Magaths Tor 1983:Rückkehr des Unaussprechlichen

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Das Tor von Felix Magath am 25. Mai 1983 wird Juventus Turin nie vergessen.

Von Birgit Schönau

Rom - Erstens ist Fabio Capello ein konkreter Mann. "Ich arbeite, um zu gewinnen. Und das wollen alle bei Juve. Es war immer so, die haben im Kopf nur eine fixe Idee: den Erfolg."

Zweitens war Capello damals nicht dabei. Jedenfalls nicht beim Tag X. Er hat wohl für den Fernsehsender Telemontecarlo das Viertelfinale Aston Villa - Juventus kommentiert, "ein bisschen stressig, aber schön".

Juventus gewann 2:1. Es war ja auch eine der stärksten Mannschaften aller Zeiten. Sechs Weltmeister von 1982, die Italiener Zoff, Gentile, Scirea, Tardelli, Rossi, Cabrini. Dazu Bettega, Boniek und Platini. Sie spielten, wie Generationen von Juventus-Fußballern vor ihnen: um zu siegen. Und dass sie siegen würden, war eigentlich allen klar.

Bis Magath kam. Felix Magath. Wenn er am Dienstagabend seinen Platz einnehmen wird, erstmals auf einer der beiden Trainerbänke im Alpenstadion, wird es Pfiffe hageln, die sich aufgestaut haben in Jahrzehnten.

Oder vielleicht wird es still sein, ganz still. Ein Schweigen der Erwartung: Wird Juve sich endgültig befreien von diesem Magath-Gespenst?

Oder etwa wieder nicht? Capello wird seinem Kollegen die Hand geben, und so tun, als wenn nichts wäre. Denn er ist durch und durch diesseitig.

Knorrig, hartes Kinn und geradeaus. Einer aus den Bergen des Friaul. Da ist nichts mit Nebel wie über dem Po, in dem ungebremst und ungefiltert der Aberglaube wabert.

Für die Spieler schon eher. Alessandro Del Piero etwa zieht immer als Letzter auf den Platz, in der Annahme, dieses Ritual würde ihm Glück bringen.

Gegen die Bayern soll der von einer Verletzung genesene Juve-Kapitän allerdings erst einmal auf der Bank sitzen. Wenige Meter entfernt von Magath.

Unbekannter Spieler aus einem Team der Namenlosen

Es war nur ein einziges Tor, ein Treffer aus großer Entfernung in der 9. Spielminute am Mittwoch, 25. Mai 1983. Magath, ein im Ausland völlig unbekannter Spieler aus einem Team der Namenlosen, hatte es geschossen, danach ausgiebig gejubelt, klar, und Juve war ruhig geblieben.

Herrgott, das Match war ja noch lange nicht beendet. War es aber doch. Juventus verlor das Finale im Landesmeister-Pokal 0:1 gegen den Hamburger SV, das war die erste Sensation. Die zweite war Felix Magath.

Für Juve sollte das Stadion in Athen lange wie verhext bleiben - erst im vergangenen Jahr schaffte die Mannschaft aus Turin dort einen Sieg in der Champions League.

Athen und Magath, diese Kombination löst beim italienischen Rekordmeister und seinen zwölf Millionen Tifosi ähnlich traumatische Erinnerungen aus wie das Fotofinish 1999 gegen Manchester bei den Bayern.

"Magath", sagt der sonst jedem Superlativ abgeneigte Dino Zoff, "das war der härteste Schlag meiner ganzen Karriere." Magath, seufzt Roberto Bettega, heute Juve-Vizepräsident, "so viele Jahre sind vergangen, aber es tut noch weh".

Bettega erwartete die Krönung seiner Karriere, als Magath ihm davonzog, "er hatte den Ball leicht angeschnippelt, und der flog an mir vorbei zu Zoff ins Tor".

Man erzählt sich, dass Giampiero Boniperti, der legendäre Juve-Stürmer und spätere Präsident, den HSV-Torschützen viele Jahre später traf und ihm zuraunte: "Verflucht sei der Tag, an dem du geboren bist."

Eine Legende in Italien

Felix Magath ist in Italien eine Legende. So oder so. Für die Juventini ein Mammasantissimo, ein Unaussprechlicher, einer, dessen Name fällt und der Abend ist gelaufen oder die Ehekrise eingeläutet.

Und für die andere Hälfte Italiens - ein Held. "Magath eroe", stand am Morgen nach dem Match, das keiner je vergessen hat, auf den Hauswänden in Rom und Neapel zu lesen. Magath, der Heros: stellvertretend für alle anderen Nobodys der Fußballwelt hatte er es der stolzen, erfolgsverwöhnten, arrogant von einem Titel zum nächsten eilenden Alten Dame gegeben.

Mit einem Schuss, der nicht elegant war, o nein, noch nicht einmal besonders pfiffig aufgelegt. Aber der traf, und ein Weltbild ins Wanken brachte.

Der Turiner Lokalrivale, früher Grande Toro, inzwischen Zweitligist Torino Calcio, besingt ihn bis heute: "Einer war für Toro und wird für Felix Magath immer einen Platz in seinem Herzen haben."

Auf der Website der organisierten Antijuventini www.antijuve.com steht Magath als "Idol" gleich unter Francesco Totti, dessen AS Rom der Juve in der letzten Saison ein glattes Vierzunull verpasst hatte.

Gegen die eigenen Gespenster

Turin ist eine Kapitale des Aberglaubens, für die Esoteriker bildet die Stadt mit Prag und Lyon ein magisches Dreieck. So gesehen spielt die Juve nicht nur gegen die Bayern, sondern auch gegen die eigenen Gespenster.

Magath hat nämlich öfter mal noch eins drauf gesetzt: Um den Aberglauben der Italiener wissend, hatte ihn Borussia Dortmund im Champions-League-Finale 1997 gegen Juventus als Glücksbringer auf die Tribüne gebeten. Und 3:1 gewonnen.

Der HSV lud ihn im September 2000 ebenfalls als "Maskottchen" ins Alpenstadion und verputzte prompt die Juve 3:1. Das Rückspiel ging 4:4 aus, Juventus Turin kassierte in wenigen Minuten drei Tore, und Filippo Inzaghi verhinderte kurz vor Schluss das Äußerste.

"Er hat das Vaterland gerettet", schrieb ohne falsche Scham die Gazzetta dello Sport, "und Magaths Phantom auf Distanz gehalten." Das Phantom auf Distanz halten - mal sehen, ob das Fabio Capello und seiner Elf auch gelingt.

© SZ vom 19.10.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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