1860 München:Die Rückkehrer

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Die Treffer der Löwen beim Rekordsieg in der Arena (von links oben nach rechts unten): Levent Aycicek verwandelt den Freistoß, den er selbst heraus geholt hat; Michael Liendl verwandelt zwei Elfmeter zum 2:0 und zum 3:1; Sascha Mölders trifft kurz nach der Pause zum 4:1; Aycicek erzielt seinen zweiten Treffer; der eingewechselte Daniel Adlung stellt den Endstand her. (Foto: Ruiz/Imago, Sven Simon/imago (2), Stefan Matzke/sampics, M.i.S./imago, Matthias Balk/dpa)

Michael Liendl nach Denkpause, Ivica Olic nach Wettsperre und auch der bislang eher selten eingesetzte Levent Aycicek kommen beim 6:2 des TSV 1860 gegen Aue zusammen auf neun Torbeteiligungen.

Von Markus Schäflein

Noch nie, seit der TSV 1860 München in der Arena in Fröttmaning spielt, und das ist ja immerhin bereits seit elf Jahren der Fall, waren ihm sechs Treffer in einem Spiel gelungen. So gesehen bedeutete das 6:2 am Freitagabend gegen Erzgebirge Aue einen ganz besonderen Moment. Aber die Löwen wären nicht die Löwen, wenn jener Moment des großen Triumphes nicht von einer Enttäuschung überschattet worden wäre. Am Wochenende wurde bekannt, dass Christl Estermann, die 73-jährige Wirtin des Löwenstüberls, über ihren Rückzug nachdenkt. Dabei war es laut einem Bericht der tz die Christl gewesen, die den Aufschwung der Sechziger mit dem Pokalsieg in Würzburg und dem Torfestival gegen Aue erst ermöglicht hatte. Sie hatte zu Kosta Runjaic gesagt: "Trainer, Sie müssen die Mannschaft härter anpacken." Nach dem Erfolg soll sich Runjaic bei ihr für den Ratschlag bedankt haben.

Wie auch immer der Übungsleiter die Mannschaft angepackt hat, sein Plan für die englische Woche und seinen Arbeitsplatzerhalt ging auf: Für die Spiele in Würzburg und gegen Aue wählte er zwei sehr unterschiedliche Formationen und sehr unterschiedliche taktische Ansätze. Gegen den FC Erzgebirge durften oder konnten einige Fußballer mit vergleichsweise feinem Fuß wieder mitwirken, und sie dankten es mit Toren und Torvorlagen. Michael Liendl (nach Denkpause), Ivica Olic (nach Wettsperre) und Levent Aycicek (in Würzburg nur eingewechselt) kamen zusammen auf neun Torbeteiligungen (jeweils drei). Insbesondere für Liendl war es eine Genugtuung: "Das war nicht ganz so einfach, das wegzustecken", erklärte er. "Ich weiß ja, was für eine Qualität ich habe und dass ich der Mannschaft mit der Qualität viel bringen kann. Wenn du zwei Mal nicht im Kader warst, tut so ein Spiel gut."

Runjaic möchte in laute Hymnen auf Liendl, ganz im Gegensatz zu Liendl, nicht einstimmen

Zwei Elfmeter, zum 2:0 und zum 3:1, hatte Liendl verwandelt. "Beim ersten hab ich schon ein bisschen geschwitzt", gab er nach dem Spiel zu. Durchaus zu Recht, den Strafstoß, optimistisch halbhoch in die Mitte geschossen, hätte Aues Torwart Daniel Haas fast noch mit dem Fuß erwischt. Zudem hatte Liendl das 4:1 durch Sascha Mölders mit einem langen Pass vorbereitet. Runjaic mochte in allzu laute Lobeshymnen auf Liendl, ganz im Gegensatz zu Liendl, aber nicht einstimmen: "Er hat eine gute Partie gespielt und seinen Beitrag geleistet", meinte der Trainer nur. Er weiß ja, dass er bei dem Österreicher mit dem feinen Fuß den Druck, auch taktisch mitzuarbeiten, immer hoch halten muss.

Auch der 37-jährige Olic war mit drei Assists im ersten Einsatz nach seinen kleinen Wehwehchen und seinem ebenso kleinen Wettskandal gleich wieder auf der Höhe. Und der aus Bremen geliehene Aycicek rackerte unermüdlich und traf nach seinem Tor beim VfB Stuttgart (1:2) diesmal zwei Mal. "Zur Zeit funktioniert es", stellte er fest. Einen Freistoß, den er selbst herausgeholt hatte, verwandelte er direkt zum 1:0, später nutzte er Olics Vorlage zum vorletzten Tor des Abends. "Aycicek war ein Mal raus, zwei Mal kam er dann wieder von Anfang an rein, hat einen guten Job gemacht, Tore gemacht. So muss es sein", lobte 1860-Sportdirektor Thomas Eichin.

In der Offensive sah diesmal alles gut aus, Sorgen bereitet den Löwen hingegen weiterhin ihre Abwehrkette und ihre Defensivarbeit im Allgemeinen. Die Auer hatten - selbst in Unterzahl, nachdem Sebastian Hertner beim unberechtigten Handelfmeter kurz vor der Pause auch noch Rot gesehen hatte - eine Vielzahl von Möglichkeiten gehabt, mehr als nur zwei Tore zu erzielen. Und beim nächsten Spiel am Sonntag (13.30 Uhr) in Sandhausen fehlt nun auch noch der bislang gesetzte Innenverteidiger Jan Mauersberger gelbgesperrt. Ins Mahnen, dass bloß keiner wegen der schönen sechs Tore in Euphorie verfallen solle, stimmte neben Eichin und Runjaic auch Hasan Ismaik über seine von einer PR-Agentur betreute Facebook-Seite ein: "Trainer und Spieler müssen sich bewusst sein, dass zehntausende Löwenfans sich mehr erwarten als nur 11 Punkte nach 11 Spieltagen", so Ismaik. "Diese Ausbeute ist sehr mager." Dass erst einmal wieder Abstiegskampf ansteht und die Träume von Aufstieg mal wieder vertragt werden müssen, wird dem jordanischen Investor nicht gefallen.

Immerhin, von der Grünwalder Straße gab es am Sonntagmorgen gute Nachrichten. Als das Löwenstüberl von einer trinkfreudigen Reisegruppe aus Bad Endorf bevölkert war, befand sich die Christl wieder ganz in ihrem Element, posierte für Erinnerungsfotos und erklärte zu ihren Rücktrittsüberlegungen: "Das war mal ein Gedanke, das stimmt, aber gekündigt habe ich noch nicht." Sie habe "immer gesagt, dass ich erst gehe, wenn Sechzig wieder in der ersten Liga ist", erklärte die Wirtin, und außerdem: "Wenn ich hier rausgehe, das wäre mein Sterbetag." Kombiniert man diese Aussagen, könnte man auf die Idee kommen, dass die Christl wahrscheinlich unsterblich ist.

© SZ vom 31.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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