Nachruf:Charmeur mit Selbstironie

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Früher erfolgreicher Leichtathlet, später einflussreicher Funktionär: Werner von Moltke. (Foto: Horstmüller/Imago)

Zum Tode des Zehnkampf-Europameisters und Volleyball-Funktionärs Werner von Moltke.

Von Sebastian Winter

Wer Werner Graf von Moltke anrief in seinem Heimatort Nieder-Olm in Rheinland-Pfalz, der erwischte den damaligen Ruheständler und ehrenamtlichen Präsidenten des Deutschen Volleyball-Verbandes (DVV) eigentlich immer im Sessel vor dem Fernseher, beim Sport schauen. Von Moltke war süchtig, im positiven Sinne: Wettkämpfe, Medaillen, die Geschichten der Menschen, die gegeneinander antreten, das war sein Leben. Die Menschen hat er dabei nie vergessen hinter den Weiten und Zeiten, die sie erreichten. Seine Lesebrille hingegen sehr oft, wenn er zuhause Akten studierte oder Zeitung las, er fragte dann immer lauthals seine Frau, ob sie denn wisse, wo die Brille sei.

In der Nacht von Montag auf Dienstag ist der DVV-Ehrenpräsident im Alter von 83 Jahren in Nieder-Olm, wo er lange Jahre auch ein Sportgeschäft betrieb, verstorben. Er hinterlässt bei den Volleyballern, aber auch in der Leichtathletik, aus der er stammte, ein weitreichendes Erbe.

Doch zunächst einmal trieb der gebürtige Thüringer aus Mühlhausen höchstselbst sehr passabel Sport, als Zehnkämpfer mit den Spezialdisziplinen Kugelstoßen und Diskuswerfen. 1962 verpasste von Moltke im Duell mit dem russischen Titelverteidiger Wassili Kusnezow nur um vier Pünktchen den Europameistertitel. Zugleich hatte er als erster Deutscher die 8000-Punkte-Marke geknackt. 1966 wurde von Moltke doch noch Europameister und krönte damit seine sportliche Laufbahn. An Olympische Spiele hingegen erinnerte sich der Wettkämpfer von Moltke nicht gerne zurück, 1960 wurde er zwar eingekleidet, eine Entscheidung am grünen Tisch verhinderte dann aber seine Reise nach Rom. Vier Jahre später qualifizierte er sich nicht für die Spiele in Tokio, 1968 in Mexiko war der breitschultrige Modellathlet dann zwar am Start, gab aber wegen einer Verletzung auf.

Beruflich stieg von Moltke danach bei einem deutschen Sportartikelhersteller auf. Dort knüpfte er jenes fast schon legendäre Netzwerk, mit dem er später als Vizepräsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) und, nachdem er wegen Streitigkeiten mit DLV-Boss Helmut Digel die Sportart gewechselt hatte, zwischen 1997 und 2012 als DVV-Präsident durch die Welt zog; immer auf der Suche nach Gönnern und Helfern.

Von Moltke war Menschenfänger und Bauchmensch zugleich, er konnte auf den Fluren schon mal ruppig sein zu Angestellten, weil er sein Herz stets auf der Zunge trug, wie auch langjährige Wegbegleiter berichten. Unvergessen ist sein begeisterter Sprung hinein in die Jubeltraube der Volleyballerinnen nach ihrer überraschenden Olympia-Qualifikation 2000 in Bremen. Bei der Beachvolleyball-EM 2005 schlug er sich im sich anbahnenden Spielerstreik gegenüber dem Weltverband auf die Seite der Athleten und rang der FIVB Zugeständnisse ab.

Der Weinliebhaber beherrschte die Klaviatur auf den Funktionärsbühnen, das Charmieren und freundschaftliche Netzwerken, auch mit Größen wie Muhammad Ali. Seine Selbstironie half ihm dabei ebenso wie sein feiner Humor. "Ich bin der letzte meines Stammes, der letzte Mohikaner", sagte er einmal bezüglich seiner adeligen Abstammung, um die er nie viel Aufhebens machte.

Für die Volleyballer war von Moltke mit seinen Kontakten ein Glücksfall. Die erste Frauen-WM (2002) und erste Beachvolleyball-WM (2005) holte er nach Deutschland, der Olympiasieg von Brink/Reckermann 2012 in London war die Krönung seiner Amtszeit, Brink bezeichnete den Präsidenten später als "väterlichen Freund". Nachwuchskonzepte und die Basis vernachlässigte von Moltke allerdings auf Kosten des Spitzensport-Fokus. Am Ende seiner Amtszeit mehrten sich die Stimmen, die ihn zum Rückzug rieten, von Moltke schien für nicht wenige etwas aus der Zeit gefallen. Dem Sport blieb er treu, in seinem Sessel, bis zuletzt.

© SZ vom 01.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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