Lettland:Außenseiter mit dem S am Schluss

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Vor dem Spiel gegen Deutschland scheint niemand sonderlich nervös. Warum auch - die Letten machen Werbung für sich selbst und wollen nicht die Exoten spielen.

Von Christoph Biermann

Es ist heiß im Zelt vor dem Stadion Municipal in Anadia. So saunaheiß, dass man jeden Moment darauf wartet, jemand kommt herein und macht den nächsten Aufguss. Mit Überfüllung hat die Hitze im Pressezelt nichts zu tun, denn gerade mal anderthalb Dutzend Journalisten haben auf den Polsterstühlen Platz genommen. Nils Kalns, der Sprecher des lettischen Fußballverbandes, macht seine Übersetzungen der Statements auf dem Podium am Mikrofon vorbei.

In der fünften Reihe kann man ihn schon nicht mehr hören, aber da sitzt auch niemand. Ganz vorne versteht man ihn ebenfalls kaum, weil der Motor des Mannschaftsbusses ungeduldig durch die Zeltwand brummt. Gleich soll es ins Hotel zurückgehen, aber die demonstrative Eile kopiert die Aufregungen großer Teams eher, als dass man sie glauben würde.

Aleksandrs Starkovs spricht tapfer gegen das Brummen an. Je häufiger man sieht, um so sympathischer wirkt der lettische Coach, weil man merkt, dass er Humor hat. Welchen deutschen Spieler er gerne hätte, wird Starkovs gefragt. "Rudi Völler", sagt er und grinst. Der Mann vom deutschen Radio hat's nicht auf dem Band. Kann er es bitte wiederholen? "Rudi Völler", sagt Starkovs brav und mit fester Stimme noch einmal.

Keine jamiakanischen Bobfahrer

Auch die Nachricht von Oliver Kahns lettischen Wurzeln ist bei ihm angekommen. Er macht noch einen Scherz: "Er wird sich bestimmt über jeden Letten freuen, den er hier trifft." Seine Höflichkeit und nette Pointenproduktion haben ein wenig auch mit Schüchternheit zu tun. Ganz sicher scheint Starkovs nicht zu sein über die Gepflogenheiten der großen Fußballwelt. Wenn er einem versehentlich auf den Fuß tritt, entschuldigt er sich per Handschlag. Das übertrifft internationale Standards deutlich.

Man sollte das nicht missverstehen. In einer Zeit, wo aktuellem Neusprech zufolge immer irgendeiner irgendwo "angekommen ist", muss man feststellen: Die Letten sind bei der EM angekommen. Das Bedürfnis des Publikums nach Exotik möchten sie - Außenseiter hin, Außenseiter her - nicht befriedigen.

"Wir sind keine kleinen Jungs, die stolz darauf sind, gegen Tschechien mitgehalten zu haben", sagt Starkovs. Immerhin haben sie verloren, und das wollen sie gegen Deutschland nicht. Schon gar nicht möchten sie das Gegenstück zu dem abgeben, was jamaikanische Bobfahrer sind oder arabische Teams, von echten Scheichs aus der VIP-Loge angefeuert.

Sie sind keine kuriosen Freaks, wenn auch ihre Namen einen rätseln lassen, wie man den Zusammenhang zwischen geschriebener Sprache und gesprochenem Wort hinbekommt: P-R-O-H-E-R- E-N-K-O-V-S, B-L-A-G-O-N-A-D-E- Z-D-N-I-S. Und dann sind sie schneller vor Kahns Tor, als man V-E-R-P-A- K- O- S-K-I-S gesagt hat.

Draußen vor dem Zelt stehen diese Spieler und geben Interviews, oder was immer man dafür halten soll. Vitalis Astafjevs spielt in Österreich. Der Mann vom Radio will auf Deutsch mit ihm sprechen, weil der Mittelfeldspieler doch bei Admira Mödling in Österreich kickt. Astafjevs möchte lieber auf Englisch reden.

Der Radiomann nickt und fragt auf Deutsch: "Wie ist die Stimmung im Team?" - "Stimmung?" , fragt Astafjevs zurück und schaut verlegen. Der Mann vom deutschen Fernsehen fragt Verpakovskis, wie die Stimmung daheim in Riga wäre, wenn die Letten einen Punkt gegen Deutschland holen oder gewinnen sollten. "Da werden sie wohl selbst schauen müssen", sagt Jannis Mezeckis, ohne die Frage zu übersetzen.

Werbung in eigener Sache

Eben noch hat der Generalsekretär des lettischen Verbandes vor dem Zelt gesessen und Bier getrunken, das wunderbar eiskalt aussah. Mezeckis ist der entscheidende Mann hinter dem Team und sagt: "Gegen Deutschland wird es noch schwieriger als gegen Tschechien." Aber die Stimmung im Team sei gut und die Reaktion aus der Heimat ermutigend. "Wir haben die große Chance, Werbung für unser Land zu machen", sagt er.

Die Spieler machen nebenbei Werbung für sich. Sie stehen bei Klubs unter Vertrag, die Metalurgs Liepaja, Luch-Energie oder Shinnik Jaroslavl heißen. Das klingt nach Fünfjahresplan und 23. Parteitag der KPdSU. In Lettland oder Russland verdienen sie weniger Lats oder Rubel als irgendein Kanalarbeiter in Deutschlands Zweiter Liga. "Aber ein Tor gegen Deutschland, und schon sind sie in der Bundesliga", sagt Jannis Mezeckis.

Dann geht auch er, das Zelt ist nun völlig leer, und die Verstärkeranlage produziert plötzlich ein wildes Rückkopplungsgeheule. Am heutigen Samstag in Porto steht der deutschen Nationalmannschaft die Aleksandrs Starkovs Experience bevor.

© Süddeutsche Zeitung vom 19.6.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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