Männer:Das Österreicherloch

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Der Abschied von Marcel Hirscher war absehbar, und doch scheint es ein böses Erwachen zu sein. In Sölden starten nur zwei Österreicher in den Top 30.

Von René Hauri, Sölden

Etwas Marcel Hirscher ist noch da. Auf einem Bildschirm läuft ein Film, der Salzburger fährt ins Ziel, reißt die Arme hoch; es zeigt die Vergangenheit, es geht eigentlich um die Zukunft. Es ist der Clip eines Sponsors, der seinen Vertrag mit dem österreichischen Skiverband um drei Jahre verlängert hat. In der Mitte des Raumes im Teamhotel der Österreicher lugt Peter Schröcksnadel hinter einem Pult hervor. Er sagt: "Wir sind etwas abgesichert für die Zukunft." Der Präsident des ÖSV meint die finanzielle, nicht die sportliche.

Er hat in Sölden zur Vorsaisonpressekonferenz geladen. Die Wände des Zimmers sind mit Zirbenholz getäfelt, der orange Teppich ist mit blau-grüner Musterung durchsetzt, von der Decke leuchten Glühbirnen aus einem Nest an Blättern aus Metall. Nostalgie hängt im Raum. Es passt.

Es ist dauerpräsent, was war in den letzten Jahren, als einer das österreichische Skivolk auf einer Wolke schweben ließ wie keiner vor ihm: Hirscher ist nicht mehr angereist ins Ötztal, mit 30 und nach acht Siegen im Gesamtweltcup hatte er genug. Zu sagen, er würde eine Lücke hinterlassen, wäre eine arge Untertreibung.

Auf der Lauberhornpiste in Wengen gibt es das Österreicherloch, es hat nun eine neue Bedeutung. Auf Seite 1 steht: "Sölden eröffnet Saison nach Hirscher". Es ging einer, der 67-mal triumphierte im Weltcup, neben acht großen auch zwölf kleine Kristallkugeln gewann, der siebenfacher Weltmeister und zweifacher Olympiasieger ist. Es gab Jahre, da war Hirscher für sämtliche Siege der Österreicher verantwortlich wie 2015/16. Im Magazin zum Weltcupauftakt begrüßt Schröcksnadel die Skiwelt auf der ersten Seite mit trockenen, wenig launigen Worten, wie es sonst üblich ist für den 78-jährigen Herrn im Anzug. Die Überschrift: "Sölden eröffnet Saison nach Hirscher." Es sagt alles. Sein Abschied war absehbar, und doch scheint es ein böses Erwachen zu sein.

In Sölden starten nur noch zwei Österreicher unter den besten 30

In der rechten Ecke des Raumes sitzt eine Schar an Athleten, ordentlich aufgereiht auf Stühlen. Ihre Namen? Dominik Raschner, Johannes Strolz, Patrick Feurstein, Magnus Walch, Stefan Brennsteiner oder Roland Leitinger. Ihnen soll die Zukunft gehören, die Gegenwart wird es eher weniger. Auch Manuel Feller ist da und Speedfahrer Matthias Mayer, der sich heute wieder einmal an einem Riesenslalom versucht. Es sind die bekannten Gesichter. Marco Schwarz hätten die Österreicher noch, den siebtbesten Slalomfahrer des letzten Winters, doch der laboriert an einem Kreuzbandriss. Am Pult in der Mitte sagt Schröcksnadel: "Die Erwartungen sind nicht so, so gross für Sölden." Wie sollen sie das auch sein?

Mit Feller und Brennsteiner starten bloß zwei Österreicher in den ersten 30. Es gleicht einer Bankrotterklärung für die stolze Skination. Feller ist auf dem Papier die neue nationale Nummer 1 im Riesenslalom. 14. war er in der Disziplinenwertung im Vorwinter, 13 Plätze hinter Hirscher. Auf der verzweifelten Suche nach einem möglichen Nachfolger sind die Journalisten des Landes auch auf ihn gestoßen. Der 27-Jährige sagt: "Ich bleibe bei meinen Schuhen. Das sind zu grosse Fussstapfen, in die ich treten soll. Was Marcel die letzten Jahre gezeigt hat, wird sowieso nie wieder jemand zeigen." Mayer sagt: "Wir wussten: Er wird es schon richten".

Trotzdem sind nun andere gefordert und in die vielen Mikrofone reden. Wie Feller. Wie Michael Matt und Christian Hirschbühl, die das Loch im Slalom so gut stopfen sollen, wie es eben geht. Oder Matthias Mayer. Er sagt: "Marcel hat in den letzten Jahren sicherlich sehr viel öffentlichen Druck von uns genommen. Durch die Erfolge und durch die Sicherheit, dass wir wussten: Es ist sowieso noch er am Start, er wird es schon richten." Das wird Hirscher nun nicht mehr tun. Sie werden es deutlich spüren in Österreich.

© SZ vom 27.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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