Nationalelf:Kampf ums nackte Dabeisein

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Das Länderspiel gegen die Slowakei ist als Start in eine neue Phase der WM-Vorbereitung zu sehen - es geht um die 23 Kaderplätze.

Ludger Schultze

Den Salon London im Crowne Plaza Hotel von Bratislava hatte man für die Pressekonferenz der deutschen Delegation ausgewählt, eine so moderne Räumlichkeit, dass sie sogar über ein elektronisches Display vor den Eingangstüren verfügt. Dort konnten die deutschen Journalisten ablesen, was sie am Freitagmittag nach der Ankunft der Fußballnationalmannschaft hier erwartete: "Pressekonferenz DFB 08.00 - 23.59". 16 Stunden - so lange gedachte eigentlich keiner den Ausführungen von Bundestrainer Jürgen Klinsmann und Kapitän Michael Ballack zu lauschen.

Glücklicherweise machten die Herren es gnädig, schon nach einer guten halben Stunde waren sie trotz zeitraubender Übersetzung mit ihren Ausführungen zum Länderspiel am Samstag gegen die Slowakei fertig. Dabei verspricht die Partie im Stadion des alt-ehrwürdigen Klubs Slovan, auf den ersten Blick wenigstens, nicht unbedingt ein funkelndes Beispiel dramatischer Fußballkunst. Eher, so dürfte man meinen, steht den Leuten daheim vor den Bildschirmen ein gepflegter Langeweiler ins Haus, wie beispielsweise im März beim ächzenden 1:0 in Slowenien. Zumal da die Slowaken am nächsten Mittwoch ein furchterregenderes Erlebnis in Form eines Auswärtsspiels im Rahmen der WM-Qualifikation in Lettland erwartet - dort sollen sie den zweiten Rang in ihrer Gruppe hinter Portugal, aber vor den Russen verteidigen.

Nur Ballack ist zu 100% gesetzt

Seinen Reiz also muss das Spiel vermutlich aus anderen Aspekten gewinnen. Etwa aus der extrem hohen Wahrscheinlichkeit, dass die deutschen Kicker mit größter Hingabe zu Werke gehen werden. Dies lässt zumindest ein knapper Satz Klinsmanns erwarten, der als Startschuss in eine neue Phase der WM-Vorbereitung zu werten ist: "Der Kampf um die Plätze geht los." Davon wird es 23 geben, und mit letzter Gewissheit hat lediglich Ballack seine Position inne - sofern er nicht einer Verletzung zum Opfer fällt.

Ansonsten werden von Torwart, da besonders, bis zum Linksaußen auf allen Posten die Messer gewetzt, "die Spieler müssen uns in jedem Spiel zeigen, was sie drauf haben", erläutert der Bundestrainer. Das ist zuletzt beim duselhaften 2:2 in den Niederlanden nur den wenigsten gelungen, diesen Rückfall in die Zeiten ratlosen Rumpelfußballs haben die DFB-Trainer noch nicht verziehen. "Keine Kombinationen und kein Spielfluss in der ersten Hälfte", moniert Assistenzcoach Joachim Löw immer noch, liefert aber gleich eine einleuchtende Erklärung für das kontraproduktive Gegurke von Rotterdam. Nicht allein der defizitäre Fitness-Zustand sei daran schuld gewesen, sondern auch die psychische Einstellung etlicher Akteure.

Die seien durch das mitreißende, auch von den Zuschauern euphorisch begleitete Erlebnis des Confed-Cups emotional so in Anspruch genommen worden, dass sie knapp zwei Monate danach, wie Klinsmann fortsetzt, "nicht die innere Spannungen aufgebaut hatten". Eine natürliche, normale Sache sei dies, die man aus jeden anderen Beruf kenne. Vergleichbar vielleicht mit dem Spannungsabfall, ja sogar der Desorientierung, die man nach einer besonders wichtigen Prüfung erfährt. "Man muss sich dann neu ordnen, neu definieren", sagt Klinsmann. Gerade bei jüngeren Spielern könne man dies beobachten, vermutlich der Hauptgrund, weshalb er das zuvor als neues deutsches Fußball-Hiphop-Duo gefeierte Freundespaar Basti & Schweini gegen die Niederländer daheim ließ. Beide hatten u.a. gut damit zu tun, den frischen Lorbeer zu verdauen, was Bastian Schweinsteiger besser gelang als Lukas Podolski.

Während der Münchner in der Bayern-Hierarchie der Stars eher einen vorderen zweistelligen Tabellenplatz einnimmt, ist Podolski in Köln eine Art rheinische Supernova, was die Konzentration aufs Wesentliche deutlich erschwert. Podolski hat sich inzwischen gefangen, wie seine letzten Trainingseindrücke nahelegten. Mittelfeldmann Schweinsteiger, beim FC Bayern derzeit nur zweite Wahl, muss sich hingegen auch im Nationalteam erst einmal wieder hinten anstellen.

Erbitterter als in seiner Spielregion wird der Kampf ums nackte Dabeisein noch in der Defensivabteilung geführt, wo die Zentrifugalkräfte der Leistungsdiagnostik soeben den Londoner Chelsea-Hünen Robert Huth aus der Kurve geradewegs zu den U21-Junioren getragen haben. In Klinsmanns Zehenspitzendiktion wird die demonstrative Degradierung zu einem "kleinen Zeichen an Robert, jetzt muss er mithalten". Heißt übersetzt: Wenn du nicht bald in die Gänge kommst, Bursche, helfen wir dir auf die Sprünge.

Auch Görlitz und Lahm auf der Liste

Gesetzt in der Vierer-Abwehrformation ist derzeit nur einer, Per Mertesacker, aber diesen Vertrauensbeweis schränkt der Bundestrainer gleich wieder mit einem Wörtchen ein: "momentan". Vielleicht darf sich in dem Kölner Lukas Sinkiewicz gegen die Slowakei gleich der nächste jugendliche Aspirant ins Getümmel werfen, der Mönchengladbacher Marcell Jansen wird, wenn nicht sofort, dann spätestens am folgenden Mittwoch in Bremen gegen Südafrika die linke Außenlinie als Defensivkraft rauf- und runterwetzen. Vorsorglich erwähnt Klinsmann auch noch Philipp Lahm und Andreas Görlitz (beide FC Bayern), die demnächst nach Ausheilung ihrere Kreuzbandrisse wieder ins Geschehen eingreifen.

Für sie und alle anderen Abwehrleute gilt bis zum kommenden Mai weiterhin das verschärfte Rotationsprinzip. Denn, sagt Jürgen Klinsmann, solange alle auf ähnlichem Niveau spielen, also "keine großen Unterschiede zu erkennen sind, wird weiterrotiert". Da bietet sich für den einen oder anderen in Bratislava die Gelegenheit, mehr Halt auf dem Spielerkarussell zu bekommen.

© SZ vom 3.9.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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