Mainz besiegt Wolfsburg:Raus aus der Ego-Oase

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"Die Forderungen der Spieler sind unendlich. Jetzt müssen wir mehr fordern": Beim VfL Wolfsburg äußern die sportlichen Leiter erstmals öffentlich Zweifel an der Siegermentalität der Mannschaft.

Von Frank Hellmann, Mainz

Es ging auf Mitternacht zu, da hatte Rea Garvey beim Frankfurter Sportpresseball ganze Arbeit geleistet. Der gebürtige Ire und ehemalige Frontmann von "Reamonn" benötigte wenige Songs, um das Publikum in Stimmung zu bringen und die Sitzordnung im großen Ballsaal zwischen Prominenz und Fußvolk aufzulösen. Vorne aber an Tisch vier blieb einer sitzen: Dieter Hecking. Der Trainer des VfL Wolfsburg klatschte allenfalls zurückhaltend im Takt. Es war lange vorher geplant, dass er die Gala mit Sportlern, Politikern, Wirtschaftsgrößen und Schauspielern besuchen werde. Er wäre an diesem Abend vermutlich lieber woanders gewesen.

Tief nagte in dem Fußballlehrer die Enttäuschung des Nachmittags. Mit der zweiten 0:2-Niederlage binnen vier Tagen - erst in der Champions League in Eind- hoven, dann in der Bundesliga bei Mainz 05 - haben sich die negativen Stimmungsbilder von VW-Konzern und Fußball-Tochter endgültig überlagert. Die Leitungsebene der Fußballer beschloss nun am Wochenende, die Versäumnisse klar zu benennen: "Wir haben uns in zwei Spielen keine Torchance erspielt - so geht es nicht", sagte Geschäftsführer Klaus Allofs. Er werde es nicht zulassen, dass der Werksverein zur Wellnessoase werde. Seine Warnung: "Wer es sich auf dem Platz oder im Kopf gemütlich macht, wird scheitern."

Seine sorgsam vorgebrachte General- anklage gipfelte in der Ausführung: "Die Forderungen der Spieler sind unendlich. Jetzt müssen wir mehr fordern." Besonders in Zeiten, in denen der Standort in seinen Grundfesten erschüttert wird, hätte er noch anführen können. Denn Allofs hatte "eines der frustrierendsten Spiele, seit ich hier bin" erlebt. Und das ist seit 2012 der Fall. Als der 58-Jährige den Berufsfußballern aus der Autostadt grundsätzliche Defizite im Arbeitsethos unterstellte, erinnerte das an Allofs' Frustphase in Bremen, in der nach fetten Champions-League-Jahren immer häufiger die Gegenleistung ausblieb. Einmal setzte der damalige Werder-Boss sogar die Gehaltszahlungen aus.

So etwas wird unter dem VW-Dach wohl nicht passieren, aber Hecking und Allofs haben beschlossen, die Schutzhand wegzuziehen. Nun wird öffentliche Schelte zum Stilmittel. Zum einen, weil sich die Leistungsträger zur Länderspielpause in alle Himmelsrichtungen entfernen. Zum anderen, weil die Defizite seit Wochen angesprochen wurden. Ohne Wirkung.

Bei vielen besteht ein Missverhältnis zwischen Anspruch und Realität

Wenn der vorschnell zum FC-Bayern-Jäger aufgewertete DFB-Pokalsieger wieder weit hinter dem Primus her hechelt, hat das auch mit einem schleichenden Gift zu tun: dem Egoismus unter zu vielen Stars. Während sich in München selbst ein Arjen Robben mittlerweile meist klaglos auf die Bank setzt, haben die deutschen Nationalspieler Julian Draxler und André Schürrle in Wolfsburg sofortige Beschwerde nach Nicht-Berücksichtigungen vorgetragen. Dabei klafft gerade bei Schürrle seit Monaten ein Missverhältnis zwischen Anspruch und Wirklichkeit; ein Umstand, der übrigens auch Bundestrainer Joachim Löw beschäftigt.

Und dann sind da die Problemfälle Bas Dost und Nicklas Bendtner. Klar, Torjäger müssen in gewisser Hinsicht Egomanen sein, das weiß niemand besser als der ehemalige Stürmer Hecking. Aber wenn der zum Einzelgängertum neigende Nieder- länder Dost und der schwer erziehbare Däne Bendtner ihr divenhaftes Gehabe nicht ablegen, wird es fürs Innenleben eines Teams gefährlich. Bendtner wirkte in Mainz wie ein Traumtänzer, der mit den Gedanken woanders war; Dost blieb mürrisch draußen. "Wir müssen uns nicht fragen: Warum spiele ich nicht? Oder: Warum spielt der andere?", führte Allofs aus: "Ich muss trainieren, und wenn ich gefragt werde, muss ich meine Leistung bringen!"

Alle Unterredungen sind offenbar auf taube Ohren gestoßen. "Die Konzentration ist nicht so, wie sie sein sollte - intern haben wir das schon häufiger angesprochen", bestätigte Hecking. Die Folge sind unzählige Ungereimtheiten auf dem Rasen. "Wir kommen nicht in den Spielfluss, und irgendwann überträgt sich die Unsicherheit auf den Torwart", erläuterte der Trainer den Fauxpas seines Kapitäns Diego Benaglio vor dem 0:1 von Pablo De Blasis (31.).

Als "Randerscheinung und Randnotiz" (Allofs) wurde der nicht unwichtige Platzverweis gegen Draxler in der 13. Minute eingestuft. Hecking empfand die Hinausstellung zwar als falsch ("Bei mir wäre es mit elf gegen elf weitergegangen"), aber der 51-Jährige empfahl sogleich, "vor der eigenen Tür zu kehren". Bevor sich der Trainer zum Sportpresseball nach Frankfurt aufmachte, sprach er im Bus eindringlich mit seinen Spielern. Jeder soll jetzt in Wolfsburg wissen: Im Heimspiel in zwei Wochen gegen Werder Bremen kommt es dort zum Charaktertest.

© SZ vom 09.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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