Lothar Matthäus, der Trainer:Undichter Reaktor

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Lothar Matthäus blickte so ernst und seriös wie ein international renommierter Trainer ernst und seriös blicken muss, nachdem seine Elf ein bedeutendes Spiel gewonnen hat. Bloß das Vergnügen und die Genugtuung nicht anmerken lassen, hatte sich Matthäus für die Pressekonferenz nach dem Match vorgenommen.

Aber die Freude strahlte aus ihm wie aus einem undichten Reaktor. Wäre sie radioaktiv gewesen, wären alle Umstehenden sofort tot umgefallen. Matthäus war glücklich, sehr glücklich, und alle Ungarn sollten es auch sein.

Kann seine Freude kaum verbergen: Lothar Matthäus (Foto: Foto: ddp)

"Ich glaube", sprach er, "dass wir heute das Wunder von Kaiserslautern gesehen haben. Wir haben dem ungarischen Volk gezeigt, dass es an die Mannschaft glauben kann." Aber bitte: "Man darf das nicht überbewerten", setzte er fort und wünschte "dem Rudi und seinen Kollegen und allen beim DFB" großzügig Erfolg in Portugal.

"Trotz China" müsse man stolz sein auf die Mannschaft, verlangte der ins Budapester Exil verschlagene Uralt-Nationalspieler, dem die eigene Heimat zuletzt so fern geraten war. Auf der Testspielreise nach China in der vergangenen Woche habe seine Mannschaft, wie Matthäus vor dem Match in Kaiserslautern gestresst berichtete, "eine Odyssee" erlebt: "Flug dauerte 22 Stunden... von einem Hotel ins andere umquartiert... Bus nicht einsatzfähig... Essen gar nicht da... Spiel 1:2 verloren - aber nicht gegen China, sondern allein wegen des Schiedsrichters."

Kurz: Ungarns Nationalteam erlebte "schwierigste Bedingungen", zumal da es ja nur das Rudiment eines Nationalteams war, wie Matthäus durch stetes Klagen suggerierte - weshalb plötzlich alle Welt glaubte, ihm hätten für die Partie 22 Spieler abgesagt. So erwies Rudi Völler dem ehemaligen Mitspieler auf zärtliche Weise Respekt für erfolgreiches Tiefststapeln. "Mein alter Kumpan, mein Schlitzohr, hat alle ungarischen Leute, die es irgendwo gibt, angerufen, bis er auf 22 Mann gekommen ist. Das hat der Lothar clever gemacht."

Beste Referenzen also für den nächsten Karrieresprung, der Matthäus zum Istanbuler Spitzenklub Besiktas befördern sollte, noch ein Stück weiter Richtung Osten nach den Stationen Wien, Belgrad und Budapest. Und wieder hat ihm alle Welt geglaubt, nachdem er durch offensives Erzählen über die engen Kontakte nach Istanbul Eindruck gemacht hatte - bis am Montag herauskam, dass Besiktas den Spanier Vicente del Bosque verpflichtet hat.

"Ich glaube, die Diskussionen über meine Verbindung nach Istanbul sind übertrieben worden", sagte Matthäus. Aber die Ungarn sind gewarnt, vom Schlitzohr höchstpersönlich.

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