Magath verlässt Bayern München:Der Herr der Medizinbälle geht

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Ende keiner Ära: Die Trennung von Trainer Magath war wohl unvermeidlich - der Zeitpunkt überrascht.

Klaus Hoeltzenbein

Wer sich am Dienstag um 19.15 Uhr, gleich nach Abpfiff des deutschen Handball-Erfolgs gegen Spanien, vom Fernseher aufmachte, um rechtzeitig um 20Uhr zum Anpfiff der Bundesligapartie der Bayern gegen Bochum im Stadion zu sein, der war akut in Gefahr - nämlich der, eine Art sportiven Kulturschock zu erleiden.

Iie Ironie, mit der Magath seine Referate würzte, zwar oft durchaus gelungen; seine Profis aber wirkten mit der Diktion ihres Trainers häufig überfordert. (Foto: Foto: Reuters)

Beides ist Mannschaftsballsport, beides zieht Vitalität aus dem Dialog zwischen Sportler und Publikum, und bei beidem sollte sich, so zumindest die Theorie, der Erfolg dank der Interaktion einer Spielgruppe einstellen. Nun gut, dies ist Theorie, in der Praxis war es so: In Köln lagen die 20000 mit den Handballern in einem schwarz-rot-goldener Rausch, in München, unter den 64000, war in der Stille der zweiten Halbzeit nur die Kleingruppe aus Bochum bei der Publikumsbeschimpfung ("Ihr seid leiser als Fortuna Köln") zu hören - und am Ende die bitteren Pfiffe der Übrigen für ein 0:0. In München war Alltag, in Köln ein Festtag, und deshalb ist der direkte Vergleich nicht ganz fair.

Unerfüllte Sehnsüchte

In Teilen aber ist er durchaus zulässig, und deshalb war dieses letzte Spiel - im Kontrast zu den Handballern - exemplarisch dafür, warum die Beziehung der Bayern zu ihrem Trainer Felix Magath am Ende doch gescheitert ist. Gescheitert nach den eigenen Maßstäben, nach jenen von Trainer und Verein, denn Magath war in München im Sommer 2004 angetreten, "um eine Ära zu prägen". Und der Verein plante den Aufbruch zu neuen Ufern, an denen eine Flut an Titeln erwartet wurde.

Die erste Welle kam, die zweite, und Magath verlässt den Verein nun in dem Ruf, der erste Trainer der Bundesliga-Historie zu sein, der das doppelte Double gewann, also zweimal hintereinander Meisterschaft und Pokal in einer Saison. Doch die anderen Sehnsüchte haben sich nicht erfüllt. Europäisch beispielsweise, auf jenem Markt, auf dem sich die Bayern als Wirtschaftsbetrieb definieren, sind sie längst nicht so vorangekommen wie erhofft.

2005 scheiterten sie im Viertelfinale am FC Chelsea, und erste Zweifel an Magaths taktischem Geschick für die ganz großen Spiele wurden geäußert; 2006 war im Achtelfinale nach einem 1:4 beim AC Mailand Schluss. Wer nun in diesem erodierenden Prozess, der auch dieser Trainerentlassung vorausging, nach dem Anfang sucht, der wird wohl bei jenem Spiel in Mailand fündig. Magath suchte die Schuld energisch beim Schiedsrichter und galt damit als schlechter Verlierer.

Trotz aller Zweifel verlängerten die Bayern im Sommer den Trainervertrag vorzeitig und mit warmen Worten bis 2008, um in Ruhe - und ohne den nach England abgewanderten Michael Ballack - einen neuen Anfang zu suchen. Doch der Trend konnte nicht mehr gestoppt werden.

Die phantasiearmen Spiele, die trotz des Titelgewinns schon die Rückrunde 2006 geprägt hatten, wurden fortgesetzt, an Weihnachten standen in der Tabelle die Bremer und Schalker vorne. Besserung sollte das Wintertraining unter der Sonne Dubais bringen, doch es folgte der Fehlstart gegen Dortmund (2:3) und Bochum.

"Manchmal brauchst Du Arschlöcher"

Da bedurfte es nach Abpfiff am Dienstag auch gar nicht mehr der Kronzeugen Daniel van Buyten ("Wir müssen mehr mit Herz und mit Auge spielen") oder Mark van Bommel ("Wir haben gute Jungs, vielleicht zu viele gute Jungs. Manchmal brauchst du auch mal Arschlöcher- ich will nicht sagen, dass wir davon zu wenig haben, aber..."), um die Bestätigung zu erhalten, dass sich ein Team so wie die Handballer und anders als der FC Bayern darstellen muss.

Die Bayern haben sich ja nicht nur Titel gewünscht, sie haben auch gehofft, dass Magath stilbildend wirkt. Dass er dem Klub in Europa Geltung verschafft auch durch einen Fußball, der unverwechselbar und originär münchnerisch sein sollte. Was aber bleibt? Vier Titel!

Doch der beste Fußball unter Magath, der wurde schon in der Rückrunde 2005 gespielt, kraftvoll und unwiderstehlich legten sie im Endspurt 14 Punkte zwischen sich und die Schalker. Die Mannschaft wirkte topfit, von der Medizinball-Meisterschaft war die Rede, jeden Gegner, hieß es, hätten sie damals niederlaufen, niederkämpfen können - nur waren sie da in der Champions League schon gegen Chelsea ausgeschieden.

Dieser Kraftfußball hätte zum Qualitätsmerkmal der Ära Magath werden können, doch schon länger war dieser Stil nur noch punktuell, aber nicht als Konzept zu erkennen. Im Herbst erst haben die Münchner beim Tabellenführer der Serie A, Inter Mailand, mit 2:0 gewonnen, und es schien, als sei dies eine Wende. Seither aber offenbarte die Elf einen seltsamen Charakter: In der Champions-League-Vorrunde wurde für den Klub eine Rekordbilanz erreicht, im Alltag aber in Wolfsburg, Bielefeld oder gegen Hannover verloren.

Für einen Trainer ist dies ein verräterisches Signal, das leicht so zu deuten ist: Die Qualität der Spieler ist so hoch, dass sie die große, gemeinsame Aufgabe eint, dass das strategische Konzept aber nicht tragfähig genug ist, um in den Mühen des Alltags der Liga zu bestehen.

Beschleunigt wurde die Zerrüttung durch die Rätsel, die Magath in einigen Interviews zur Jahreswende übermittelte. "Von der Erziehung der Spieler habe ich in München inzwischen sicher Abstand genommen", sagte er in dieser Zeitung, und via Kicker übermittelte er die Botschaft: "Taktik ist etwas für schlechte Spieler."

Ein apodiktischer Satz, der haften bleibt - auch wenn er von Magath schlüssig interpretiert werden könnte. Etwa so: Gute Spieler, wie sie der FCBayern einkauft, sollten wissen, was sie auf dem Rasen anstellen müssen. Nur war die Ironie, mit der Magath seine Referate würzte, zwar oft durchaus gelungen; seine Profis aber wirkten mit der Diktion ihres Trainers häufig überfordert.

Zeugnis dafür ist auch die Tabelle, und in der haben sich die Münchner spätestens mit dem 0:0 gegen Bochum von ihrem Stammplatz ganz oben verabschiedet. Nun laufen sie gar Gefahr, das Abonnement auf einen Champions-League-Startplatz zu verlieren. Platz vier, auf dem die Bayern liegen, berechtigt nur zur Teilnahme am Uefa-Cup, den Klubpräsident Beckenbauer einst den "Cup der Verlierer" taufte.

Heute würden er ihn vielleicht in Cup der Ruinierer umtaufen, denn die Finanzmodelle der Großklubs sind ohne Champions-League-Millionen nichts wert. Magath selbst hatte bereits am Dienstag die Zielsetzung revidiert ("Über den Titel brauchen wir nicht mehr zu reden"), Tatsache sei eines: "Wir müssen uns kümmern, dass wir um Platz zwei und drei dabei sind."

Die Troika zur Inventur

Bei den Bayern ist die gesamte sportliche Abteilung reif für die Inventur. Der Kader ist nicht gut und breit genug, es werden Spieler in Positionen gedrängt, die dort fehlbesetzt sind. So bildete das Duo Demichelis/Salihamidzic gegen Bochum das Scharnier zwischen Abwehr und Offensive, weshalb jede Spieleröffnung stotterte und es Torwart Kahn in seiner Verzweiflung fast nur noch mit der letzten Lösung, dem 100-Meter-Abschlag, versuchte.

Vorne wechselte Magath zur Halbzeit Pizarro aus und Podolski rein, was populär wirkte, aber zur Folge hatte, dass kein Stürmer mehr scharf im VfL-Strafraum unterwegs war. Das größte Säumnis aber war, dass keine kompakte Gruppe, sondern nur noch Einzelspieler auf dem Rasen standen, die emotional routiniert wie Sachbearbeiter ihren Dienst zu verrichten versuchten.

Die Trennung von Felix Magath war bei den Bayern wohl unvermeidlich und schon länger eine Option, nur der Zeitpunkt war offen. Der Trainer wusste es und ging fatalistisch seinen Weg. Beobachtet von der seit Jahrzehnten amtierenden Troika Beckenbauer, Rummenigge, Hoeneß, die sich nun auch fragen muss, ob alle noch nah genug dran sind am Spitzensport, um in sportfachlichen Spezialfragen täglich auf Champions-League-Niveau zu entscheiden.

Die Art der Trennung musste nicht erlernt werden, sie erscheint wie eine Wiederholung: 1996 wurde Otto Rehhagel kurz vor dem Uefa-Cup-Finalsieg entlassen. Damals übernahm Franz Beckenbauer. Das wird nun nicht passieren, aber das große Spiel in Kürze gegen Real Madrid wollten sie Felix Magath auch nicht mehr geben.

© SZ vom 1. Februar 2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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