Marokko gegen Iran:Blicke aus Stein

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Unbedrängt ins eigene Tor: Aziz Bouhaddouz unterläuft gegen Iran ein schweres Malheur. (Foto: Henry Romero/Reuters)

Marokkos Aziz Bouhaddouz verhilft Iran mit einem Eigentor zum 1:0-Erfolg. Für den Profi von St. Pauli ist es der Tiefpunkt einer schweren Saison.

Von Sven Haist, Sankt Petersburg

Am Seitenrand sehnte Aziz Bouhaddouz seine Einwechslung herbei. Der marokkanische Angreifer lief unruhig durch die Trainerzone, die für ihn in diesen Sekunden viel zu klein geraten war, wie ein Käfig für einen Tiger im Zoo. Eine Verletzungsunterbrechung hatte seinen ersten Einsatz bei einer Weltmeisterschaft verzögert. Dabei drängte die Zeit, weil Marokko im Duell mit Iran noch ein Tor zum Sieg benötigte. Eine knappe Viertelstunde blieb Bouhaddouz, als er endlich das Spielfeld betrat. Die Situation schien wie geschaffen für ihn zu sein. Mit einer gelungenen Ballberührung hätte Bouhaddouz vor den Augen der Welt die Partie für sein Land entscheiden können - und er entschied die Partie tatsächlich. Allerdings für den Gegner.

In der fünften Minute der Nachspielzeit drückte Bouhaddouz einen Freistoß per Kopf zum 0:1 ins eigene Tor, ohne Bedrängnis. Der Flankenball des Iraners Haji Safi hatte ihn am vorderen Pfosten auf Höhe seiner Hüfte erreicht, und statt dem Spielgerät den Körper in den Weg zu stellen, hechtete Bouhaddouz in der Manier eines Torjägers in den Ball. Als er sein Missgeschick realisierte, presste er, am Boden liegend, seinen Kopf aufs Spielfeld. "Ich habe das gar nicht glauben können, weil mir noch nie ein Eigentor passiert ist. Der Ball rutscht mir einfach unglücklich über den Kopf", sagte er später im Gespräch: "Mehr kann ich dazu gar nicht sagen. Das ist der schlimmste Moment in meiner Fußballkarriere. Ein Albtraum." Er versuchte sich die Enttäuschung nicht anmerken zu lassen, so gut es eben ging, keiner Frage wich er aus auf dem Weg zum Mannschaftsbus.

Kurz nach dem Eigentor hätte Bouhaddouz seinen Fauxpas fast noch wettgemacht, doch an der letzten Hereingabe, die in Irans Strafraum segelte, sprang er knapp vorbei. Bis die Mitspieler ihm wieder auf die Füße halfen, kauerte er auf den Knien, in der vergeblichen Hoffnung, die 62 548 Zuschauer im Stadion würden ihn in seinem Leiden vielleicht einfach übersehen. Er verließ den Platz alleine, den Blick ins Nichts gerichtet, weit weg von den wie versteinert auf der Tribüne sitzenden Fans. "Ich kann mich nur bei der Mannschaft und allen Marokkanern entschuldigen", sagte er später: "Ich hoffe jetzt einfach auf ihre Unterstützung."

Für Bouhaddouz war die Szene der Tiefpunkt einer unrühmlichen Saison. Zu Beginn der Spielzeit plagte sich der Angreifer des Zweitligisten St. Pauli mit stetig wiederkehrenden Wadenproblemen herum. Er ließ nichts unversucht, um seine Teilnahme an der WM nicht zu gefährden. Trotz Beschwerden reiste er zu den Qualifikationsspielen der Nationalelf. Mit 31 Jahren wollte er sich die wohl letzte Möglichkeit auf die Mitwirkung an einer WM nicht kampflos nehmen lassen. In den vergangenen 20 Jahren hatte sich Marokko ja nie für das Turnier empfehlen können.

Das Bestreben ging zu Lasten von St. Pauli, aber der Klub ließ ihn gewähren. Vielleicht, so hoffte man, würde Bouhaddouz beim Nationalteam in die Form aus dem Vorjahr wieder hineinfinden. Mit 15 Treffern hatte Bouhaddouz in der Saison 2016/17 großen Anteil, dass Pauli sich als zeitweise abgeschlagener Tabellenletzter aus der Abstiegszone befreite. In der abgelaufenen Spielzeit fand Bouhaddouz dagegen erst spät zu seinem vollen Vermögen. Vor Weihnachten spritzte er einem Gegenspieler mit der Trinkflasche etwas Wasser ins Gesicht, Bouhaddouz wurde vom Platz gestellt. Pauli kassierte prompt den Ausgleich - und stürzte in den Abstiegskampf.

In der Rückrunde half Bouhaddouz dann mit vier Saisontoren dabei, den Ligaverbleib zu sichern. Bei der Nationalmannschaft setzte er seine ansteigende Leistungskurve fort - bis zum WM-Auftakt "Ich hatte mir im Training meinen Einsatz erarbeitet und gedacht, dass ich eher einen Treffer verdient gehabt hätte als ein Eigentor", sagte Bouhaddouz. "Aber solche Momente gibt es eben im Fußball. Damit muss ich jetzt klarkommen. Dieses Jahr nimmt mich extrem mit."

Marokko hat durch die Niederlage wohl schon nach dem ersten Spiel die Chance aufs Weiterkommen in der Gruppe B verspielt - angesichts der kommenden Gegner Spanien und Portugal. Iran fordert derweil die Favoriten heraus - nach dem zweiten WM-Erfolg überhaupt.

© SZ vom 16.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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