Naby Keita:Leipzigs tastendes Herz

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Der 23-Jährige hat sich gleich in seiner ersten Bundesliga-Saison zu einer prägenden Figur entwickelt. Sein Ziel: der beste Spieler der Welt zu werden. Seine erstaunliche Entwicklung beeinflussten vor allem Sportdirektor Ralf Rangnick und Trainer Ralph Hasenhüttl.

Von JAVIER CÁCERES, Leipzig

Wenn man Naby Keita fragt, was ihm als Erstes in den Sinn kommt, wenn er an seine Heimat Guinea denkt, dann dauert es eine Weile, ehe er vom grellen Sonnenlicht, den tropischen Temperaturen und dem Strand seiner Geburtsstadt Conakry erzählt. Von all den Dingen also, die er vermutlich gerade jetzt so sehr vermisst, da es draußen kalt ist und nass. Er kommt freilich erst nach einer gewissen Zeit des Innehaltens darauf zu sprechen. Nach einer gewissen Zeit, das heißt: erst nachdem er gesagt hat, dass er den Gedanken an daheim gar nicht erst aufkommen lässt. Denn: "Mein Kopf ist hier in Leipzig."

In Leipzig ist Keita seit vergangenem Sommer, und vor dem 22. Spieltag lässt sich sagen: Es hätte kaum besser laufen können. RB Leipzig ist Zweiter der Bundesliga, und wenn es Spieler gibt, die beim Aufsteiger für fußballerische Klasse bürgen, dann sind es der schwedische Mittelfeldkünstler Emil Forsberg - und eben Keita.

Wenn er nun an diesem Wochenende gegen den 1. FC Köln antritt, werden wieder viele der elf Millionen Guineer in RB-Trikots vor den Fernsehschirmen sitzen ("Leipzig ist dort die Nummer eins"), und sie werden darauf bauen, dass Keita seinen vier Toren und fünf Assists aus 19 Spielen weitere Erfolgserlebnisse folgen lässt. Dabei blendet er persönliche Statistiken aus. Ihm gefällt die Rolle des Spielers, der so etwas wie das tastende Herz seines Teams ist; ein Spieler, der nach Räumen sucht und seine Arbeit mit calvinistischer Selbstverleugnung verrichtet.

"Natürlich ist es schön, der Mannschaft mit einem Tor zu helfen", sagt Keita. "Aber wenn ich aufs Feld gehe, denke ich daran, wie man am besten verteidigen und den Ball erobern kann und welche Ideen es gibt, um meine Mitspieler zu unterstützen. Das ist meine Hauptaufgabe."

Seine Anfänge gehen zurück an den Strand ("eine grandiose Schule für die Physis und Technik") und auf die Straßen von Conakry, wo er das erste Mal Geld fürs Fußballspielen entgegennahm: Passanten prämierten ihn für Tore und Finten, die Belohnungen lieferte er daheim ab. Als sein Vater ihm längst den Beinamen "Deco" gegeben hatte, in Anlehnung an den offensiven Mittelfeldspieler aus Brasilien, der vor allem beim FC Porto und dem FC Barcelona brillierte, wurde der FC Santoba auf ihn aufmerksam. Mit 16 Jahren wurde Keita zum besten Spieler der zweiten Liga Guineas gewählt, Santoba stieg auf. Unter Männern holte er sich "hin und wieder die eine oder andere Blessur. Aber da musste ich durch. Ich liebe den Fußball".

Sein Ziel war damals schon Europa. Er ging 2013, als die Saison schon begonnen hatte, in Frankreichs League 2 zum FC Istres, und obwohl er den Abstieg nicht verhindern konnte, fiel er auf: mit vier Toren und neun Vorlagen, sie sorgten für 20 der letztlich nutzlosen 36 Saisonpunkte. Im Mai 2014 bestritt er nahe Paris in einem Testspiel gegen Mali das erste seiner bisher 20 Länderspiele - und steuerte per Elfmeter einen Treffer zum 2:1-Sieg bei.

Nach der Partie standen zwei Funktionäre aus der Red-Bull-Familie vor ihm. Es waren der ehemalige französische Nationaltrainer Gérard Houllier, damals Sportdirektor von RB New York, sowie ein Mann, von dem Keita nie zuvor gehört hatte: Ralf Rangnick, damals Sportdirektor bei RB Salzburg und RB Leipzig.

"Was mich sehr berührt hat, war Ralfs offene Art, dass er mich gleich in den Arm genommen hat. Er hat mich behandelt wie einen Sohn", sagt Keita, der seinerzeit auch von Paris St. Germain und dem FC Arsenal umschwärmt wurde - und sich doch für ein Engagement beim österreichischen Erstligisten RB Salzburg entschied.

Rangnick habe ihm auch anhand von Videos aufgezeigt, welche Entwicklungsmöglichkeiten man für ihn sah. "Mir hat der Fußballstil sehr gefallen. Und ich dachte, dass Salzburg ein Klub sein würde, wo ich mich weiterentwickeln würde", sagt Keita. Er wurde dort zwei Mal Meister und trainierte zuletzt unter dem früheren Barcelona-Profi und Cruyff-Schüler Óscar García, 43. "Er ist einer der drei besten Spieler, die ich je trainiert habe", sagt García. Wegen seiner Rolle und seiner Physis (1,72 Meter, 68 Kilo) erinnert er an den früheren französischen Weltklasseprofi Claude Makélélé (u. a. Real Madrid und FC Chelsea); nur dass Keita technisch und im Offensivspiel stärker ist. Von García, sagt wiederum Keita, habe er "enorm viel gelernt". Vor allem Bewegungsmuster, insbesondere bei Ballverlust, "denn da fühlte ich mich immer etwas verloren". Und bei aller Freude über Keitas Fortschritte bedauert es García bis heute, dass der Guineer zu einem von zehn Profis wurde, die von Salzburg nach Leipzig gewechselt sind. In den Medien wurde über eine Ablöse von mehr als zehn Millionen Euro spekuliert. "Es war meine alleinige Entscheidung", sagt Keita, in Leipzig habe er bessere Entwicklungsmöglichkeiten gesehen. Und dort ist man heilfroh, ihn zu haben.

Der Grund: Keita hat sich auch unter Trainer Ralph Hasenhüttl fortentwickelt, auch nach eigenem Empfinden. Er sei zwar in ein Korsett gezwängt, unter dem "die Kreativität leidet". Aber: "Der Trainer gibt mir klare Anweisungen. Ich mag es, ihnen zu folgen, weil wir alle zusammenspielen und nicht einer machen kann, was er gerade will." Am Ende des Lernprozesses sieht er sich noch lange nicht, mit Hasenhüttl und dem Trainerstab sondiere er Verbesserungsmöglichkeiten, vor allem in Bezug auf Defensivspiel und Balleroberung. Die Kunst des taktischen Fouls beherrscht er schon jetzt so gut, dass manchem Gegner das Blut gekocht hat, zuletzt etwa Hoffenheims Trainer Julian Nagelsmann.

Das Ziel, das Keita bei alledem vor Augen hat, liegt nicht gar so weit weg wie der Strand von Conakry, aber fern liegt es doch noch: "Ich möchte der beste Spieler der Welt werden."

© SZ vom 25.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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