Michael Ballack:Eine englische Intrige?

Lesezeit: 3 min

Zur Auktion wird aufgerufen: 28-jähriger deutscher Nationalspieler, mit Bundesliga- und Champions-League-Zertifikat, scheckheftgepflegt, keine körperlichen Mängel, beste Referenzen. Einstiegsgebot: Ein Geheimnis mit vielen Nullen hintendran.

Von Philipp Selldorf

München - In Tokio hätten sie in der vergangenen Woche das allmählich doch anstrengende Thema auf die einfachste Weise erledigen können. Eine einmalige Gelegenheit - wann passiert es schon mal, dass sich die wesentlichen Akteure eines solchen Wettstreits zur gleichen Zeit am selben Ort befinden? Zum Teil wohnten sie sogar im selben Hotel.

Im sechsten Stock des Four Seasons logierte der Tross von Bayern München, im siebten der zuständige Spielerberater Michael Becker, in der achten Etage die Delegation von Manchester United. Als weitere Teilnehmer der Versteigerung wären Vertreter von Real Madrid und FC Barcelona hinzugekommen. Beide Klubs hielten sich ebenfalls geschäftlich in Tokio auf.

Erstklassiger Spekulationsfall

Aber auf die gute Idee einer Versteigerung ist in Tokio keiner gekommen, weshalb Michael Ballack wegen seines 2006 auslaufenden Vertrages und somit sozusagen vogelfreien Status' ein erstklassiger Spekulationsfall bleibt.

Gestern leistete dazu Manchester United seinen Beitrag. Der Guardian berichtete mit ungewöhnlicher Gewissheit, Ballack habe Manchester zugesagt, ab der Saison 2006/2007 Old Trafford zu seiner neuen Heimat zu machen.

Von einem "Gentleman's Agreement" ist die Rede. "Ballack möchte Bayern verlassen ... die vorläufigen Einzelheiten des ablösefreien Wechsels und der Abschluss eines Vorvertrags im Januar sind bereits abgestimmt", meldet die Zeitung.

Der Guardian ist ein glaubwürdiges Blatt, und United ein seriöser Klub, der keine haltlosen Gerüchte in die Welt setzt - und dennoch musste Ballacks Berater Becker laut loslachen, als er von dem Bericht hörte. "Ich weiß nicht, mit wem die gesprochen haben", sagte er, "aber ich kann versichern, dass weder Michael Ballack noch ich diese Zusage gegeben haben."

Eine Ente unter vielen anderen? Im Prinzip ja, aber die Neuigkeit ist brisant, obwohl die Beteiligten abwinken und Stellungnahmen ablehnen.

Es ist nicht abwegig, hinter der Meldung eine englische Intrige zu wittern, denn dass ManU Interesse an dem Deutschen hat, ist bekannt und verständlich: Manchesters Mittelfeldbesetzung ist in die Jahre gekommen, Roy Keane wird demnächst 34, Paul Scholes 31.

Und Sir Alex Ferguson ist ein ausgesprochener Anhänger von Ballacks inzwischen auch inselfähiger robuster Spielweise. Ein Artikel mit ähnlichem Inhalt, vor zwei Wochen in der Mail on Sunday erschienen, soll auf Fergusons Einflüsterungen beruhen. So entsteht der Verdacht, dass Manchester das Zutrauen der Bayern in eine weitere Zusammenarbeit mit Ballack gezielt zu destabilisieren versucht.

Unter Druck

Den Münchnern kann das nicht mehr egal sein, dass sie sich täglich mit der Personalie auseinandersetzen müssen und sie allmählich "öffentlich ein bisschen unter Druck geraten sind", wie Manager Uli Hoeneß einräumt.

Das sportliche Geschehen ist hinter der Transaktion Ballack fast in den Hintergrund getreten, manchem seiner Mitspieler geht das auf die Nerven. Laut Hoeneß hat der Klub Ballack ein - wie der Agent Becker bestätigt - "marktgerechtes" Angebot gemacht.

Aber wie er darauf reagiert, wissen die Bayern nicht. Schon deshalb, weil er es selbst nicht zu wissen scheint. Denn außer um viel Geld, geht es für Ballack um eine grundsätzliche Karriereentscheidung. Unterschreibt er den angebotenen, bis 2010 geltenden Vertrag, bringt er sich um die Chance eines Auslandsengagements.

Seine Laufbahn hätte gewissermaßen eine Lücke. Andererseits könnte er sich seine sportliche Sehnsucht, den Triumph in der Champions League, auch ohne einen Wechsel zu Milan, Madrid, Barcelona oder Manchester erfüllen.

Und das Finanzielle? Der Gewinner der Partie steht auf jeden Fall fest: Es wird, so oder so, die Partei Ballack/Becker sein. Zwar "gehört" der Spieler den Bayern bereits, dennoch müssen sie ihn nach den eigentümlichen Gesetzen der Branche ein zweites Mal erwerben.

Bekennt er sich zum FC Bayern, wird eine Sonderzahlung fällig, und welche Dimension so eine Gratifikation erreichen kann, wurde zuletzt im Fall Jens Nowotny bekannt, der 2002 für seine Vertragsverlängerung in Leverkusen 10 Millionen Euro erhielt.

Immerhin ließe sich mit einer Bonuszahlung an den Star die Gefahr relativieren, dass seine Gage das Gehaltsgefüge verzerrt. Zumal angesichts von sieben weiteren auslaufenden Verträgen im Kader, muss der Klub darauf achten, vor der Mannschaft und der Öffentlichkeit das Gesicht zu wahren.

Hoeneß sagt, er wünsche eine Entscheidung "in vier bis sechs Wochen". Bis Sommer 2006 bleibt Ballack auf jeden Fall in München. Sollten die Verantwortlichen von ManU glauben, die Bayern ließen sich in Panik versetzen, so dass sie Ballack noch vor Ende der Transferperiode zur Versteigerung geben, um Startkapital für den Ersatzmann zu erlösen, wäre das ein Irrtum.

© SZ vom 3.8.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: