Liverpool will's wissen:Sehnsucht nach Ruhm

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Titelverteidiger FC Barcelona steht im Achtelfinal-Rückspiel der Champions League beim englischen Rekordmeister Liverpool mit dem Rücken zur Wand - und muss sich bei den Reds auf einiges gefasst machen.

Raphael Honigstein

Höhnische "USA, USA!"-Rufe gab es am Samstag an der Anfield Road beim 0:1 gegen den designierten Meister aus Manchester nicht zu hören. Das war auch nicht weiter verwunderlich.

Knapp zwei Jahre lang hatten die Fans des FC Liverpool die Traditionsrivalen von United damit aufgezogen, in den Besitz der Glazer-Familie aus Florida übergegangen zu sein, doch seit kurzem sind bekanntlich die Reds mit ähnlichen Argumenten angreifbar: Anfang Februar übernahmen die amerikanischen Millionäre Tom Hicks und George Gillett die Mehrheit des Klubs für gut 600 Millionen Euro.

Große Widerstände hatte es an der Mersey nicht gegeben, der verschuldete Klub suchte seit Jahren nach Geldquellen. Die Amerikaner erscheinen den meisten mehr als Retter denn als Heuschrecken, schließlich wollen sie dem Verein endlich das dringend benötigte Stadion für 60.000 Zuschauer spendieren.

Trotzdem haben viele Fans Probleme, die neuen Verhältnisse zu akzeptieren. Liverpool wartet seit 1991 auf den Gewinn der Meisterschaft, eine halbe Ewigkeit ist das für den erfolgreichsten Verein der späten Siebziger und frühen Achtziger.

Während Manchester United und zuletzt auch der FC Chelsea die Premier League beherrschten, blieb den Reds nur tiefe Nostalgie: "Wir haben Geschichte und Tradition", schrie oft der Kop, die nach einer verlorenen Schlacht im Burenkrieg benannte Fantribüne mit den Treuesten der Treuen. Das war eine Anklage gegen die von ausländischen Eignern gesteuerten Rivalen und das neue Geld, das deren Titel erst ermöglichte.

19 Punkte Rückstand auf ManU

Als letzte Bastion der Traditionalisten kann sich der Kop nun nicht mehr rühmen. Liverpool, die Stadt, die sich seit den von Margaret Thatcher verfügten Schließungen der Bergwerke vom Rest der Insel notorisch benachteiligt fühlte, ist nun auch von der fußballerischen Globalisierung heimgesucht worden.

Sich damit zu arrangieren fällt schwer. Eine zunächst nicht ganz ernst gemeinte Kampagne, Fahnen ohne klaren Liverpool-Bezug (zum Beispiel den Union Jack oder die norwegische Nationalflagge) aus dem Kop zu verbannen, hat mittlerweile eine erstaunliche Dynamik entwickelt. Auf der "Reclaim the Kop"-Internetseite ("Erobert den Kop zurück") wird der Verlust der urtypischen Liverpool-Werte kritisiert. "Der Kop muss die Leute wieder erziehen", wird dort gefordert.

Konternde Reds

Da es auch im dritten Jahr der "Rafalution" genannten Entwicklung der Mannschaft unter dem spanischen Trainer Rafael Benítez wieder nichts mit der ersehnten Meisterschaft werden wird (Liverpool liegt mit 19 Punkten Rückstand auf Tabellenführer United nur auf Platz drei), soll die Champions League den Stolz zurück in die Herzen tragen. In der Liga bringt die reservierte Taktik, die Benitez verordnet, nicht die gewünschten Resultate, doch in Europa gibt es kaum Unangenehmeres als die defensiv starken, rasant konternden Reds.

Auch interne Turbulenzen hält die Mannschaft offenbar aus. Vor dem Hinspiel beim FC Barcelona ließ sie sich durch die als "Golfschläger-Attacke" bekannt gewordene Rivalität zwischen dem Waliser Craig Bellamy und dem Norweger John-Arne Riise nicht aus dem Rhythmus bringen. Mit einem Golfschläger soll Bellamy wenige Tage vor der Partie im portugiesischen Trainingslager auf Riise losgegangen sein, es folgte eine Massenschlägerei, die von der Polizei geschlichtet wurde.

Nachdem die beiden Streithähne im Nou Camp zum 2:1-Sieg trafen, witzelte zunächst der Daily Mirror ("Zwei über Par"), und nun glaubt die rote Hälfte der Stadt Liverpool schon wieder an das nächste europäische Wunder. Seit Liverpool im Mai 2005 in einem höchst wundersamen Finale in Istanbul gegen den AC Mailand die Champions League gewann (0:3-Rückstand, 3:3, 6:5 im Elfmeterschießen), hat Benítez mehr Kredit, als er je wieder verlieren kann.

Liverpool ist mit fünf gewonnenen Europapokalen der mit Abstand erfolgreichste britische Verein auf dem Kontinent, und der "Cup with the big ears" (der Pokal mit den großen Ohren), wie die Landesmeister-Trophäe dort liebevoll genannt wird, verspricht besondere Abende. Barcelona wird nicht nur gegen das 1:2 ankämpfen müssen, sondern vor allem gegen eine Furcht erregende Mauer aus Lärm.

© SZ vom 7.3.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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