Nach dem Länderspiel:Deutsche Gegendarstellung

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Kein Trost in der Fußballpfalz: Das 0:2 gegen Ungarn hinterlässt einen enttäuschten Rudi Völler. Von Philipp Selldorf

Nachdem Fredi Bobic seinen 57. Fehlpass mitten ins Unterholz der ungarischen Deckung gespielt und gleich darauf eine besonders erbärmliche Schwalbe an der Strafraumgrenze inszeniert hatte, richtete sich die Aufmerksamkeit des gepeinigten Publikums im Fritz-Walter-Stadion auf den Mann, der sich bereits als Ersatzmann für Bobic am Spielfeldrand postiert hatte.

Sehnsüchte nach ein bisschen Freude am Spiel begleiteten die Blicke der Zuschauer und eine bodenlose Hoffnung, der keinerlei Vernunft und Verstand zugrundelag. Lukas Podolski, am Freitag 19 Jahre alt geworden, seit einem knappen halben Jahr Bundesligaprofi und noch nie zuvor in der Nationalmannschaft eingesetzt, wurde mit euphorischen Sprechchören empfangen, bevor er überhaupt den Rasen betreten hatte. Als der Stadionsprecher seinen Vornamen nannte, kam die Antwort von den Rängen so laut wie im Müngersdorfer Stadion, wo der FC-Profi zuhause ist: P-o-d-o-l-s-k-i-i-i-i...

Es herrschte also eine umfassende Verzweiflung in Kaiserslautern, als die deutsche Mannschaft am Sonntag Abend ihr Abschiedsspiel vor dem Abflug zur Europameisterschaft in Portugal gab und mit dem 0:2 gegen Ungarn einen außerordentlich peinlichen Eindruck vor fast zehn Millionen Fernsehzuschauern und 36000 Stadionbesuchern hinterließ. Der Zustand von Skepsis und Betretenheit wurde umso größer, je öfter der Teamchef die Devise des Abends wiederholte: "Man darf das nicht dramatisieren."

Rudi Völler sah nicht gut aus nach dem Spiel, was möglicherweise an der Erkältung lag, die ihm während des zwölf Tage währenden Trainingslagers im Schwarzwald zu schaffen gemacht hatte. Möglicherweise war es aber auch der Schock über die Darbietung seiner Mannschaft, der ihn zeichnete. Überanstrengt und bleich saß er da, Schweißperlen standen ihm auf der Stirn, und es fiel ihm schwer, seine Gedanken zu klaren Sätzen zu ordnen.

Schlimme Beobachtungen hatte der Teamchef machen müssen, und bis zum letzten Spielzug versagten ihm seine Leute Schonung. Schon nach zwei Minuten kam der ungarische Angreifer Torghelle allein auf Torwart Kahn zugelaufen, weil er von den Innenverteidigern Wörns und Nowotny vergessen worden war, was zu einem tragenden Motiv dieser Partie geraten sollte.

"Normalerweise", merkte Völler ratlos an, "sind das zwei alte Recken". Die Betonung liegt auf alt - Torghelle durfte dank der indisponierten deutschen Deckungsspieler beide Treffer erzielen. Über das überraschende 0:1 hatten die auf Frohsinn eingestellten Zuschauer noch hinweggesehen, beim 0:2 aber begannen sie zu pfeifen. Einige versprengte Rufer feierten Lothar Matthäus, und zur Pause begleiteten Buhrufe die Mannschaft.

Als die Deutschen aber auch in der zweiten Halbzeit gegen eine mehr oder weniger stationär im Strafraum verschanzte ungarische Verteidigung nur ein paar nutzlose Fernschüsse zustandebrachten, machte sich Lethargie breit in der Fußballpfalz. Frank Baumanns lustige Rückziehernummer im Strafraum, die einem Akt der Selbstverstümmelung glich, rief kurz vor Schluss nicht mal mehr Hohnlachen hervor. Weil die deutschen Spieler zügig in der Kabine verschwanden, applaudierten die Fans zum Schluss den Ungarn auf ihrer Ehrenrunde.

Wenig Trost bot sich Völler bei dieser bedrückenden Gegendarstellung der vorigen Siege gegen Malta (7:0) und Schweiz (2:0): Das Engagement des zweiten Debütanten, Bastian Schweinsteiger, und des Angreifers Thomas Brdaric, die in der zweiten Halbzeit die zur Zeit nicht konkurrenzfähigen Andreas Hinkel und Miroslav Klose ersetzten; die Spielfreude Philipp Lahms; und einige lichte Momente des Spielmachers Michael Ballack.

Das alles gegen eine ungarische Elf, die clever spielte, aber maximal der Kategorie 2b angehört. Tore gelangen trotz des Einsatzes von vier Angreifern keine, und der Mangel an deutscher Sturmkraft wirft laut Kapitän Kahn das prinzipielle Problem auf, "dass wir kaum einmal in Rückstand geraten dürfen". Alarmierend, dass Kahn zu einem Standard aus Krisenzeiten mit dem FC Bayern zurückgriff: "Wir dürfen uns jetzt nicht selbst zerfleischen."

Noch hat sich keine Mannschaft gefunden

Ob sich Zweifel eröffnet hätten, wurde Völler gefragt, und müde kam zurück: "Man macht sich schon seine Gedanken. Der eine oder andere muss mir sicher noch etwas anbieten". Der Teamchef spielte damit auf die Besetzung für die Premierenpartie in einer Woche in Porto gegen Holland an, die nun wieder zur Disposition steht, weil vermeintlich verlässliche Größen wie Frings, Hamann oder Nowotny von Schwächeanfällen befallen wurden.

"Mit 'nem Sieg wäre vielleicht alles ein bisschen ruhiger, schöner gewesen", sagte Völler so matt, als ob ihn der Abend auf einen Schlag demoralisiert hätte. In der Pause, berichtete Nowotny, habe der Teamchef nicht verärgert, "sondern enttäuscht" gewirkt. Gute Reise also. Philipp Selldorf

Deutschland: Kahn (Bayern) 34 Jahre/69 Länderspiele - Hinkel (Stuttgart) 22/7/ab 46. Schweinsteiger (Bayern/19/1), Wörns (Dortmund) 32/56, Nowotny (Leverkusen) 30/43/61. Baumann (Bremen/24/22), Lahm (Stuttgart) 20/6 - Schneider (Leverkusen) 30/37, Hamann (Liverpool) 30/55, Frings (Dortmund) 27/29 - Ballack (Bayern München) 27/41 - Bobic (Hertha) 32/35, 74. Podolski (Köln/19/1), Klose (Kaiserslautern) 25/38, 46. Brdraric (Hannover/29/3). Ungarn: Kiraly - Bodnar, Juhasz, Stark, Andras Toth - Huszti (90. Bodor), Rosa, Szelesi, Leandro (63. Toth) - Torghelle, Gera. (Tore: 0:1, 0: 2 Torghelle (7., 31.). - Zs: 37000 (ausverkauft).

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