Mountainbike:Seriensiegerin Gunn-Rita Dahle und die frustrierte Konkurrenz

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Die 31-jährige Norwegerin hat in den vergangenen zwei Jahren elf von zwölf Weltcup-Rennen gewonnen. Auch in Athen geht sie als Favoritin an den Start - zum Verdruss der deutschen Weltmeisterin Sabine Spitz.

Von Thomas Becker

Der Poolboy hat schnell kapiert. Schon am zweiten Tag weiß er Bescheid: das halbe Dutzend Hometrainer nicht einfach nebeneinander aufstellen, sondern im Halbkreis, einer mittendrin, Blick aufs Meer. Auch Menschen, die Gunn-Rita Dahle nicht kennen, bekommen sehr schnell mit, dass sie hier die Hauptperson ist. Ihr Auftritt ist selbstsicher wie der eines Klubanimateurs: kesser Kurzhaarschnitt, Fingernägel fast wie Gail Devers, die exzentrische US-Sprinterin, und immer einen lockeren Spruch parat.

So wie sich im spanischen Trainingslager die Teamkolleginnen an ihr orientieren, so kreisen auch im Mountainbike-Weltcup alle um den Fixstern Gunn-Rita. In den vergangenen zwei Jahren hat die 31-jährige Norwegerin elf von zwölf Cross-Country-Weltcups gewonnen. Bei Nummer zwölf fuhr sie nicht hinterher, sondern schuftete lieber im Höhentraining in Boulder/US-Bundesstaat Colorado.

Den Gesamt-Weltcup hatte sie schon vorzeitig gewonnen. Vergangenen Sonntag kam in Walbrzych (Polen) der EM-Titel dazu; Gold in Athen und bei der WM in Les Gets zwei Wochen später sind ebenfalls eingeplant. Ihr ehemaliger Teamchef Thomas Klotzbücher beschrieb ihre Dominanz nach einem Rennen so: "Da ist die Weltmeisterin nicht die einzige, die geflennt hat. Da kommen allen die Tränen. Die gehen reihenweise in den Wald zum Heulen."

"Ungünstige Rahmenbedingungen"

Die Weltmeisterin heißt Sabine Spitz, kommt aus dem Südschwarzwald und war zwei Jahre Dahles Teamkollegin. Einen der wenigen schwachen Momente der Norwegerin nutzte sie im vergangenen Herbst und wurde nach zwei Plattfüßen Dahles Weltmeisterin, bald darauf "Radsportlerin des Jahres" und erneut Zweite im Gesamt-Weltcup - hinter Gunn-Rita Dahle, vor der Russin Irina Kalentieva, einer weiteren Fahrerin des Teams Multivan Merida. Dennoch hielt es Sabine Spitz in der so erfolgreichen Mannschaft nicht mehr aus.

Im Januar des Olympia-Jahres löste sie nach vier Jahren den Vertrag, sprach von "ungünstigen Rahmenbedingungen", bemängelte Organisation, Administration, das gesamte Umfeld, sie habe sich im Team nicht mehr wohl gefühlt. Und dann war da ja noch die norwegische Konkurrentin, die so gern im Mittelpunkt steht. Ralf Schäuble, Ehemann und Manager von Sabine Spitz, fasst zusammen: "Armstrong und Ullrich zusammen würde auch nicht funktionieren."

Spitz wechselte zum deutschen Fusion-Team, wo sie "die einzige Fahrerin im Top-Level" (Schäuble) ist. "Ich fühle mich wie befreit", sagt die 32-Jährige, "habe jetzt meine Ruhe, kann eigene Wege gehen." Diese führten sie im Frühjahr auch weg von den Bergen: auf die Bahn und die Straße. Sowohl über 3000 Meter Verfolgung als auch im Einzelzeitfahren und Straßenrennen strebte sie zum Unwillen des Mountainbike-Bundestrainers einen Olympia-Startplatz an - vergebens.

Die Weltcupsaison brach Spitz nach drei Rennen ab: krank in Madrid, ausgeschieden in Belgien, Rang 13 in Schottland. Die Übersee-Rennen ließ sie aus, wollte sich auf Athen konzentrieren. "Eine olympische Saison ist nicht die Zeit für Experimente", sagt sie, nimmt aber auch an der Trans-Alp-Challenge teil, einer Alpenüberquerung von Mittenwald zum Gardasee: 22500 Höhenmeter in acht Tagen. Bei der EM in Polen langte es wenige Tage später zu Bronze.

Auch dort triumphierte mal wieder Gunn-Rita Dahle. Viel mehr als Hallo haben sich die Rivalinnen nicht zu sagen - das war aber auch in ihrer gemeinsamen Merida-Zeit nicht anders. "Sabine stand immer ein bisschen außerhalb des Teams, hat oft alleine trainiert", erzählt Gunn-Rita Dahle, "dabei tut es so gut in einem winning team zu fahren. Ich ziehe daraus großen Nutzen." Ihr Vorbild ist Mario Cipollini, ihr Lieblingsgetränk Rotwein, ihre Maxime: "Having fun!"

Mit ihrem Freund und Manager Kenneth Flesja, einem ehemaligen Straßenfahrer, bildet sie ein Gute-Laune-Team. Aus dem Sportklub Stavanger kannten sie sich seit Jahren, sprachen aber nie miteinander. Dahle war Langläuferin, spielte Fuß- und Volleyball, bis Hüfte und Knie streikten. Radfahren war kein Thema: "Nie! Die müssen so viel trainieren." Bei einer WM lernte sie Ken besser kennen, bestritt bald ihr erstes Radrennen, lag mehr neben dem Rad, weil sie mit den Klickpedalen nicht zurecht kam, blieb trotzdem dabei und ist kurz vor Olympia in einer Form, welche die Konkurrenz in die Resignation treiben könnte.

Die Strecke in Parnitha im Norden Athens liegt ihr: technisch wenig anspruchsvoll, Kraftausdauer ist gefragt - eine Stärke Gunn-Rita Dahles, die auch eine gute Triathletin abgeben würde, meint ihr früherer Teamchef Klotzbücher. Das Test-Rennen im Mai gewann sie mit zwei Minuten Vorsprung. Sabine Spitz, in Sydney auf Platz neun und neben Yvonne Kraft einzige deutsche Starterin im Cross-Country-Wettbewerb, sagt: "Für Olympia ist die Runde eindeutig zu einfach." Finstere Aussichten für die Konkurrenz, erst nächstes Jahr ist Besserung sprich Familienplanung in Sicht: Am Tag nach der Marathon-WM in Lillehammer werden Ken und Gunn-Rita heiraten. Sie nennt das "Going for two golds on two days".

© Süddeutsche Zeitung vom 4.8.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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