Mannschaftszeitfahren:Eine Laune des Himmels

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Nach einem verregneten Teamzeitfahren schlüpft Lance Armstrong beim ersten Sonnenstrahl ins Gelbe Trikot.

Von Andreas Burkert

Über dem historischen Marktplatz von Arras hatte es seit halbzwei geregnet, doch am späten Mittwochnachmittag dringt tatsächlich kurz die Sonne durch. Eine angemessene Laune des Himmels, denn Lance Armstrong zieht sich gerade um. Er trägt jetzt Gelb, das berühmte Maillot Jaune der Tour de France. Mit seiner US-Postal-Mannschaft triumphierte der amerikanische Titelverteidiger im Teamwettbewerb und erarbeitete sich damit eine recht angenehme Ausgangsposition für die zweite Hälfte der Frankreich-Rundfahrt, wenn die schweren Prüfungen im Hochgebirge anstehen.

Jan Ullrich, dessen T-Mobile-Equipe die viertschnellste Zeit fuhr auf der verregneten Strecke zwischen Cambrai und der schmucken Bezirkszentrale Arras, liegt nun mit 55 Sekunden auf Armstrong an Position 16 des Klassements. "Knapp eine Minute, noch ist nichts verloren", erklärte Ullrich im Ziel gefasst, "ich werde weiter versuchen, dran zu bleiben."

Während Armstrong auf dem Podium das 60. Gelbe Trikot seiner Karriere probiert, streicht Ullrichs Bruder Stefan mit dem Finger über den Hinterreifen einer Rennmaschine. Es ist das Rad von Giuseppe Guerini, der noch vor Halbzeit wegen eines Reifendefektes hatte abreißen lassen müssen.

Warten auf Aldag

"Was war da nur los?", flucht Stefan Ullrich, bei T-Mobile als Mechaniker mit dem Material betraut. Vor Guerini hatte bereits Rolf Aldag mit einem Plattfuß stoppen müssen, "das hat uns jedes Mal sicherlich 20 Sekunden gekostet", sagt Stefan Ullrich. Während Guerini den verbleibenden Weg alleine auf sich nahm, hatten sie für Aldag das Tempo reduziert - auf den kampfstarken Westfalen mochte Jan Ullrich nicht verzichten. "Wir hatten ja noch 30 km und wollten ihn auf jeden Fall mitnehmen", erzählt Andreas Klöden, "denn der Rolf ist einer unserer stärksten Zeitfahrer."

Nach dem doppelten Malheur und der nur neunten Zwischenzeit nach 19 Kilometern hielt sich Ullrichs Formation am Ende noch sehr achtbar. Letztlich profitierte sie sogar von der Regelreform, über die sich ihr Kapitän vor dem Prolog in Lüttich noch so abfällig geäußert hatte: Obwohl US Postal auf die Deutschen 1:19 Minuten herausfuhr, wurde deren Konto für Platz vier nur mit 40 Sekunden belastet. 20 Sekunden kassierte die zweitplatzierte Phonak-Gruppe, die 1:07 Minuten länger benötigte als Armstrongs prächtig funktionierendes Kollektiv.

Phonak-Kapitän Tyler Hamilton belegt mit 36 Sekunden Rückstand Platz acht und kommt Armstrong von den Herausforderern noch am nächsten. ¸¸Auch wir hatten einen Defekt", berichtet nach der Ankunft der Hürther Phonak-Profi Bert Grabsch, der jetzt als Zehnter bester Deutscher ist in der Gesamtwertung vor dem Berliner Jens Voigt.

Voigts dänischer CSC-Rennstall hatte noch mehr Pech als T-Mobile zu verkraften, denn in einer Kurve landeten gleich drei von ihnen im feuchten Parterre. Darunter der ambitionierte Italiener Ivan Basso, der kurz darauf das Rad wechseln musste. Ohne diese Karambolage wäre CSC Armstrongs Team vermutlich sehr nahe gekommen, doch am Ende konnten sie mit dem fünften Platz und den 50 Sekunden Zeitbuße gut leben.

Ein ordentliches Rennen fuhr auch die baskische Euskaltel-Equipe um Iban Mayo, die bei etwas besseren Bedingungen gestartet war. Trotzdem, nach Rang acht für die Spanier geht ihre am Dienstag gestürzte Hoffnung Mayo nun mit der Hypothek von fast fünfeinhalb Minuten auf Armstrong in die Berge.

Entsprechend gelassen präsentiert sich der 32-jährige Texaner nach der Zeremonie. Er lobt seine Teamkollegen, die er nach dem Rennen einzeln umarmt hatte, "das ist ein unglaublicher Moment, wir hatten einen perfekten Rhythmus und waren heute wirklich die beste Mannschaft". Bis auf den frühen Verlust des spanischen Tourdebütanten Gonzalez Noval trotzte seine Crew den widrigen Bedingungen mit einer beeindruckenden Harmonie.

Nicht einmal von der mäßigen ersten Zwischenzeit (Fünfter mit 37 Sekunden Rückstand auf Illes Balears, am Ende Dritter) ließen sie sich irritieren, und diese Steigerung erfreute Armstrong sehr. "Das zeichnet die Jungs ja aus, dass sie zurückschlagen können."

In den nächsten Tagen wird das nicht mehr nötig sein, denn erst in einer Woche ist die erste Bergetappe zu fahren, und so lange wird der Champion seine Kräfte schonen und die Szene wohl nur kontrollieren. "Wir werden unsere Stärke jetzt für die zweite Hälfte der Tour konservieren", sagte er, "deshalb verteidige ich das Gelbe Trikot die nächsten Tage sicher nicht mit aller Kraft - ich gebe es gerne auch wieder ab." Seit dem ziemlich ungemütlichen Regentag von Arras kann sich Lance Armstrong diese Gelassenheit leisten.

© Süddeutsche Zeitung vom 8.7.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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