2.Liga:"Schöner kann man nicht aufsteigen"

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Im verrücktesten aller Bundesliga-Aufstiege hat sich Eintracht Frankfurt mit dem geringst möglichen Vorsprung gegen die lokale Konkurrenz aus Mainz durchgesetzt. Stunden später reden sie schon wieder vom Uefa-Pokal. Eine Reportage von Thomas Becker

Frankfurt - Mittendrin steht sie, ungerührt ob all des Trubels. In der Linken zwischen Daumen und Zeigefinger die Waage, den kleinen Finger abgespreizt, als wäre ihr nicht ganz wohl mit dem, was sie da in der Hand hält. Aber für die Justitia im Gerechtigkeits-Brunnen aus dem 17.Jahrhundert hat auf dem Römerberg niemand einen Blick. Zigtausend Fans toben und grölen, besingen ihre Aufstiegshelden, die oben auf dem Balkon genauso toben und grölen. Wen interessiert nach dem verrücktesten aller Bundesliga-Aufstiege noch, ob der nun gerecht war? Die Frankfurter sicher nicht, und die Mainzer werden solche Fragen erst gar nicht stellen wollen. Im Pressekabuff am Mainzer Bruchweg manifestiert sich die Stimmung im Klub an zwei roten Linien. Eine mannshohe Tabelle hängt da, eine Linie verläuft zwischen Platz 14 und 15, die andere zwischen 3 und 4 - nie war ein roter Strich härter.

Es war der zweite Aufstieg für die Eintracht, auch der erste vor fünf Jahren führte über Mainz 05: ein müdes Montagabendspiel, 2:2, vorzeitige Meisterschaft, kein Grund, den Römer zu entern. Wann die Eintracht dort zuletzt stand, wissen auch Hardcore-Fans nicht sofort: Den letzten Titel (DFB-Pokal) gabs vor 15 Jahren. Entsprechend orgiastisch nun der Jubel auf der Baustelle Wildparkstadion: Veitstänze, Purzelbäume, Bierduschen - übermütig wie Dreijährige turnten die Spieler übers Feld. Das hessische Comedy-Duo Mundstuhl textete "Football's coming home" zu "Frankfurt kommt nach Haus". Alexander Schur, "Frankfurter Bub" und Schütze des entscheidenden Tores, schnappte sich das Mikro, zwang die Fankurve zum Schuhe-Ausziehen und sang: "Wir nehmen die Schuhe in die Hand und wissen nicht warum, Scheiße sind wir dumm, Scheiße sind wir dumm."

Selbst Trainer Willi Reimann, Prediger des Ballflachhaltens, flippte für seine Verhältnisse total aus, nahm die Jubelarme gar nicht mehr runter, schaffte es, mit einem Zwei-Liter-Humpen Bier von Tribüne zu Tribüne zu rennen, ohne einen Tropfen zu verschütten. Dass ihn die Bierdusche doch noch traf, störte nicht weiter. Der Präsident, Peter Fischer: Wenn er nicht gerade heulte, schüttelte er den Kopf: "So was kannste nur in Frankfurt erleben. Dagegen ist Matrix ein Kinderkarneval." Der Kapitän, Jens Keller: "Schöner kann man nicht aufsteigen." Dabei hat er 1997 bei Wolfsburg mit Reimann schon einen denkwürdigen Aufstieg erlebt: ein 5:4 - gegen Mainz.

Nach dem ersten Überschwang: Uwe Bindewald, der Ur-Eintrachtler, sitzt vor der Kabine, in der einen Hand das Bier, in der anderen das Taktik-Scribble des Trainers und versucht zu erklären, was nicht zu erklären ist, was er in seinen 17 Eintracht-Jahren noch nie erlebt hat, nicht 1999 beim 5:1 gegen Kaiserslautern, nicht beim Abstiegs-Endspiel gegen Ulm im Jahr danach. Man isst Frankfurter Würstchen mit Senf: "Schmeckt besser als Meenzer Handkäs", sagt einer. Zuvor hatten sie mit den Fans die üblichen Häme-Gesänge in Richtung Landeshauptstadt abgesondert, allmählich kehrte die Sportler-Ehre zurück: "Ich möcht jetzt nicht im Bus von Braunschweig nach Mainz sitzen", sagt Keller, und Präsident Fischer versucht so etwas wie Anteilnahme: "Ich kann mir diese Grausamkeit gar nicht vorstellen. Das muss wie ein Erdrutsch sein."

Willi Reimann sah das wie immer pragmatisch ("Ich kann nicht sagen, dass es mir leid tut, dass wir Dritter geworden sind"), ironisch ("Dass wir dank des Torverhältnisses aufgestiegen sind? Tut mir leid, dafür entschuldige ich mich"). Dass er für Liga eins bis Montagmittag gar keinen Vertrag hatte, beunruhigt ihn nicht, seinen Verhandlungspartner auch nicht. Volker Sparmann, kommissarischer Vorstandsvorsitzender der AG, sagt: "Ich liebe diesen Trainer." Am Dienstag tagt der Aufsichtsrat, die Absegnung von Sparmanns Bundesliga-Konzept mit dem Trainer Reimann gilt als Formsache.

Sparmann wird Mitte Juni seinen Posten räumen (vielleicht für Leverkusens Wolfgang Holzhäuser) und sich wieder um seinen Job als Geschäftsführer des Rhein-Main-Verkehrsverbunds kümmern. Monatelang hatte er im Hallodri-Klub mit Finanz-Chef Pröckl für sein "konsolidiertes Konzept" geworben, vor "weiteren Spinnereien" gewarnt. Nun fühlt er eine "innere Genugtuung": Lizenz gesichert, zwei neue Sponsoren in Sicht, der Etat steigt von zwölf auf 24 Millionen Euro, sechs bis acht neue Spieler und ein Manager sollen kommen. Jurica Puljiz (Split), Mehmet Dragusha (Trier), Nico Frommer (Reutlingen) und Markus Kreuz (Köln) haben unterschrieben, Stefan Lexa (Teneriffa) soll folgen, auch Ansgar Brinkmann ist im Gespräch. Der von Leverkusen umworbene Stürmer Jermaine Jones wird noch ein Jahr bleiben. Lauthals hat er das vom Römer herab versprochen und noch ein paar Liter Bier hinterher geschüttet.

Justitia sah sich das alles an, wunderte sich immer noch, dass die Eintracht-Waagschale ein paar Gramm schwerer wog als die 05er. Früher floss aus ihrem Brunnen bei Königs-Krönungen Weiß- und Rotwein fürs Volk, heute ist es schnödes Wasser. Dieses wieder in Wein zu wandeln - nichts Geringeres erwarten die Fans, die schon wieder vom Uefa-Cup singen und den Bayern die Lederhosen ausziehen wollen.

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