Mannschaftszeitfahren:Formationsflieger in Gefahr

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Das Teamzeitfahren droht die Tour-Favoriten erstmals zu trennen. Gerade für das Team T-Mobile gilt es, die richtige Balance zu finden - denn zu den Favoriten zählt man am heutigen Tag gewiss nicht.

Von Andreas Burkert

Die Aussagen der Beteiligten sind nicht ganz eindeutig, was überspitzt interpretiert auf eine leichte Disharmonie in der Sportgruppe T-Mobile schließen ließe. Dabei wird am heutigen Mittwoch nichts anderes als Harmonie und Zusammenhalt benötigt, wenn Jan Ullrich und seine acht Kollegen auf den 64,5 km zwischen Chambrai und Arras unterwegs sind.

Denn das von allen 21 Teams gefürchtete Mannschaftszeitfahren dürfte die Favoriten auf den Gesamtsieg erstmals markant voneinander trennen im Klassement. Und Ullrich läuft dabei Gefahr, mit einer schlechten Darbietung des Kollektivs weitere wertvolle Sekunden auf Tour-Regent Lance Armstrong zu verlieren. Eine Aussicht, die den Herausforderer bereits eine Woche vor der ersten Bergetappe unter Zugzwang setzen würde. Er weiß das und sagt: "Wir wollen vorne dabei sein und möglichst keine Zeit verlieren."

Doch in der Favoritenrolle befindet sich T-Mobile heute nicht beim Wettbewerb mit der Uhr, was vielleicht die Zurückhaltung von Ullrichs Sportchef Mario Kummer erklärt. Als Ziele nennt er vorsichtig, "gut fahren" zu wollen, "mit einer guten Harmonie". Eine Kampfansage war das nicht, die war dafür von Ullrichs Betreuer Rudy Pevenage zu vernehmen: "Wir wollten doch diesmal keine Zeit auf Armstrong verlieren, und das ist immer noch unser Ziel."

T-Mobile kein Favorit

Allerdings wird seit dem Prolog eher anderen Teams der Sieg zugetraut. Nur Platz neun ergab die Addition der neun Zeiten bei T-Mobile, ganz oben stand US Postal, Armstrongs Team. Eine halbwegs neutrale Prognose versuchte gestern Manager Hans-Michael Holczer, der für seinen Gerolsteiner-Rennstall einen Platz im Mittelfeld anvisiert: "Ich lasse mich gerne überraschen, aber T-Mobile sehe ich vielleicht unter den ersten Fünf, nicht auf Platz eins oder zwei."

Platz fünf bei einem Erfolg von Armstrongs blauem Postzug brächte Jan Ullrich nach der neuen Zeittabelle 50 Sekunden einbringen. Die Rückstände der Teams regeln sich 2004 über die Platzierung, der Zweite kassiert 20 Sekunden (es sei denn, er verlöre weniger als 20 Sekunden), der Dritte 30 und die schlechteste Mannschaft maximal drei Minuten. Was einer Gruppe wie Euskaltel vom gestern gestürzten Basken Iban Mayo die größten Versagensängste nehmen dürfte.

In solchen Dimensionen wollen sie bei T-Mobile erst gar nicht denken, sie vertrauen der Zugmaschine Ullrich. Vergangenes Jahr führte der frühere Weltmeister sein damals neu formiertes Bianchi-Team immerhin auf Position drei, 43 Sekunden hinter US Postal. T-Mobile-Teammanager Walter Godefroot lässt sich deshalb durchaus zuversichtlicher als sein Sportdirektor Kummer vernehmen, "wir haben diesmal einen guten Jan dabei", sagt der Belgier, "und wir haben auch einen guten Botero". Der Kolumbianer, einst Zeitfahr-Champion, befinde sich nach dem schwachen Frühjahr auf dem Weg zu alter Form.

Zwei kraftvolle Leitfiguren kann Telekom gut gebrauchen, denn in den vergangenen Jahren fuhr das Team nie mit um den Tagessieg. 2002 belegte Magenta nur Platz zwölf, vergangenes Jahr Rang sechs mit 1:30 Minuten Rückstand auf US Postal. Vergangenheit, sagt Andreas Klöden, dieses Jahr habe man sich so gut wie nie vorbereitet, "und wir werden aus unseren Fehlern lernen". Vorigen Juli sei man zu lange Passagen in der Rotation gefahren, erklärt Klöden, "da bist du dann in der zweiten Hälfte kaputt - wir werden diesmal mehr die Balance halten zwischen Linie fahren und Kreiseln".

Das Geheimnis des Teamzeitfahrens, sagt Armstrong, sei die "Balance zwischen Geben und Nehmen - und du musst auf alles vorbereitet sein". Vor zwei Jahren hat er erlebt, was passieren kann an einem Tag, an dem sich neun Mannschaftskollegen, aufgereiht wie zum Formationsflug, auf die Reise machen. Auf einem nassen Mittelstreifen war Christian Vandervelde zu Fall gekommen, über ihn stürzte im hohen Bogen Armstrongs damaliger Edeldomestike Roberto Heras. 40 Sekunden verlor US Postal, und der Kapitän hatte abends schlechte Laune. Doch eine sichere Reise vorausgesetzt, braucht man sich um ein harmonisches Vorankommen der US- Mannschaft keine Gedanken zu machen.

Sie haben es oft genug trainiert. Häufiger jedenfalls als T-Mobile, die in den vergangenen zwei Wochen zweimal übten, vergangenen Mittwoch auf der Tourstrecke im Norden Frankreichs. Noch akribischer hat sich die ebenfalls favorisierte Formation CSC mit dem Berliner Jens Voigt vorbereitet. "Wir haben viel dafür gearbeitet", sagt der dänische Sportchef Bjarne Riis, "so ein Sieg würde uns sehr viel bedeuten." Denn er stärkt die Harmonie wohl sehr.

© Süddeutsche Zeitung vom 7.7.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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