiel als Elfmeter, den jedoch Ballack verballerte (85.). Das passte zu einer insgesamt sehr unglücklichen Vorstellung, zu der auch der lange verletzt gewesene Arne Friedrich sein Teil beitrug. "Es ist wichtig, dass er endlich zu uns gestoßen ist", meinte Klinsmann, und vermutlich dürften die Koreaner diese Ansicht geteilt haben.

Denn der Berliner half bei allen drei Treffern unfreiwillig, aber nach Kräften mit. Sein Innenverteidigerkollege Christian Wörns aber ist vermutlich der einzige Akteur, der aufgrund seiner umständlichen Spielweise nicht ins Vorwärtsschema dieser Mannschaft passt, auch wenn viele andere Spieler diesmal einen müden Eindruck hinterließen. Namentlich waren dies die Stuttgarter Hinkel und Kuranyi, die am vergangenen Freitag um 15 Uhr von Stuttgart über Frankfurt und Seoul nach Busan geflogen sind, wo sie anderntags um 16.30 Uhr (MEZ 8.30 Uhr) eintrafen.

"Das steckt in den Knochen", gab Philipp Lahm zu bedenken. Im Anschluss an eine ohnehin schlauchende Saison, erläuterte Kahn weiter, "ist diese Asienreise schon eine harte Nummer", weshalb es an "Frische, Spielintelligenz und Witz" gemangelt habe. Besonders das Schlafdefizit angesichts der Zeitumstellung und nächtlicher Flüge dürfte sich auf die Form geschlagen haben. In Bangkok, wo die Deutschen schon am morgigen Dienstag (12.30 Uhr MEZ, live in der ARD) wieder ranmüssen, dürfen Ballack, Schneider und Ernst, die das größte Programm absolviert haben, diesmal pausieren.

In Thailand, so haben alle versprochen, gibt es wieder einen Sieg. "Dann hat das Jahr für alle einen guten Abschluss gefunden", sagte Bierhoff. Für alle? Keineswegs. Denn da ist Oliver Kahn, drei Schüsse, drei Gegentore, der eine ganz andere Meinung über 2004 vertritt: "Ich bin froh, dass dieses Jahr vorüber ist. Jetzt reicht's mir."

© SZ vom 20.12.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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