Lothar Matthäus in Israel:"Ist doch harmlos"

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Lothar Matthäus beweist Nerven. Harmlos findet er nicht nur seine Fußball-Kolumnen. Er hat auch seine Trainerarbeit in Israel wieder aufgenommen.

Raphael Honigstein

"Nicht erschrecken", sagt Lothar Matthäus mit einem Lächeln, als er den Besuch in sein winziges Büro führt. Ein Spind, ein Tisch und ein Fernseher stehen in dem fensterlosen Kabuff unter der Stadiontribüne, für mehr reicht der Platz nicht. Die Klimaanlage ist mal wieder kaputt. Eine Dame bringt Espresso und Kekse und errötet, als Matthäus ihr zum Dank eine Kusshand zuwirft; mit spürbarer Ehrfurcht begegnen auch Co-Trainer und Manager dem Deutschen. Matthäus, der Weltmeister, ist in der 170000-Einwohner-Stadt schon sechs Monate im Amt, aber so richtig können sie es bei Maccabi Netanja wohl noch immer nicht glauben. Gerade jetzt nicht.

Lothar Matthäus geht seinen Verpflichtungen als Trainer nach: Gewinnt er mit Netanja, werden sie israelischer Meister. Einige ausländische Spieler sind nach der Winterpause nicht zurückgekehrt. (Foto: Foto: dpa)

Einige ausländische Spieler sind nach der kurzen Winterpause nicht nach Israel zurückgekehrt. Die Kämpfe im Gazastreifen und Raketen der Hamas haben sie abgeschreckt. Aus Sicherheitsgründen sagte die Liga den ersten Spieltag der Rückrunde ab - Matthäus aber ist pünktlich zu einem unbedeutenden Toto-Pokal-Spiel wieder im Dienst gewesen. Er sagt, er habe Verpflichtungen. "Für Freunde und Familie war es natürlich ein Schock", erzählt er, "denn im Ausland denkt man ja, in ganz Israel herrscht Krieg. Ich habe mich informiert, kenne die Gefahr und glaube, dass ich mich hier, hundert Kilometer nördlich von Gaza, sicher fühlen kann."

"Vielleicht hatte die Rakete Rückenwind"

Bisher habe es noch keine Rakete bis Tel Aviv oder Netanja geschafft, "aber gestern kam eine bis nach Gedera hoch, das liegt 30 Kilometer südlich von Tel Aviv, so weit wie noch nie." Matthäus sagt: "Vielleicht hatte die Rakete Rückenwind." Die Situation ist so traurig, dass man nur lachen kann. Das hat er den Einheimischen abgeschaut.

Matthäus lebt zehn Kilometer südlich von Netanja, in Herzlia, einer Diplomaten- und Hightech-Stadt, und damit auch in geographischer Hinsicht inmitten der bu'a, der Blase, wie man in Israel sagt. Die coolen Bars und teuren Restaurants in der säkularen Landesmitte sind auch in diesen Tagen voll. Man hat dort über Jahrzehnte gelernt, Leid und Tod auszublenden. Matthäus ist in den vergangenen Jahren öfters zu Besuch gewesen. Es gefällt ihm hier, man sieht es in seinem braungebrannten Gesicht, trotz der in sportlicher Hinsicht undankbaren Lage.

Gewinnt er mit Netanja, dem Zweiten von 2007 und 2008, die Meisterschaft, ist er Meister in Israel geworden. Nur in Israel. Gewinnt er nicht, wird es heißen, er könne nicht einmal in Israel gewinnen. Die Ligat Ha'al wird von der Uefa in der Fünfjahreswertung auf Platz 19 geführt, vor den Ligen in Österreich (20.), Serbien (21.) und Ungarn (24.), wo der 47-Jährige zuvor tätig war. Das Engagement bei den "Diamanten" aus Netanja fühlt sich jedoch nur bedingt wie ein Aufstieg an. "Israel ist kein Fußballland, wie man es sich als Trainer vorstellt", sagt Matthäus, "Organisation und Infrastruktur sind nicht mit Europa zu vergleichen."

Meister im Improvisieren

Die Israelis sind Meister im Improvisieren. Und Amateure im Planen. Er wusste das vorher. Netanjas Besitzer, der aus Frankfurt eingewanderte Unternehmer Daniel Jammer, 42, hatte ihn mit dem Versprechen eines modernen Stadions gelockt - von dem momentan nur eine Bauruine sichtbar ist. Eine der Firmen ist pleite, der Stadt fehlt das Geld. Matthäus' Team muss deshalb weiter im baufälligen Sartovstadion mit seinen 7000 Plätzen spielen und sogar trainieren.

"Wir sind in Europa der einzige Erstligaklub ohne Trainingsplatz", sagt Matthäus achselzuckend. Die hiesigen Reporter konnten sich vor Saisonbeginn nicht vorstellen, dass der ehrgeizige Franke das jüdische Neujahrsfest im Oktober im Amt erleben würde. Matthäus aber passte sich dem jihije beseder, der Alles-wird-gut-sein-Mentalität, verblüffend schnell an und gewann die Öffentlichkeit mit seiner offenen, gelassenen Art. Ressentiments hat er bisher nicht erlebt. Selbst die religiösen Schnorrer, die an Ampeln Gebetbücher und andere shmonzes verkaufen, würden sich freuen, einen Deutschen zu treffen, erzählt er.

Nach einer sehr passablen Hinrunde liegt man vier Punkte hinter Tabellenführer Maccabi Haifa auf dem zweiten Platz. "Wir können von der Meisterschaft träumen", sagt Matthäus. Kommendes Wochenende soll der Ball wieder rollen, ohne Spiele im vom Raketenbeschuss betroffenen Süden des Landes; Partien in israelisch-arabischen Städten wurden aus Angst vor gewalttätigen Auseinandersetzungen der Anhänger abgesagt oder auf neutralen Boden verlegt. Netanja wird erst Montag antreten.

Lockerer Strandlauf und kichernde Mädchen

Da der neue Rasen im Stadion nach der Winterpause noch nicht richtig angewachsen ist, lässt Matthäus seine Jungs heute einen lockeren Strandlauf absolvieren. Drei Mädchen kichern und lassen sich mit ihm fotografieren. Er erzählt dem Fitnesscoach lachend von den "Schandtaten" des angeblichen Schleifers Egon Cordes, seinerzeit beim FC Bayern, und setzt sich dann ins Strandcafé. Seine Spieler laufen alleine los.

Während hinter ihm die Sonne im Meer versinkt, erzählt er entspannt von Fehlern und gibt zu, dass er sich sein Imageproblem in Deutschland selber zuzuschreiben habe. "Ich wünsche mir, dass man sieht, was ich heute mache und wie ich heute bin", sagt er. Seine Kolumnen zum deutschen Fußball solle man übrigens nicht so ernst nehmen. "Ist doch harmlos."

Viel ruhiger sei er geworden, nach Niederlagen könne man hier "nicht draufhauen", sagt Matthäus. Gerade jetzt. "Ein paar der Spieler sind Reservisten und können jederzeit von der Armee eingezogen werden, andere haben Freunde und Verwandte im Süden, direkt oder indirekt sind alle betroffen, darauf muss man Rücksicht nehmen. Man kann auch mit anderen Worten und Mitteln zum Ziel kommen." Allein für diese Einsicht könnte sich seine neueste Episode in der Fußballprovinz schon lohnen. Und irgendwann wird - nicht erschrecken - auch das Exil von Lothar Matthäus zu Ende gehen.

© SZ vom 15.01.2009/agfa - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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