Luis Figo:Glänzender als der Diamant

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Risiko wenn möglich, Sicherheit wenn nötig - Rückkehrer Luis Figo ist für Portugal wertvoller denn je.

Ralf Itzel

Luis Figo zeigt dem Jungspund sogar im Sitzen, wie es geht. Trainer Luiz Felipe Scolari ist noch nicht da, also vertreiben sich die Nationalspieler die Zeit mit Balljonglieren. Cristiano Ronaldo hat damit angefangen, und weil Figo auf einem der weißen Plastikstühle sitzt, lässt er die Kugel eben in dieser Position von einem Spann auf den anderen hüpfen, gerne auch mal auf den Kopf oder die Schulter. Ronaldo, 21 Jahre jung, einer der Stars des portugiesischen Fußballs, guckt ziemlich beeindruckt.

"Figo von 2006 ist noch besser als der von 2004". (Foto: Foto: ddp)

Beim Start gegen Angola (1:0) hat ihn der Alte auch schon gelehrt, dass es doch noch ein Stück Weg ist bis zur Weltklasse. Der hoch talentierte Ronaldo brachte Mitspieler und Zuschauer zur Verzweiflung, weil er dribbelte, wenn er hätte passen sollen, und abgab, wenn ein Solo angebracht gewesen wäre.

Der Kapitän dagegen spielte richtig, riskierte etwas, wenn möglich, ging auf Nummer sicher, wenn nötig. Gleich nach drei Minuten legte er nach fulminantem Lauf Pauleta das Tor zum 1:0-Endstand auf.

Mann der Partie

Der 33-jährige Rekordnationalspieler wurde zum Mann der Partie gewählt, Ronaldo ausgewechselt. Anschließend war der Bursche von Manchester United ziemlich miesepetrig, es strahlten nur die Diamantvierecke, die er an beiden Ohren trägt.

Noch ist der letzte Vertreter der goldenen Generation eben wertvoller als der erste der diamantenen. Dabei schien Figos internationale Karriere nach der Europameisterschaft im eigenen Land 2004 beendet zu sein. Doch sein Rücktritt war nur einer auf Zeit.

Weil er ein Flügelstürmer ist, schätzten die Experten sein Comeback als nicht so gravierend für die Mannschaft ein wie die der Regisseure Zidane und Nedved bei den Franzosen und Tschechen.

Gegen Angola aber hat der Mann mit der Nummer 7 plötzlich einen echten Zehner gegeben. Er vertrat den verletzten Deco in der Mitte und überragte. Immer anspielbar, verteilte er die Bälle mit metronomischer Genauigkeit.

Er trat die Ecken, die Freistöße, lief sich bei Einwürfen frei. Figo war der Herzschlag der Seleccao. Nach dem Schlusspfiff schüttelte er viele Hände, auch zu den Schiedsrichtern ist er hingelaufen. Wer weiß, ob man sich nochmal wiedersieht.

Die Miene hat sich aufgehellt

Die fünfte dürfte nun wirklich die letzte Endrunde sein, und weil er selbst nicht mehr damit gerechnet hat, nimmt er sie als Bonus und genießt.

"Nach der Pause ist es wie am ersten Tag", sagt Luis Figo. Im Training lacht und scherzt der Mann, dessen düstere Miene ihn früher alt und grau erscheinen ließ. Selbst mit der Presse hat er seinen Frieden geschlossen.

Vor zwei Jahren in Portugal erschrak man, als er einen Schreiber abkanzelte, jetzt kommt er bestens gelaunt in das weiße Zelt neben dem Hotel, aus dem die Hundertschaft Journalisten die Neuigkeiten an den Rand Europas kabelt.

"Figo hat neue Markenzeichen bei dieser WM", schreibt das Jornal de Noticias, "er lächelt, flachst und ist verfügbar." Er kommt dann kaum wieder raus aus dem Zelt, so viele Autogrammjäger gilt es zu bedienen.

Hoch im Kurs

Bei den Fans steht er immer noch höher im Kurs als alle anderen. Im Kölner Stadion löste sein Name den größten Jubel aus, als die Aufstellung verlesen wurde. Auch im Kanal SporTV, der sogar das Training in die Heimat überträgt, wird er als erster genannt: "Figo, Ronaldo, Deco y compania..."

Sein Einfluss auf die Kollegen ist durch die neue Lockerheit noch gewachsen. Vor dem Angola-Spiel holte er alle zusammen und schwor sie ein. Figo ist der Chef - weil er es nicht mehr sein will. "Ich muss nichts mehr beweisen", sagt er, "ich bin hier einer von vielen."

Vergangene Saison zeigte er durch starke Leistungen bei Inter Mailand, dass Real Madrid Unrecht hatte, ihn als Ersten der Galaktischen auszusortieren. "In Italien hat er sich noch weiter entwickelt, weil die körperlichen Anforderungen dort höher sind als in Spanien", sagt Trainer Luiz Felipe Scolari, der fast dankbar wirkt, dass ihn jemand nach Figo fragt. "Er ist ein Anführer, sein Verhalten ist spektakulär", lobt der Brasilianer und resümiert: "Der Figo von 2006 ist noch besser als der von 2004."

Vor zwei Jahren nahm er ihn im Viertelfinale vom Feld. Figo fühlte sich demontiert und flüchtete wutentbrannt in die Kabine. Beim Spiel gegen die Angolaner beorderte Scolari ihn nur zur Taktikbesprechung ins Seitenaus.

Figo hat sich nun revanchiert und den Verband aufgefordert, Scolaris auslaufenden Vertrag zu verlängern. Das nicht zu tun, würde "nicht zehn, sondern zwanzig Schritte zurück" bedeuten. Die Harmonie ist also groß in Marienfeld, aber wird das auch so bleiben, wenn an diesem Samstag für das Spiel gegen Iran der gebürtige Brasilianer Deco zurückkehrt, dessen Einbürgerung Figo einst kritisierte?

"Deco braucht sich nicht zu sorgen", sagt o Capitão, "ich habe nur auf seiner Position gespielt, weil es der Trainer so wollte."

Zuspruch für Ronaldo

Mittlerweile haben sich die beiden anscheinend zusammengerauft. "Er ist in großer Form", urteilte Deco nach dem Sieg gegen die Afrikaner. Es wird viel von Englands Mittelfeld geredet bei dieser WM, aber wenn sich diese beiden verstehen, ist das portugiesische noch genialer.

Und wenn bei Cristiano Ronaldo nicht nur die Ohrringe brillieren natürlich. Mit Muskelproblemen könnte er diesmal ausfallen. Bisher läuft es nicht so für den Modellathleten, aber der Alte nimmt ihn in Schutz. Am Anfang sei die Nervosität und die Anspannung besonders groß, das werde sich legen: "Er wird uns auf alle Fälle noch helfen." Erstmal hilft er ihm.

© SZ vom 17.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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