Markus Günthardt:"Wie zu Beckers Zeiten kann es nie mehr werden"

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Der langjähriger Stuttgarter Turnierdirektor spricht über die Lage des Tennis in Deutschland - und das Popularitäts-Potenzial von Alexander Zverev.

Interview von Renè Stauffer

Markus Günthardt hält es für ausgeschlossen, dass Tennis wieder die gleiche Popularität erreicht, wie zu Zeiten Boris Beckers. (Foto: Wolfgang Eilmes/dpa)

SZ: Herr Günthardt, Sie organisieren seit über 30 Jahren Turniere in Deutschland. Wie haben Sie die Entwicklung des deutschen Tennis in dieser Zeit erlebt?

Markus Günthardt: Es ging erst zu hoch hinauf und fiel dann in ein tiefes Loch. Zu Zeiten von Becker und Graf übertrugen teilweise ARD und ZDF parallel Tennisturniere, dann kam Eurosport. Es gab täglich Tennis im Fernsehen, die größten Geldgeber der ATP kamen aus Deutschland, es gab viel mehr Turniere und kam zu einer Überhitzung. Der Absturz musste unweigerlich kommen. Auch wir mussten dieses Loch überwinden, was uns vor allem dank Turnierbesitzer Porsche und dem Umzug von Filderstadt nach Stuttgart 2006 gelang. Deutschland ist immer noch ein fruchtbarer Boden für einige richtig gute Events.

Geht es nun wieder aufwärts, dank Wimbledon-Siegerin Angelique Kerber und Alexander Zverev, der Weltnummer 3?

Sie können zwar einiges bewegen, aber man kann ausschließen, dass die Popularität des Tennis wieder ein ähnliches Niveau wie zu Beckers Zeiten erreicht. Denn auch das Konsumverhalten der Leute hat sich verändert. Ich sehe es bei meinen Kindern, die schauen kein Fernsehen mehr. Unser Turnier wurde zu den besten Zeiten von ZDF und ARD während 30 Stunden live übertragen, mit einer durchschnittlichen Zuschauerzahl von 2,8 Millionen und einer Spitze von etwa 11 Millionen. Heute sind wir froh, wenn wir 2,8 Millionen als Maximum erreichen. Aber wenigstens sind wir wieder auf einem vernünftigen, guten Niveau, auch wenn die Situation mit dem Fernsehen in Deutschland sehr schwierig geworden ist.

Kerber hat drei Grand-Slam-Turniere gewonnen, aber fehlt es ihr nicht etwas an Strahlkraft?

Es kommt immer darauf an, womit man vergleicht. Ich glaube schon, dass sie in Deutschland ein Superstar ist, wenn vielleicht auch kein Boris Becker oder keine Steffi Graf. Aber sie erhält schon die Anerkennung, die ihr zusteht.

Von den sechs deutschen Frauen, die noch in den Top 100 stehen, ist nur eine jünger als 30. Was bedeutet das für Ihr Turnier?

Es kommt bestimmt wieder eine Phase, in der keine Deutsche als Mitfavoritin starten wird, nachdem vier der letzten acht Titel von Julia Görges, Laura Siegemund und Angelique Kerber geholt wurden. Darauf müssen wir uns einstellen. Obwohl die Zuschauerzahlen gestiegen sind, haben wir die Kapazität der Halle bei 4500 belassen, auch wenn wir sie erhöhen könnten. Das Ziel ist, dass das Turnier der Star ist, nicht eine einzelne Spielerin. Aber man merkt sicher einen Unterschied, wenn eigene Stars am Start sind.

Teilen Sie den Eindruck, dass auf Seite der Männer der Funke zwischen Zverev und dem deutschen Publikum noch nicht gesprungen ist? Für eine Nummer 3 ist seine Popularität eher klein, und dem Davis-Cup steht er skeptisch gegenüber.

Er hat auch noch nichts Großes gewonnen, außer dem ATP-Finale. Wenn er Wimbledon oder Paris gewinnen oder Olympiasieger werden würde, gäbe das einen ganz anderen Push. Und es würde mich sehr überraschen, wenn er nicht zwei, drei Grand-Slam-Titel holen sollte. Das wäre eine andere Dimension, und dann würden ihn alle anders anschauen. Momentan hat er zudem nicht seine beste Phase. Aber warten wir mal, bis er sein Potential ausspielt.

Könnte sein russisches Umfeld ein Nachteil sein?

Darüber sehen die Leute weg, wenn er Erfolg hat. Schauen Sie nur, wie viele Spieler unserer Fußball-Nationalmannschaft ausländische Wurzeln haben.

Sie sind jetzt 62. Wie lange wollen Sie noch Turnierdirektor bleiben?

Eine gute Frage. Ich gehöre nicht zu denen, die es sich leisten können, nicht mehr zu arbeiten. Aber ich fühle mich sehr privilegiert, ein solches Turnier begleiten und mitgestalten zu dürfen. Solange dieser Spaßfaktor weiterhin da ist, denke ich nicht ans Aufhören.

© SZ vom 28.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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